(K)eine Liebesgeschichte
#2
Ich muss ehrlich sein. Es war schlimmer als angenommen. Nein ehrlich, normalerweise versuche ich mit dem Schlimmsten zu rechnen, dann wird das Resultat weniger ernüchternd, aber das hier..?!
Die Geschichte heißt Jorinde und Joringel – ich kann mir nicht merken wer der Kerl und wer die Frau ist. Vermutlich ist Joringel der Mann und hat einen Ringelschwanz, warum sollte er sonst so heißen? Da ich auf den Buchrücken starren muss, um mich an die Namen zu erinnern geb ich ihnen realistische Namen, wie Rahel und Aki.

Die Geschichte – Rahel beschreibt sie in ihrem Aushang als 'romantische Erzählung' – beginnt mit einem typischen 'Es war einmal...' und endet mit '... und lebten lange vergnügt zusammen.' Wie kann diese Frau so etwas lesen und nachts an einen wie mich denken? Ich glaube ich hab es mit einem wahrhaftigen Märchen zu tun, also eine Geschichte der Sorte, die kleine Mädchen von ihren Vätern vorgelesen bekommen und dann mit 'Lies nochmal vor Papa, biiiiiitte!' quittiert werden. Was tut man als Vater von einer kleinen Prinzessin? Man schließt das Buch, um es vorne wieder zu öffnen und liest es nochmals vor.

Kommen wir zum Kern der Sache. Es geht um eine böse Hexe, die Jungfrauen sammelt. Sie ist Erzzauberin, sogar in Märchen gibt es eine Lisbeth Winkel. Wenn jemand ihrem Schloss zu nahe kommt erstarrt derjenige und kann sich erst wieder bewegen, wenn Lisbeth ihn los sagt. Außgenommen Jungfrauen, die werden zu Vögeln und gesammelt.
Natürlich war Jorinde also Rahel die schönste Jungfrau von allen und bereits in den festen Händen ihres Aki's. Trotzdem, obwohl sie es sich hundertmal vorhalten und wissen wie gefährlich das Schloss ist, kommen sie so nah, das Rahel ein Vögelchen wird und Aki sich nichtmehr bewegen kann. Sie wird zu einer Nachtigall und von der bösen Lisbeth eingesperrt. Als die Hexe den traurigen und verzweifelten Junge von seiner Schmach befreit fleht der auf Knien um seine Angetraute.
Warum hat er die Alte nicht einfach grün und blau geprügelt und sein Mädchen mit nach Hause genommen? Nun es ist ein Märchen, es braucht eine wahnsinnig romantische Wendung.
Aki geht also nach Hause, quält sich in Sehnsucht an Rahel durch seine Tage und träumt schließlich von der Lösung des Problems. Er sieht eine magische rote Rose, die den Zauber rund um das Schloss brechen kann und seine Nachtigall zurück verwandelt. Er sucht also nach dieser Blume und da es eine Geschichte ist findet er eben jene. Rot und wunderschön. Wie erwartet öffnet ihm die Rose alle Türen und er gelangt zur Hexe, die sich mit seiner Nachtigall aus dem Staub machen will. Mit der Macht der Rose kann er nicht nur seine Jorinde sondern auch all die anderen gefangenen Jungfrauen (glücklicher Mann, im Buch waren es siebentausend) zurück in ihre menschliche Gestalt verwandeln.

Ich versteh es nicht. Wo ist die Lehre dahinter? Jorinde ist die Schönste unter all den anderen Mädchen, natürlich weil es die Seine ist. Er lässt sich von Sehnsucht leiten und konzentriert sein ganzes Sein darauf sie zu finden und zu befreien. Aufopferungsvoll stellt er sich den Gefahren und nicht mal die siebentausend anderen Jungfrauen können ihre Liebe stören.
Warum muss immer erst alles in die Brüche gehen und man einen Verlust erleiden, bevor man begreift was der Andere für einen bedeutet? Geht es um Verzweiflung oder Unvollständigkeit?

Vielleicht ist es auch eher bildlich gemeint, der Liebende wird starr und funktionsunfähig ohne seine Geliebte und findet das Symbol seiner Liebe in der Rose. Scheinbar ist es eine typische Symbolik, Rahel hat einen anderen Schmöker namens 'Die Rose'.
Die alte, einsame und grausame Hexe wird also von der Liebe überwältigt. Einer alles verzehrenden Liebe. Das ist schön und gut, aber es bringt mich keinen Schritt weiter an die eigentliche Bedeutung des Wortes.
Je länger ich darüber nachdenke desto eher seh ich eine sexuelle Interpretation der Geschichte. Die beiden gehen alleine in den Wald und vielleicht wäre ja etwas gelaufen, wenn die alte, neidische Hexe Jorinde nicht eingesperrt und ihren Kerl mit ihrem Zauber gefesselt hätte? Vielleicht ist es eine Art abstraktes Zöllibat, wenn auch nur kurzzeitig. Und die Rose (im Märchen mit einem Tautropfen versehen, der als Perle beschrieben wird – klingt eindeutig sexuell) ist ein Zeichen für die Befreiung.
Dann gibt auch das Ende '.. und sie lebten lange vergnügt zusammen.' einen ganz anderen Sinn. Ich muss zugeben, das geht eher in Richtung 'Liebe machen', wobei das auch so eine Wortnutzung ist die irreführend ist.
Was ich daraus aber wieder einmal lerne ist, dass Rahel genau die Frau ist die ich sehe. Auf ihrem Einband steht 'romantische Geschichte' aber wenn man zwischen den Zeilen liest sind ihre Gedanken ganz andere.
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Nachrichten in diesem Thema
(K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 04.03.2015, 23:48
Jorinde und Joringel - von Aki Durán - 05.03.2015, 13:17
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 06.03.2015, 10:23
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Rahel Goldblatt - 06.03.2015, 19:10
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 08.03.2015, 01:45
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 20.03.2015, 12:54
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 02.04.2015, 13:50
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 18.05.2015, 16:57
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Rahel Goldblatt - 20.05.2015, 15:50
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 21.05.2015, 10:30
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Rahel Goldblatt - 07.06.2015, 08:29
Vergangen aber nicht vergessen - von Aki Durán - 07.06.2015, 13:07
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 08.06.2015, 09:50



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