Sonnengelb und tiefschwarz
#2
Gwendolyn saß zusammengekauert im stockfinsteren Schlafraum und stellte sich tot. Endlich ließ man sie in Ruhe. Sie versuchte, sich nicht mehr zu bewegen, selbst ihr Atmen so leise werden zu lassen, dass man sie nicht hier im Dunkeln vermutet hätte, käme man die Stiege hoch. Sie wünschte sich Schlaf herbei, aber Mithras erhörte sie nicht.

Der Tag hatte so aussichtsreich angefangen. Gloria war ihr auf der Straße begegnet, hatte sich zu Gwen an den Tisch gesetzt und sie hatten sich über Löwenstein und die Welt, ihre Familien und deren Unähnlichkeiten unterhalten. Nachdem Gloria gegangen war, hatte sie sich zu den Feldern aufgemacht. Unruhig wie Gwen die Tage war, mit dieser beständigen Getriebenheit, arbeitete sie zusätzlich auf den Feldern und goss die Pflanzen, wenn Rowan auf der Jagd war. Siedend heiß fiel ihr dort die Koppel ein – hatte die Magd heute die Tiere gefüttert? Sie beeilte sich, mit einem Arm voll Hafer und einem Sack Karotten, dem nachzugehen. Beleidigt muhte, gackerte und mähte es ihr entgegen. In ihrer talerisbedingten Kopflosigkeit ließ sie das Gatter einen Augenblick zu lang offen. „Dämon! Du bösartiges Huhn!“ Hühner mussten die von Mithras am wenigsten geliebten Geschöpfe sein, das stand fest. Sie waren das Böse in Federngestalt. Das so angesprochene Untier flatterte ein paar Schritte weiter und beäugte die Mühen seiner Herrscherin nur mit höhnischem Kopfgewackel. Gwen ging in die Hocke und versuchte es erst mit Zuckerbrotsätzen zu locken, dann mit peitschenden Worten zu schimpfen. Sie wusste nicht, wie lang er ihr schon bei den vergeblichen Versuchen, das entfleuchte Ungetüm zu packen, zugesehen hatte; lange genug jedenfalls.

Die zufällige Begegnung war ein seltener Glücksfall. Der Ordenshof lag gleich neben der Koppel, die Stadtmauern waren kaum zu sehen von hier. Es bedurfte keiner besonderen Überredungskünste, um Gwen einen Spaziergang anzutragen. Das Wetter war herrlich, ihre Arbeit getan und er hielt sogar einen Picknickkorb in Händen. Die Verlockung, endlich einmal ungestört sein zu können, die Aussicht darauf, in die ewig schüchternen, so oft zu Boden blickenden Augen schauen zu dürfen taten ihr Übriges. Ein Stück vom Hof entfernt suchte Gwen einen Baumstamm zum Sitzen am Fluss aus. Die Zweisamkeit war süß, unschuldig und von kurzer Dauer. Das höchste der Gefühle wurde ihr mit seiner linken Schulter an ihrer rechten beschert. Ehe sie überhaupt Gelegenheit hatten, der Schüchternheit Herr zu werden, brach die Nacht herein und Albert durchs Dickicht.

Steif und ausgemergelt, streng und trocken wie immer beendete er den Zauber. Als wäre das nicht genug der Scherereien, kündete ein dumpfes Geräusch von Hufen auf dem weichgetretenen Waldboden von Konrads Annäherung. Gwen versuchte fiebrig überlegend, ihre Gedanken in Ordnung zu bringen. Mit Albert alleine wäre sie spielend fertig geworden. So weltfremd wie ihr Vetter aufgewachsen war, hätte man ihm schon eine Geschichte auftischen können, die halbwegs glaubwürdig klang. Sein Misstrauen wäre zwar dennoch erregt worden, aber Konrad – Konrad war ein anderes Kaliber und aus deutlich härterem Granit geschlagen. Die Lügen verließen Gwendolyns Lippen mühelos. Sie fabulierte hitzig das Blaue vom Himmel herunter, während Taleris in Schockstarre gefallen zu sein schien. In Windeseile stand das kümmerlich zusammengezimmerte Lügengebäude. Sie behauptete steif und fest, die Farne hier am Flussufer ausgesucht zu haben und auf einer alchemistischen Expedition zu sein. Sollten sie ihr das Gegenteil beweisen! Taleris fungierte, so schwindelte sie weiter, dabei als ihr Beschützer, denn wie jeder wisse streunten Wölfe durch diese Gefilde. Ob Albert das schluckte, war nicht zu sagen, aber Konrad glaubte ihr kein Wort und herrschte sie an, ihm zu folgen. Einen Lidschlag lang erwog sie, sich einfach zu weigern. Der nächste, der zu wissen glaubte, was sie zu tun habe! Sie hätte ihnen allen vor die Füße kotzen mögen. Aber noch fand sie genug Selbstbeherrschung in sich und beschloss, Konrads Worten Folge zu leisten. Wie sie ihn kannte hätte er sie auch gegen ihren Willen aufs Pferd gesetzt. Taleris blieb zurück, zurück mit Albert. Sie beneidete ihn fast darum, und gleichzeitig regte sich auch Zorn auf ihn in ihr. Warum wehrte er sich nicht? Sie taten doch nichts Verbotenes.

Der Heimweg war eine Kette aus Unannehmlichkeiten. Sie wollte ihnen nicht schon wieder Gelegenheit geben, sie als unerwachsen abzustempeln, weil ihr der Geduldsfaden riss. Aber Konrad machte es einem nicht leicht. „Der will dir ein Kind machen, das ist ein ganz übler Schlingel!“ – „Wieso sollte er ein Kind wollen?! Wovon beim Lichte sprichst du?!“ – „Hat dir deine Mutter überhaupt nichts beigebracht?!“ – „Lass mich in Ruhe!“ – „Der will dir unter den Rock!“ – „Mein Rock gehört mir! Und du hast keine Ahnung! Das ist der wunderbarste Mensch und du verstehst nichts, nichts, nichts!“ – „Der tut nur so, glaub mir das, ich weiß das, ich war auch einmal ein junger Mann! So machen wir das eben!“ – „Bring mich sofort nachhause, du verstehst GAR NICHTS!“. Er drehte ihr beständig das Wort im Mund herum, es war ein Kampf gegen Konrads unbewegliche, starre Gedankenwindmühlen.

Man hätte vermuten können, die vertraute Umgebung daheim könnte zu einer Einigung führen, aber es wurde nicht besser. Versuchte sie, Taleris‘ Wesen zu schildern, sprach Konrad von der angeblichen Zwielichtigkeit des Ordens. All die Geduld, die sie zuvor so mühsam angespart hatte, auf die sie sich so gern besonnen hätte, zerrann ihr unter den Fingern. Setzte sie dazu an, den Aspekt des niedergelegten Noviziats zu erklären, brüllte Konrad außer sich vor Zorn wie ein rachedurstiger Richter: „Pflichtverletzung! Verrat! Und das nennst du ehrenhaft?“ Er sah aus, als wollte er ihr im nächsten Moment eine Ohrfeige geben. Gwen starrte ihn herausfordernd an, wollte ihm zuvorkommen und schlug ihn aufspringend gegen die Schulter. Aber Konrad war ihr an Jahren, Gewicht und Kampfausbildung überlegen – es kostete ihn nicht einmal den Schmerzenslaut, der Gwendolyns Bedürfnis, ihm wehzutun, wenigstens ein bisschen befriedigt hätte. Es war gleich. Sie kannte noch andere Mittel. Wie ein Schleier legte sich das Rot über ihre Augen, trug der Jähzorn sie fort. „Ich nenne das Ehrlichkeit! Ehrlichkeit zu sich selbst, Ehrlichkeit seinem Herz gegenüber, aber auch davon verstehst du nichts, denn du hast ja keins, in deiner Brust muss ein Klumpen Stein wohnen!“ Alles was danach kam, war nur noch Rauschen. Kaspar, der irgendwie Ruhe in die Lage brachte. Konrad, der den halbherzigen Versuch machte, seine Worte zu erklären, sein düsteres, bärtiges Gesicht, und die Worte, die nur wieder bei ihrer Schuld endeten.

Sie wünschte sich ein Mittel zur Selbstbetäubung, aber sie kannte keines. Sie wünschte sich verzweifelt wenigstens Wein, aber es gab keinen. Die Zeiten zu schlecht, der Preis zu hoch. Sie wollte sich selber nicht mehr spüren.
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RE: Sonnengelb und tiefschwarz - von Gwendolyn Veltenbruch - 04.06.2013, 12:49



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