Tagebuch der Taliya Valaris
#6
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Siebter Eintrag: Neubeginn

So lange ist es mittlerweile
her, seit Mirialay meine knapp verfasste Notiz erhalten hat.
„Ich danke dir für alles und hoffe, dich stets als Freundin
sehen zu dürfen“ stand dort, darunter das Sonnenzeichen
und meine Unterschrift. Ich bin gegangen. Fort aus den
Mauern der Kirche, die mir Heimat und Käfig zugleich waren.
Ich hätte bei meiner Ankunft in Servano und Löwenstein
nie gedacht, dass ich das Leben in der Kirche je aufgeben
würde. Ich habe so hart dafür gekämpft, überhaupt erst
diesen Weg gehen zu dürfen. Wie oft habe ich mich
gestritten, mit meinem Vater, der mich nie hergeben wollte.
Unzählige Male wohl. Und als es endlich soweit war, fühlte ich
mich gut. Doch ich hatte nie geahnt was es heißt, eine Dienerin
der Kirche zu sein. In meinem Träumen damals sah ich mich
in rotem Gewand, das Haar zu einem Zopf gebunden, mit
einem glücklichen Lächeln auf den Lippen. In jenen Träumen
hatte ich Familie und meine Berufung gefunden und vereinen
können.

Doch manche Träume sollten Träume bleiben. Das Leben in
der Kirche hat mir mehr Kummer bereitet. Familie? Wenn
sie nicht genehmigt wird, würde es nicht dazu kommen.
Freiheit? Nicht hinter den hohen Mauern der Kirche. Man
darf nicht ohne Kopfbedeckung hinaus, in ihren Roben
sehen alle gleich aus. Zunächst fühlte ich mich wohl und
geborgen. Doch mit der Erfüllung des schönen Traumes
waren die Alpträume gekommen, die Unruhen und das
Chaos in meinen Gedanken. Ich war einen Dienst angetreten,
den ich zu gehen nicht bereit war. Einen Großteil meines
Lebens habe ich darauf hingearbeitet, um dann tief zu fallen.
So wie in dem Traum, den ich im letzten Eintrag erwähnte.

Das Leben hinter den Mauern war geprägt von Zucht und
Ordnung, jener Ordnung, die unangenehm ist und jeder war
auf sich selbst am meisten bedacht. So kam es mir vor.
Und erst die Blicke mancher Persönlichkeiten…

Hinzu kommt, dass ich eigentlich viel eher hätte verstehen
sollen, dass die Kirche kein Ort für mich ist: Mein Hab und Gut
musste ich fortgeben. Mein Tagebuch holte ich mir nach
meinem Eintritt in die Kirche, mein kleines Armbändchen von
meiner Mutter brachte ich zum Bankier, er solle es verwahren.
Ansonsten war alles fort; meine Freiheit, meine Kleidung,
eingetauscht gegen eine Robe, eine Kapuze und ein Leben in…
ja, in ewiger Knechtschaft.
Ich liebe meinen Herren Mithras, doch bin ich im Unklaren,
ob er dies genau so wollte. Ich sollte diese Zeilen nicht
schreiben, grenzen sie an Blasphemie. Doch wenn ich es
nicht schreibe, bleibe ich meiner Seele nicht treu.

An der Kirche ist nicht nur Schlechtes, wie es gerade scheint…
sie bietet jenen Schutz und Unterkunft, die sonst nichts haben,
stellen für viele ihr einziges Zuhause und ihre einzige Hoffnung dar…
Sie ist ein Ort des Zusammenkommens für jene, die Geleit und
Hilfe beim Beschreiten des richtigen Pfades benötigen und
ersetzen einem die Familie.
Doch hat das Leben in der Kirche mir weniger Freude bereitet,
als angenommen. Vielleicht, weil ich in Silendir meine Heimat
und einzig wahres zuhause sehe, vielleicht weil ich mich dem
Willen anderer zwar Beuge, aber nicht ewig durchstehe.
Ich fühlte mich zu meinen Tagen als Novizin und zwischen
den Meinen oftmals wie in einer Arena, in der jeder an
die höchste Position gelangen wollte und es mit allerlei
Mächten versuchte. Ich selbst wollte Priesterin werden;
um unserem Herrn zu dienen, ihm nahe sein zu können,
sein Wort in die Welt zu tragen. Nicht Macht war es, was
ich wollte, sondern das höchste Maß an Glaube und Hoffnung,
an Ordnung, Einigkeit und Friede. Doch in der Kirche, so
schien es mir zu meinem Austritt, herrschte mehr
Konkurrenzdenken, als ich es selbst für möglich gehalten hatte.
Es kann auch sein, dass der Schein mich trug, weil meine
Familie eigene Schicksalsschläge erleiden und ich mich einer
tief in mir verborgenen, schwarzen Seite stellen musste.
Jedoch war die Familie Kirche für mich nicht weiterhin tragbar.

Es gibt jedoch zwei Menschen, die mich dort aufrechterhalten
haben und die mir auch jetzt noch wichtig sind
wie Bruder und Schwester.

Gnaden Mirialay Greiffenwaldt und Gerrik, die ich als wahre
Freunde in einem von Rangordnungen beherrschten Haus
bezeichne. Auch wenn mein Abschied gering war und
gewiss überraschend, hoffe ich, dass sie mir dies nicht
all zu übel nehmen.

Ebenso wie meinen Rückzug aus der Stadt. Ich wäre nach
Hause gegangen, zu meinen Eltern, meiner Familie, hätte
man mich die Grenzen passieren lassen. So blieb mir nur der
größtmögliche Abstand. Von der Kirche, von Löwenstein,
gar von Freunden. Ich war gut ein oder sogar zwei Mondläufe
fort, wie vom Erdboden verschluckt, wobei mir der ein
oder andere Jäger oder Bauer behilflich war durch Unterkunft,
Geleitschutz und Nahrung. Doch nun soll die Zeit sein,
wieder Ordnung zu bringen. Ich bin eine Dienerin des
Mithras, auch ohne die Kirche und brauche Ordnung in
meinem Leben, meinem Geist. Die Frage ist nur: Was tun?
Ich bin mit einer Hand voll Liturgien vertraut, liebe das
Lesen und Schreiben, aber damit kann ich kaum mein täglich
Brot verdienen. Ich sollte mich bei Mirialay melden. Ich
schulde es ihr als meine engste Vertraute. Und vielleicht
hat sie ja Gelegenheit mich Dinge zu lehren, die
außerhalb des Kirchendienstes stehen.
[Bild: gwajtihw.png]
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RE: Tagebuch der Taliya Valaris - von Taliya Valaris - 12.09.2013, 17:08



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