Die Veltenbruchs
#1
Die Veltenbruchs
Wie alles begann
Kaspar - Theresia - Jacob



Mit einem nachhallenden Knall flog die schwere, aus der hauseigenen Werkstatt stammende Eichentür in das Schloss. Energischen Schrittes zog ein Rotschopf an Portraits früher Ahnen vorbei, die den Hauptgang im Herrenhaus der Veltenbruchs zierten. Er hatte fast die Haustür erreicht, als eine rauchige, tiefe Stimme seinen Namen rief. "Kaspar!" schallte es eindringlich durch den Flur. Kaspar war versucht, den Rufenden zu ignorieren und einfach hinaus zu gehen, doch diese Respektlosigkeit konnte er seinem Vater nicht entgegen bringen. Er wandte sich herum zu einem betagten Mann, der noch den Türknauf der Tür in der Hand hielt, die er eben noch mit aller Gewalt zugeschmissen hat.
"Vater..." entgegnete er ungehalten mit knirschenden Zähnen.
"Kaspar. Besinn dich und komm zurück! Deine unangebrachten Worte sollen dann vergessen sein." Vater Veltenbruch strahlte bestimmte Authorität aus. Er war ein Mann, der wusste, was er wollte und dabei dennoch eine sympathische Art und Weise an den Tag legte. Er wäre zu größerem bestimmt, ganz sicher. Und doch ließ er seinen Arsch in diesem Haus verrotten. Das dachte zumindest Kaspar.
"Meine Worte sollt ihr nicht vergessen. Vater - ich sag es dir noch einmal: Der Name Veltenbruch gehört an den Hof. Mit dir an der Spitze ist unser Erfolg gewiss. Wir..."
"Genug!" wurde Kaspar schroff unterbrochen. "Je höher wir versuchen zu greifen, umso tiefer werden wir fallen. Dies hier ist der Platz, den Mithras uns zugewiesen hat. Füge dich dem!"
Mit einem verzweifelten Aufschrei und die Hände über den Kopf zusammenschlagend, wandte sich der eigensinnige Sohn ab und verließ das Haus seines Vaters. Er würde sich später mit Theresia, seiner Zwillingsschwester, treffen; wie sie es so oft taten. Sie würde seiner Meinung sein, sie würde mit ihm kommen, sie würde ihn unterstützen. Gewiss schmiedete sie im selben Moment die gleichen Pläne.

*

Das leise Geräusch, mit dem das zusammengeknüllte Pergament die Tür traf, war so unbefriedigend, daß Theresia am liebsten noch etwas hinterher geworfen hätte – das Tintenfass vielleicht, oder gleich den ganzen Kasten mit den Schreibutensilien. Stattdessen schnaufte sie und trat hilflos gegen die Kommode.
Es war ein guter Entwurf für einen Protest gegen die Silendirer Politik, ein Schreiben, das Loyalität Silendirs für den König und seinen Stellvertreter, den Truchsess Hieronymus Lichtenwald verlangte - ein wirklich guter Entwurf. Hätte man ihn beim Guldenacher Rat eingereicht, so hätte man ihn sicher angesehen – allein der Name „Veltenbruch” darauf hätte dafür gesorgt. Es wäre richtig gewesen, gegen die Ränke des Silendirer Lehensherren einzutreten. Königstreu, von wegen! Königstreu war, Theresias Verständnis nach, etwas anderes als das Handeln Savian Falkensteins von Silendir!
Als Oberhaupt der Familie hätte Hagen Veltenbruch nichts weiter tun müssen, als seine Unterschrift und das Familiensiegel darauf zu setzen.
„Ein guter Entwurf”, hatte auch ihr Vater gebrummt, als er Theresia ihm das sorgsam ausgearbeitete Schriftstück vorgelegt hatte. Er verabscheute die aktuelle Politik Silendirs dem Königslehen gegenüber zutiefst. „Ein guter Entwurf...” Er musste das „aber” nicht aussprechen.
Ein Veltenbruch mischte sich nicht ein. Ein Veltenbruch nutzte das Fleckchen auf Erden, das Mithras ihm zuwies, so gut er konnte, und strebte nicht nach Höherem.
„Pah!” entfuhr es Theresia und wandte sich zum Fenster.
Draußen regnete es. Schwere Tropfen aus düsteren Wolken klatschten gegen die Bleiglasfenster und verliehen der gepflasterten Straße hin zum Familiensitz der Veltenbruchs einen trostlosen Anschein. Der Familiensitz unweit der Lehenshauptsdtadt Guldenach war klein im Vergleich zu dem, was andere große Handelsfamilien Silendirs bewohnten. Klein wie die Veltenbruchs, trotz ihrer zahlreiche Generationen umspannende Familiengeschichte. Klein, weil kein Veltenbruch sich je bemüßigt fühlte, nach mehr zu streben. Und wer es doch tat, der wurde ohne große Worte, ohne böses Blut, aber so konsequent abgewiesen, daß kein Widerstand möglich war. Ein Veltenbruch hatte nicht hoch hinaus zu wollen, ebenso wenig hatte er sich einzumischen. Das Siegel der Veltenbruchs gehörte auf meisterliche Handwerkskunst – aber nicht auf politische Traktate oder gar Streitschriften. Ein Veltenbruch hatte keine eigene Meinung, sofern das Leben des Königs nicht direkt gefährdet war. Und selbst im Angesicht der Ränke Silendirs gegen seine Majestät hielt ein Veltenbruch lieber erstmal die Füße still.
Finsteren Blickes fuhr Theresia herum, griff nach ihrem Umhang und warf die Tür ihres Zimmers hinter sich ins Schloss. Vorbei an den Portraits der Ahnen, die gleichgültig an ihr vorbei sahen, vorbei an der Tür, hinter der die Stimme Kaspars jene ihres Vaters übertönte. Ob er noch etwas ausrichten konnte, wo sie versagt hatte?
Als das schwere Eingangsportal hinter Theresia ins Schloss fiel und ihr der Regen ungebremst ins Gesicht klatschte, atmete sie tief durch. Vielleicht war es an der Zeit, fortzugehen, und das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Nicht mehr zuzusehen, wie das Potenzial der Veltenbruchs wie unter einer tiefen Staubschicht zusehends tiefer vergraben wurde, und die Familie nicht einmal ihre Stimme nutzte, um für den König einzutreten, wie es sich gehört hätte.
Sie und Kaspar waren nicht die einzigen, die so dachten. Auch ihr Cousin Jacob trug sich seit längerem mit dem Gedanken, mehr aus dem Namen Veltbruch zu machen. Und nun war die Zeit gekommen. Ob die Familienoberhäupter mitmachen wollten oder nicht – sie würden dem Namen Veltenbruch zu neuem Glanz verhelfen!
Ihre Schritte platschten in den Pfützen, die sich allenthalben auf dem Pflaster gebildet hatten, als Theresia entschlossen losmarschierte, in Richtung der Hauptstraße von der aus die Tore Guldenachs nicht mehr fern waren. Jacob war der erste, den sie in ihre Pläne eingeweiht hatten. Und jetzt war es an der Zeit, den Plänen Taten folgen zu lassen.

*

Jacob ließ sich seufzend in seinen Sessel zurücksinken. Ein ferner Blitz erleuchtete das dunkle Zimmer und grollender Donner durchbrach die bedrückende Stille, welche das Haus zu dieser späten Stunde beherrschte. Stunden hatte er mit Theresia gesprochen und diskutiert, über den erneuten Streit mit Kaspars und ihrem Vater, über das, was nun folgen würde. Selten hatte Jacob sich offen in die Belange der Familie eingemischt, zu oft war er bereits als Heranwachsender nur müde belächelt oder gar barsch abgewiesen worden. Aber jetzt - jetzt stand der Neuanfang der Familie direkt bevor!
Er griff sein Tagebuch vom Tisch und schlug ein seiner Listen in der Mitte auf. Hier war all das aufgeführt, was sie zur Verfügung hatten. All das, was einen erfolgreichen Start in Servano gewährleisten würde. Die Liste der Güter und Gelder überflog er nur kurz, schließlich hatte er sie schon lange auswendig gelernt. Als er allerdings bei den Mächtigen Servanos ankam, bei Amtsinhabern, Gerüchten und nützlichen Hinweisen über ihre Ämter, wurde er wieder aufmerksamer.
Gedankenverloren nickte er und strich sich langsam durchs Haar. Ja, diese Informationen würden es letztlich sein, welche es seinen Freunden Theresia und Kaspar, und auch ihm, ermöglichen würden, die Familie in Servano zu neuem Ruhm und einer bisher nicht gekannten Machtstellung zu führen.
Wie viel Zeit hatte er aufgewendet, um diese Informationen zusammenzutragen. Er hatte fast jede freie Minute in den zugänglichen Archiven zugebracht, hatte mit befreundeten Familien gesprochen, ja sogar die etwas verruchteren Viertel Guldenachs hatte er aufgesucht und dort so manche Münze für eine nützliche Information ausgegeben.
Nachdem er diesen Abschnitt erneut aufmerksam gelesen hatte, blätterte er etwas weiter. Unzählige solcher Listen fanden sich in seinen Büchern. Abseits der frei zugänglichen Informationen zwar nur einige Gerüchte aus dritter Hand - aber immerhin alles was man über die Reichen und Mächtigen der verschiedenen Lehen wissen musste. Und wie oft hatte er sie der Familie schon vorgelegt, hatte ihnen aufgezeigt, wie einfach es doch wäre sich diese Informationen zunutze zu machen - und sei es nur für die Abschlüsse besserer Geschäfte. Aber immer wieder war er abgewiesen worden. Sogar beschimpft hatten sie ihn! Überall nur taube Ohren, sture und traditionsbewusste Verwandte.. Er schnaubte verächtlich. Sie waren feige. Nichts anderes. Und die Familientradition und irgendwelche uralten Geschichten lieferten allen den perfekten Vorwand, um ihre Feigheit damit zu verschleiern.
Nur Theresia und Kaspar nicht. Sie hatten Visionen, konnten sich ausmalen, was diese alte und starke Familie alles zu erreichen vermochte. Und sie hatten nicht über ihn gelacht, hatten ihn nicht weggeschickt oder sich in Ausreden geflüchtet. Sie teilten seine Ansichten und sahen in seinem Wissen ein Werkzeug, welches dazu dienen konnte die Familie zu stärken.
Und endlich war es so weit!
Jacob stand auf und nahm dieses letzte Buch mit zu seiner Reisetruhe. Alle anderen hatte er schon lange verstaut, da er seit Monaten schon auf diesen Moment gewartet hatte. Sorgfältig legte er es zu seinen anderen Büchern und schloss die Truhe. Er würde nicht viel Geld mitnehmen können - lediglich sein Wissen und seine Fähigkeiten in der Buchführung. Aber dennoch würde er versuchen, der Familie damit bei ihrem Neubeginn zu helfen.
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Die Veltenbruchs - von Theresia Veltenbruch - 19.05.2013, 00:40
RE: Die Veltenbruchs - von Damian Pereste - 04.07.2013, 14:16
RE: Die Veltenbruchs - von Welf - 08.10.2013, 20:56



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