Von der Kunst des Gefundenwerdens
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Von der Kunst des Gefundenwerdens



Die Scharniere quietschten leise, als Ekatalin das Fenster von außen öffnete. Das Geräusch war zwar nicht sonderlich durchdringend, aber die Einbrecherin verzog dennoch unwillig das Gesicht. Mit eiligen Bewegungen steckte sie den schmalen Metallstift wieder in ihre Gürteltasche, dann schlüpfte sie durch die Öffnung.
Im Haus herrschte Stille. Hinter ihr erklangen noch die Abendrufe der Vögel und das Rauschen der Blätter – doch der kleine Raum war still wie eine leere Kirche. Es war zwar ein wenig wärmer als draußen, aber die geduckten, gemauerten Wände fraßen das spärliche Abendlicht von draußen auf, bis nur noch Bedrückung übrig blieb. Schatten wanderten zwischen alten Tischbeinen und leeren Schränken.
Ekatalin begann sich zu orientieren. Sie befand sich im ersten Stock des abgelegenen Herrenhauses in einem kleinen Abstellraum. Hinter der Tür würde sie ein Flur erwarten, Treppen ins Erdgeschoss am Ende, drei Zimmer zu ihrer Linken, das Schlafzimmer und eine kleine Bibliothek zu ihrer Rechten. Sowohl das Schlafzimmer als auch das zweite und dritte Zimmer zu ihrer Linken hatten einen eigenen Balkonzugang, der als Fluchtweg dienen könnte. Im Erdgeschoss fände sie einen Ausgang in der Küche, den Hauptausgang und diverse Fenster, die jedoch recht stabil ausgesehen hatten. Und hinter ihr war das Fenster zum Vordach, praktischerweise direkt unter den Ästen eines Walnussbaumes.
Sie öffnete die Tür zum Flur einen Spaltweit und lauschte nach irgendwelchen Geräuschen, die sich von den vagen Lauten der Außenwelt unterschieden.

Niemand da seit heute Mittag. Vielleicht irgendein Besuch außerhalb. Aber nicht mal irgendwelche Diener oder Leibeigene? Der Gedanke hing wie ein übel riechender Vorhang vor ihren Überlegungen, doch sie schob ihn seit Stunden immer wieder weg. Ruhiges Land, wenig Sorgen… Leichtsinnig.
Doch trotz ihres Einredens – die Stille war tief. Sie kannte die Stille der Häuser, deren Einwohner gerade nicht da waren. Dann erschien es, als würden die Mauern lediglich schlummern, in Vorfreude auf die Rückkehr der Herren. Nicht hier: Diese Mauern schwiegen wie ein Grab.
Sie trat über die Schwelle, verzog unwillkürlich die Lippen in vagem Neid über die geschmackvolle Einrichtung und ging leise aber zielstrebig zu der Tür des Schlafzimmers. Nur ein Funke Selbstzufriedenheit flackerte auf, als sich das Innere des ersten Stockes tatsächlich so aufteilte, wie sie das aus ihren verschiedenen Beobachtungswinkeln von außen erahnt hatte.
Die hellen Holzdielen unter den Teppichen am Boden knarrten nicht, die niedrigen Kommoden waren staubfrei und das wenige Licht wurde mehrfach zwischen mehreren Spiegeln hin und her geworfen. Der Herr des Hauses hatte sowohl Stil als auch Geld.
Die Tür zum Schlafzimmer war ohne Schwierigkeiten zu öffnen und trübes Licht erhellte den Flur. Sie wollte sogleich eintreten, doch der Luftzug aus dem geräumigen Zimmer ließ sie erstarren.
Kühle, klamme Luft, ein muffiger Geruch und eine Stille die beinahe zu berühren war wehten an ihr vorbei, und trotz der Einrichtung flackerte erneut das Bild einer Ruhestätte auf. Ekatalin sah ein großes Himmelsbett, Schränke, Kommoden, einen Kamin voller Asche, helle Vorhänge zurückgezogen neben den Fenstern, einen Sekretär voller Pergament und Büchern. Und sie sah ein klein wenig Chaos.
Auf dem Boden waren diverse Schmuckstücke verteilt, Ringe, Anhänger, Amulette – im Abendlicht glimmende Verlockung für das Herz der Diebin. Sie trat einen unwillkürlichen Schritt in das Zimmer, bevor die Vernunft sie wieder zum Stillstand brachte. Sie wusste genau, weshalb sie hier war und diese Unordnung war für ihren Auftrag ein plötzlicher Schlag in die Nieren. Unwohlsein, das über die augenblickliche Situation hinausging, streckte die Finger nach ihr aus und erinnerte sie daran, auf welche ungewöhnliche Art ihr Auftrage zustande gekommen war.

Ihr Auftragsgeber hatte sein bestes getan, seine füllige Gestalt unter einem Berg aus Kleidung zu verbergen, hatte sogar sein Gesicht mit einer tiefen Kapuze verdunkelt, als seien sie in Ravinsthal, wo Diskretion in ihren Kreisen zu gutem Anstand gehörte. Er beschrieb genau, wo sie den gesuchten Rubinstein finden würde, im Schlafzimmer des Herrenhauses, eine schwere Schatulle in der obersten Schublade der Kommode neben der Tür. Anderer Schmuck als Ablenkung in der Schatulle, ein einfacher Mechanismus mit einer Giftnadel, wenn man den doppelten Boden ohne Bedacht herausnahm und eine Beschreibung vom Aussehen des Zielobjektes. Drei Gulden bei erfolgreicher Übergabe.
Der dicke Mann schwitzte unaufhörlich bei seinen Ausführungen und wischte sich ununterbrochen mit einem Tuch über die fahle Haut, die hier und da sichtbar wurde.
Und obwohl das südliche Servano weit von ihrer Heimat Ravinsthal entfernt war – der Mann hatte sie gefunden wie eine Falke eine kleine Maus zwischen hohen Gräsern. Unter seiner Kapuze erahnte sie stechende Augen.
All ihre Bemühungen unerkannt zu bleiben wurden mit seinen Worten weggewischt, als wäre es seine Freizeitbeschäftigung, Flüchtigen die Hoffnung zu nehmen.

'Kat, ich habe einen Auftrag für dich.'

Die kalte Stimme des Mannes in ihrem Kopf ließ nicht zum ersten Mal Schauer ihren Rücken herunter laufen. Wären die drei Gulden Belohnung nicht deutlich mehr gewesen, als sie früher sonst in einem halben Jahr verdient hatte, hätte sie niemals zugestimmt. Etwas Unnatürliches haftete der ganzen Sache an, nicht zuletzt, dass er sie einfach so gefunden hatte, nach Monaten der Flucht und des Versteckens.
Sie fand die beschriebene Schatulle auf der Kommode, jedoch zerschmettert und zerbrochen. Sie sah den herausgerissenen doppelten Boden, konnte die Überreste der Falle ausmachen – und sie war sich sicher, dass der gesuchte Rubin nicht mehr an diesem Ort war. Ein flaues Gefühl reizte ihre Kehle und alles in ihr drängte auf sofortige Flucht. Sie trat einen Schritt zurück und ihre Knie versagten ihr beinahe den Dienst, als sie unerwartet auf einen kleinen, harten Gegenstand trat. Sie benötigte mehrere schwere Atemzüge, bevor sie die Kraft aufbringen konnte, die aufsteigende Panik niederzukämpfen. Sie blickte zu Boden, wurde von einem warmen, silbergefassten gelben Schimmern begrüßt und ohne wirklich nachzudenken bückte sie sich, um den fingernagelgroßen Schmuckstein aufzuheben.
In ihren Augenwinkeln sah sie unter dem Bett hindurch auf der anderen Seite die Umrisse einer Gestalt am Boden liegen.
Kälte griff nach ihrem Herz. Sie erhob sich, trat mechanische Schritte um das Bett herum und sah.
Sie hatte den Tod bereits in einigen Formen gesehen, doch mit einem friedlichen oder gewaltsamen Ende eines Lebens hatte das hier nichts zu tun. Es war kein Blut zu sehen, keine Verletzung – der ältere Mann lag still am Boden und nur die erstarrten Züge verrieten von der unvorstellbaren, unmenschlichen Qual, die er erlitten haben musste.
Ekatalin fühlte sich fliehen. Ihre Hand umklammerte den geraubten Bernstein als wollte sie ihn in ihre Handfläche pressen.



Drei Wochen später, Gegenwart

Löwenstein war ein ungemütlicher Ort, wenn es regnete. Es war zwar nicht schrecklich kalt, doch klamme Kleidung, frischer Wind und ständig neue Schauer taten genug, um jedermanns Laune zu vergiften.
Es war später Nachmittag und die Menschen beendeten ihre Arbeiten, fluchten über das Wetter, das Essen, der Mangel an Alkohol, die Keuche, die Armut. Von dem unglücklichen Volk merke man jedoch an diesem Ort nicht allzu viel, denn wer im alten Hafen unterwegs war, hatte zumeist dringlichere Sorgen.
Das Holz der Gebäude war alt und vom Seewind durchweicht und so allgegenwärtig, dass fauliges, salziges Holz den Geruch des Viertels dominierte. Abfälle und ausgekippte Nachttöpfe taten ihr Übriges, um den Eindruck eines miesen Viertels zu vervollständigen. Das hier das Nest einer brodelnden Unterwelt zu finden war, hätte beinahe nebensächlich für diesen Eindruck sein können.
Seit etwas mehr als einer Woche hielt sich Ekatalin nun bereits in Löwenstein auf und nichts deutete darauf hin, sie könnte hier glücklich werden. Sie war sich jedoch bewusst, das viele der aktuellen Notlagen von der Keuche stammten, daher war sie bereit, ein wenig länger abzuwarten.
Zudem hatte sie hier tatsächlich jemanden kennen gelernt, der ihr nicht unsympathisch war. Vages Wohlbefinden drängte die schlechte Laune davon, als sie sich einige Momente lang an Kennan erinnerte. Unglücklicherweise war er nicht der einzige, den sie kennen gelernt hatte, doch über Marean wollte sie keine Zeit auch nur in Gedanken verschwenden. Immerhin hatten die beiden den kalten Horror vertrieben, der sie bis zu der Stadt hin im Schlaf verfolgt hatte. Es ging ihr mittlerweile wieder so gut, dass sie sogar ein wenig Hoffnung geschöpft hatte, irgendwann zur Ruhe zu kommen.
Doch dafür zuallererst musste sie dafür sorgen, dass sie eine Geldquelle fand. Sie war auf dem Weg zu einer Taverne, die sie vor ein paar Tagen im alten Hafen entdeckt hatte.
Sie wusste nicht viel über das innere funktionieren der Gesellschaft von Löwenstein, aber mit ihren Gaben würde sie laut diversen, wenig schmeichelhaften Gerüchte wohl am besten hier im alten Hafen ein Dasein anfangen können.
Theoretisch gäbe es sicher genug Gelegenheiten, auf eigene Faust etwas aufzuziehen, aber sie glaubte nicht einen Herzschlag lang daran, dass Freiberufler in irgendeiner Weise gerne gesehen waren. Und da sie im Grunde nur ein halbwegs ruhiges Leben mit einem gelegentlichen Diebstahl vor Augen hatte, war der Gedanke, irgendwelchen Hauptmännern der Unterwelt auf die Füße zu treten regelrecht unsinnig. Also musste sie irgendwie Anschluss finden, was wohl am besten durch vorsichtige Präsenz geschehen würde. Sie hatte die vage Befürchtung, dass sie zu sauber oder gepflegt erschien, um als Dieb ernst genommen zu werden, deshalb hatte sie sich Mühe gegeben möglichst abgerissen zu erscheinen. Sie hatte die dunkelroten Haare behelfsmäßig mit einem Messer schief zurück geschnitten, sie sorgfältig in Unordnung gebracht und sich mit Ruß Schmutz ins Gesicht gerieben. Ein Blick in eine Pfütze am Wegesrand hatte sie halbwegs zufrieden gestellt, aber die Gefahr, dass sie jemand aufgriff und in ein billiges Bordell steckte war natürlich nie ganz gebannt. Sie wusste sich zwar ein wenig zu wehren, aber zum einen war sie trotz allem nur eine nicht sonderlich starke, junge Frau, zum anderen wollte sie Aufregung vermeiden.
Die Mischung aus halbwegs neuen Verschlägen und Unterschlüpfen und alten, abbruchreifen Lagerhallen und Werftgebäuden gaben dem Viertel eine ganz eigene Art von Unübersichtlichkeit – zum einen konnte man sich leicht an herausstehenden Gebäuden orientieren, zum anderen waren die Wege dorthin zum Teil so verwinkelt, dass man am besten umkehrte und sich einen komplett anderen Weg suchte.
Es wunderte Ekatalin daher nicht sonderlich, dass sie plötzlich in einer Sackgasse stand, deren Ende aus einer wenig vertrauenserweckenden Wand aus altem Holzdielen bestand, durch deren Spalten sie diversen Unrat erkennen konnte. Sie schnaufte missmutig durch und wandte sich wieder um, um einen neuen Weg zu suchen.
Ein Mann versperrte ihren Weg am Ausgang der Gasse. Dicklich, braune, kurze Haare, Halbglatze, gerötete Wangen auf heller Haut. Er wischte sich mit einem nassen Tuch vergeblich über die hohe Stirn, während die freie Hand auf seinen braunen, einfachen Kleidern über der Brust ruhte, als wollte er ein rasendes Herz beruhigen. Wie eine kalte Hand griff Unwohlsein nach den Gedanken Ekatalins.
'Entschuldigt, Entschuldigt, bitte, ich bin nicht so schnell, dass ich euch ohne weiteres einholen könnte.' sprach der Mann mit einer Stimme, die von Anstrengung durchsetzt war.
Mit schweren Atemzügen setzte er sich in Bewegung, und Schritte, die zu leicht für einen Mann seiner Statur wirkten und keinerlei Anstrengung verrieten brachten ihn näher. Ungewissheit flackerte in der Diebin auf, doch sie trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
'Puuuhhh, dieser Regen macht das alles nicht besser. He, ihr braucht keine Angst zu haben, ich will nur kurz mit euch reden.'
'Was wollt ihr von mir?' Ekatalin brachte nur wenig Freundlichkeit auf, doch für den Moment blieb sie an Ort und Stelle.
'Nun…' fing der Mann an, bevor die unbetuchte, beringte Hand über seine breiten Züge strich, um Regen oder Schweiß zu entfernen. 'Ich habe ein kleines Geschäft vorzuschlagen.'
Der Mann machte keinen sonderlich bedrohlichen Eindruck, aber seine Gestalt, seine Stimme, seine Art sich die Stirn zu wischen – Erinnerungen an ihren unheimlichen Auftragsgeber an jenem Tag, an die Stille des Herrenhauses und an den schrecklichen, schrecklichen Ausdruck der Leiche flackerten ungebeten auf.
'Ich weiß,' fuhr der Mann nun mit etwas ruhigeren Atemzügen fort, 'dass ihr im Besitz eines hübschen Edelsteines seid, den ich gerne erwerben würde – und ich würde sogar deutlich mehr zahlen, als ihr hier bei einem dieser Schmuckdiebe in ihren Läden erhalten würdet. Oh, ganz nebenbei -' er hustete kurz, trat einen Schritt näher, lächelte breit und unschuldig und streckte die Arme aus um seine leeren, breiten Hände zu zeigen, 'Mein Name ist Rotander Gallmann. Erfreut euch kennenzulernen.'
'Ähm.' Ekatalin wusste nicht, was sie sagen sollte. Im ersten Moment herrschte Leere in ihrem Kopf, bevor sich misstrauische Gedanken überschlugen. Woher weiß er von dem Stein. Ich habe den Stein nicht mehr. Wieso spricht er mich hier an?
Sie musste ihn allzu misstrauisch angestarrt haben, denn Rotander wischte sich mit einem sorgenvollen Ausdruck über die Stirn, bevor er überrascht einen kleinen Schritt zurückwich.
'Du bist Kat! Verdamm’ mich, du siehst so abgerissen aus, dass ich dich nicht erkannt habe!' Seine Stimme klang fröhlich überrascht und nicht einmal der Inhalt der Worte trübte dies, doch genauso gut hätte er einen Dolch in das Herz der Diebin rammen können. Er ist es. Er ist es. Er ist es. Er hat mich schon wieder gefunden.
Sie wich zurück, unstete Schritte, bis sie von der Bretterwand im Rücken aufgehalten wurde.
'Aber, aber, Kat. Keine Angst. Ich bin nicht böse wegen der Sache neulich. Ich habe gesehen was passiert ist, und da konntest du sicher nichts dafür. Das war einfach ein unvorhergesehenes Missgeschick. Ich wäre sicherlich genauso davongerannt - wie ein Junge, der die Hosen voll hat.' Das breite Mondlächeln in seinen Zügen wurde immer breiter und gewann etwas dazu, das kein Mensch mehr fröhlich nennen würde. Im Gegensatz zu seinen Zügen lächelten seine Augen nicht – kalte, harte Berechnung formten einen brutalen Kontrast zu seinen Zügen. Ekatalin verspürte dumpfe Übelkeit, die über ihre momentane Furcht noch überstieg.
'Aaaaaber, Kat,' sprach Rotander weiter, 'wie kommt es, dass gerade du diesen Bernstein bei dir hast? Und warum ist das Zeichen jetzt so schwach? Das verstehe ich nicht, und ich bin nicht froh über Dinge, die ich nicht verstehe. Kat. Hm, hm.. Hm, hm.' Der Kopf des Mannes legte sich zur Seite, Augenbrauen stark erhoben, als wollte er einen tadelnden Blick nachahmen. Ekatalin sah nur Bedrohung. Sie suchte nach einem Ausweg, doch der einzige Fluchtweg wurde von dem dicken Mann versperrt. Sie erwog ihn anzugreifen, doch der Gedanke ihn mit ihrem Dolch anzugreifen erschien ihr hysterisch lächerlich. Ein kleiner Teil in ihren rasenden Gedanken beharrte darauf, dass etwas Unnatürliches im Spiel sei, und sie besser anfangen sollte zu beten, wenn sie gerettet werden wollte, doch stärker werdende Panik ertränkte diesen Gedanken wie eine Flutwelle kleine Hunde.
'Ich weiß es nicht, ich habe ihn nicht mehr!' spie Ekatalin hervor, bevor ihr die Gefahr dieser Botschaft klar wurde. Ich darf ihn nicht enttäuschen! Wenn er wütend wird... Der Gesichtsausdruck des toten Mannes flackerte erneut vor ihren Augen auf. Ihre Kehle schmerzte, als sie hastig Worte anhängte. 'Aber ich kann ihn holen, ich habe ihn in meinem Zimmer gelassen!'
Die gehobenen Augenbrauen des Mannes senkten sich nicht. Stattdessen erschien sein Lächeln wieder, beinahe sanft, und er nickte zufrieden.
'Wunderbar. Wunderbar, Kat. Ich wusste, dass wir gut zusammenarbeiten. Ich bezahle dich sogar, wenn du mir den Stein gibst. Drei Gulden, wie beim letzten Mal. Wie schön. Es ist erfreulich, wenn Geschäfte so gut verlaufen, findest du nicht?' Sein Lächeln gewann wieder an Kraft und sein rundes, bleiches Gesicht strahlte wie ein Mond, der Blut und Mord gerochen hatte.
Ekatalin starrte ihn nur an, unfähig ihre verworrenen, panischen Gedanken in Worte zu fassen. Ein dumpfes Gefühl an ihrem Hinterkopf gewann an Schärfe, bevor es wieder verebbte. Ihre Hände umklammerten faulige Holzplanken und übel riechende Feuchtigkeit tropfte von ihren Fingern.
Rotander verneigte sich abrupt, vagen Spott in den lächelnden Zügen, bevor er sich umwandte und gemächlich davonging. Bevor er die Gasse verließ, blieb er noch einmal stehen und warf ihr noch wie nebensächlich einige Worte hin.
'Keine Sorge wegen der Übergabe. Ich weiß nun, wie ich dich finden kann; ich komme also irgendwann demnächst vorbei. Du musst mir dann aber auch erklären, wieso gerade du den Stein hast. Das ist ungewöhnlich. Ungewöhnlich. Schönen Abend, Kat.'

Sie wusste nicht, wie lange sie zusammengesunken an den Brettern lehnte. Die Panik war vergangen und hatte einen dumpfen Geschmack von Bedrohung hinterlassen.
Die Forderung nach dem Stein stellte Ekatalin vor ein recht großes Problem. Sie hatte den Stein vor zwei Tagen Marean gegeben, damit er ihn verkaufen konnte. Sie brauchten dringend Geld um zu überleben, und sie hatte keine Verwendung für den Bernstein gehabt. Sie hoffte inständig, dass er noch keinen Abnehmer gefunden hatte.
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