"In der Fremde"
#19
Der Tag hatte so gewöhnlich begonnen, wie die meisten. In Folge der letzten Frühschicht war ich des späten Nachmtitags am Vortage hinaus in den Südwald, zu meinen Leuten - den Céad Glúin - gegangen, um Abstand von Löwenstein zu bekommen. Mittlerweile war mir unser kleines Lager im Südwald ein angenehmer Rückzugsort geworden, wenn mich die Stadtluft, das Pack, welches einem den Alltag als Stadtknecht schwer machte und der ewig wiederkehrende trott im Wachdienst anfochten. Der Umstand, dass unser Lager auf jurischem Gebiet unter Duldung dieses räuberischen Steppenvolkes bestand, geriet da beinahe in Vergessenheit.
Als ich mich am 03. Hartung dann auf den Heimweg gemacht, in Löwensein ein paar Geschäfte getätigt und mich gerade zum Wachdienst fertig gemacht hatte, überraschte mich vor meinem Zelt im Armenviertel ein Jure, den ich schon für tot geglaubt hatte: Baghatur, vom Stamm des geflügelten Speeres.
Er war der Lebensgefährte meiner kleinen Schwester Arys gewesen, als sie noch lebte. Ein Lebensgefährte, den ich keineswegs als solchen akzeptiert, sondern vielmehr toleriert hatte. Denn so sehr ich das jurische Volk auch vrachtete und ihm misstraute, zeichnete sie eine Eigenschaft aus, die ein Galatier nicht übersehen konnte - sie hielten ihre Eide genauso streng, wie meine Landsleute. Also hatte ich ihm seinerzeit mit Widerwillen einen Eid abgenommen: Wenn er schon mit meiner Schwester leben wolte, dann sollte er sie bei seinem Leben beschützen.
Besiegelt hatten wir diesen Schwur mit Blut und dem Austausch von Amuletten unserer jeweiligen Götter.
Doch Baghatur war eidbrüchig geworden.
Denn meine Schwester war letztes Jahr gestorben, zerrissen von einem Bären im Wald. Und wo war der Jure? Wer weiß wo!

Dementsprechend schwer fiel es mir, ruhig zu bleiben, als er so plötzlich vor mir stand. Wir sprachen miteinander am Lagefeuer, wie es sich gehörte - dort teilte ich ihm auch mit, wie es um Arys Schicksal bestellt war. Wo auch immer er sich in der Zwischenzeit herumgetrieben hatte - bis zu diesem Moment wußte er offenbar nicht, was mit seiner einstigen Gefährtin passiert war. Der lautere Zorn wallte dadurch nur umso mehr in mir auf. Erst die Geste der Unterwerfung, Baghatur kniend vor mir, und das zurückgegebene Amulett besänftigte mich etwas.
Sicher, sein Leben war verwirkt, das wußten wir beide sehr wohl. Unsere Bräuche gaben uns einen sicheren Pfad, der zudem sicherstellte, dass kein Beteiligter sein Gesicht verlor. Also zog ich ihn hoch, denn "ein freier Mann sollte nicht vor anderen knien" - ganz besonders nicht im Tode.
Den verzierten Speer, den er abgelegt hatte, nahm ich an mich und führte ihn in den alten Hafen. Nicht, dass ich Gegenwehr fürchtete - sonst hätte ich ihm auch seinen Knochendolch abgenommen. Er hatte mir den Speer überlassen... so war es nur Recht. Die Nacht brach schon herein und hüllte uns zunehmend in das graue Einerlei, in dem alles und jeder gleich aussah - niemand war auf den Straßßen, geschweige denn am Kai. Selbst die Spelunke zum baumelnden Wachmann war stockduster und menschenleer in der Ferne. Seit Nikos Verschwinden war es nicht mehr dasselbe im alten Hafen.
An der Bucht angekommen ging ich mit ihm wortlos hinaus zu einer der verfallenen Piers. Dort standen wir eine Weile nebeneinander und sahen hinaus auf die sich zum Meer hin öffnende Bucht. Dann sprachen wir von unserer jeweiligen Heimat und wie wenig wir doch,im beinah freundschaftlichen Spaße, von der Heimat des jeweils anderen hielten. Von Steppe und See. Gewiss, er war ein Eidbrüchiger und Jure - trotzallem hatte ich Respekt vor ihm, seiner Willensstärke und Entschlossenheit. Die meisten Amhraner wären geflohen oder hätten geleugnet, je einen Eid geschworen zu haben. Doch nicht Baghatur, der Jure.
Die Zeit am Pier nutze ich aber nicht nur für sentimanetale Gespräche über Arys oder unsere Heimat. Vielmehr prüfte ich das, weswegen ich eigentlich mit Baghatur hergekommen war: Der alte Hafen war ein fehlgeschlagener Versuch einer Hfenanlage, versandet und Opfer der Tide. Die Strömungen eben jener Tide waren der Grund: Sie drückten an dieser Stelle die meiste zeit des Tages von See her Richtung Land. Doch es war immer noch ein Spiel von Flut und Ebbe - es gab auch den Sog hinaus in die See. Auf eben diesen spekulierte ich.
Meiner Sache sicher, trat ich schließlich hinter den Juren und löste das Amulett, das ich ihm einst zum Eid überlassen hatte und er mir vorhin zurückgegeben hatte, um es erneut an Baghatur zu geben. Wenn er zu seinen Göttern ging, sollte er es aufrecht tun. Mein Großvater hatte mich gelehrt, Rache nicht mit Hass und Zorn zu verbinden, denn sonst würde daraus rasch Willkür und Unbill, die auf die eigene Sippe zurückfallen würde. Ich vertrieb jeden Zorn aus meinem Inneren, atmete tief ein und aus, bis ich ruhig und besonnen war - dann zog ich den Katzbalger aus der Scheide an der Koppel meiner Dienstausrüstung. Wenige Augenblicke, nachdem Baghatur das Amulett wieder um seinen Hals gelegt hatte, umfing ich ihn fest mit meinem linken Arm um die Schultern und trieb ihm mit einer kräftigen, fließenden Bewegung den Stahl von unten her durch den Brustkorb hinauf. Damit er nicht in Schande starb, stützte ich ihn beim Niedersinken und trug Sorge, dass sein Gesicht nicht den Sand berührte. Hand in hand kniete ich so neben ihm, bis das Leben aus ihm gewichen war.

Baghatur war tot. Arys, meine Sippe, meine Ahnen - waren gerächt.

Ich rollte den Toten hinein ins Wasser und stieß ihn mit dem Speer hinaus, wo ihn die Tide erfasste und hinaus Richtung Meer fortzog. In nur zwei Atemzügen war er in der schwarzen Masse der See verschwunden.
Der See, in der auch Arys ihre letzte Ruhe gefunden hatte, ehe sie zu den Göttern zurückkehrte.

Den vom Blut getränkten Sand scharrte ich mit den Stiefeln und Baghaturs Speer ins Wasser und wusch die Blutspritzer, die sich trotz meiner Vorsicht an Ärmeln, Handschuhen und dem Wappenrock fanden, sorgfältig ab. Ebenso reinigte ich die Klinge des Katzbalgers penibel. Hernach sah ich zwar immer noch aus, als hätte ich mich mit jemandem geprügelt - aber das war in Ordnung. Stadtknechte verprügelten schließlich oft genug Missetäter und gemeines Pack.
Zufrieden und in dem Wissen, die Ehre der Domhnaills und das Gesicht Baghaturs gewahrt zu haben, begab ich mich in Richtung Wachstube und trat den Dienst zur Nachtschicht an, als wäre Nichts gewesen. Baghaturs Speer würde einen Ehrenplatz bekommen - das war ich dem stolzen Krieger schuldig.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
"In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 05.05.2013, 14:09
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 08.05.2013, 17:30
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 31.05.2013, 17:58
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 23.06.2013, 11:41
RE: "In der Fremde" - von Lysander O'Domhnaill - 28.06.2013, 16:50
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 05.07.2013, 23:33
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 10.07.2013, 21:31
RE: "In der Fremde" - von Lysander O'Domhnaill - 23.07.2013, 23:50
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 21.08.2013, 21:03
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 22.08.2013, 12:21
RE: "In der Fremde" - von Lysander O'Domhnaill - 31.08.2013, 12:17
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 10.09.2013, 14:17
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 11.09.2013, 23:28
RE: "In der Fremde" - von Ailís Maguire - 12.09.2013, 10:42
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 12.09.2013, 22:26
RE: "In der Fremde" - von Lysander O'Domhnaill - 15.09.2013, 22:13
RE: "In der Fremde" - von Lysander O'Domhnaill - 13.11.2013, 23:02
RE: "In der Fremde" - von Baghatur - 03.01.2014, 21:36
RE: "In der Fremde" - von Lysander O'Domhnaill - 04.01.2014, 18:25



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste