Questbeschreibung Südwind
#36
Es schien, dass seit erhalt der Depesche aus dem Süden jeder Abend in der Unterkunft des Kronprinzen in einer Form von Streit zwischen den Beratern endete. Tarek ben Amar starrte aus dem vergitterten Fenster der Grenzfeste und über das mondbeleuchtete Grasmeer hinweg, fest entschlossen, die Sticheleien hinter seinem Rücken solange zu ignorieren wie möglich. Soviel an diesem Abschnitt des Fremdlandes erinnerte ihn an seine Heimat, dass es manchmal leicht war, die Sehnsucht nach den erdigen Steppen und den Glasdünen vor Al Hayat zu verdrängen. Dann jedoch tat er einen Schritt hinaus in die feuchten, mückenverseuchten Wiesen, und die Realität holte ihn wie ein Henkersbeil ein.
Nein, dieses Land war in keiner Form seiner Heimat ähnlich, und keine noch so lange Vorbereitung hatte seinen Truppen auf Dauer einen Vorteil gebracht. Alleine der letzte Winter hatte soviele ihrer Truppen geholt, dass nur der stetige Strom von neuen Untoten gegen die unerbittlich Widerstand leistenden Amhraner ankommen hatte können. Nicht, dass dieser Vorteil noch lange anhalten würde. Tarek verzog die Lippen.
"... und ich sage immer noch, dass wir auf die Truppen der Vikarin warten sollten, unsere Reihen auffüllen sollten, bevor wir den Vorstoß weiterführen," bellte die Stimme eines anderen Leichenreiters hinter ihm, nur um vom Dritten im Bunde unsittlich unterbrochen zu werden.
"Gesprochen wie ein Tempelnovize, Yasin! Sei froh dass dein Vater dich so nicht hört! Wir sind die Leibgarde des Kronprinzen, keine zitternden Soldaten, und die Depesche war eindeutig. Wir haben keine Zeit zu warten bis du dein Rückgrat findest, wir haben nicht einmal die Zeit für die Beerdigungen der Priester, und ich verstehe nicht wieso wir immer noch hier-"
"Du Sohn einer Fähe, möge dein Haar ausfallen!"
Tarek atmete tief durch und neigte den Kopf gerade soweit, dass seine Stirn die kalten Gitterstäbe des verstärkten Fensters berührte. Nacht für Nacht der gleiche Streit, allabendlich das gleiche Machtringen zwischen dem speichelleckenden Yasin, dem ungestümen Ilias, und ihm selbst. Tarek hatte sich nie für die Stimme der Vernunft gehalten, aber umso weniger Leichenreiter dem Kronprinzen noch blieben, umso stärker wurde er in die Position des Ausgeglichenen gedrängt. Mit einem leisen Seufzen erhob er die Stimme.
"Die Priester haben ihr Leben gegeben, eingedenk der Tatsache dass sie nicht mehr aufstehen würden. Es ist das Mindeste was wir tun können, ihnen die ewige Ruhe in diesem garstigen, feindseligen Land mit allen notwendigen Zeremonien zu ermöglichen. Sie haben dem Kronprinzen Ehre gemacht, waren loyal, standhaft. Die Riten kosten uns kaum vier Tage, die Truppen sind müde und desorganisiert. Nutzen wir die Zeit sowohl für Respekt, als auch um uns zu koordinieren, dann können wir der Depesche immer noch folgen."
Das zumindest sorgte für kurzzeitiges, murrendes Einlenken der anderen zwei Berater, und Tarek riskierte einen Blick über die Schulter zum Thron in der Mitte des kleinen Raumes, hin zum Kronprinzen. Wie zu jeder Strategiebesprechung trug er auch dieses Mal seine Beinerne Maske, gab sich still und reglos, erhoben über die Zankereien des einfachen Volkes, ein Verhalten das er sich von seinem Vater, dem Sultan von Al Hayat, abgeschaut hatte. Wo es aber beim Sultan respekteinflößend wirkte und nicht nur eine gewisse Sicherheit vermittelte, sondern auch tiefste Loyalität in seinen Truppen erweckte, da wirkte der Kronprinz mehr wie ein grantiger Untoter, der über seinen nächsten Brocken lebenden Fleisches nachdachte. Unbeholfen, unkoordiniert, verträumt. Unwürdig, auch wenn Tarek diesen Gedanken niemals aussprechen würde.
"Es ist schierer Wahnsinn hier zu bleiben!" fuhr Ilias schließlich wieder auf, zunehmend unruhig ob der Anspannung im Raum. "Umso länger wir warten, umso länger wir uns mit Zeremonien und Gebeten aufhalten, umso mehr Zeit haben die Amhraner, sich für einen Gegenangriff zu rüsten! Mit so wenigen Truppen und ob der gebotenen Eile sollten wir-"
Ein mildes Regen des Kronprinzen und das damit einhergehende Knirschen alter Knochen ließ Ilias allerdings verstummen, eine Instinktreaktion die seinen Gegenspieler Yasin zum boshaften Schmunzeln brachte. Auch Tarek wandte sich allerdings nun der schmalen Gestalt des Prinzen zu und trat näher, fort vom Fenster, um den sicherlich folgenden Worten zu lauschen.
Die helle Stimme des Prinzen wurde von der Maske etwas verzerrt, stumpf und hallend als würde sie aus dem Zwiereich selbst kommen. "Den Priestern wird die Ehre zukommen, die ihnen gebührt. Nur durch sie konnte dem Häretikervolk gezeigt werden, welches grausige Schicksal ihnen blüht, so sie sich dem Götterpaar und seinen Dienern auf der Irdischen widersetzen. Selbst die verräterischen Pläne des Vikars dürfen niemals über unserer Frömmigkeit stehen."
Tarek konzentrierte sich reglos und verbissen darauf, seine Oberlippe nicht zu kräuseln, nicht zu verraten was er von der 'Machtdemonstration' - und dem Preis den die sowieso schon zu kleine Truppe dafür gezahlt hatte - wahrlich hielt. Alle fünf Priester in einem Schlag für Nichts und wieder Nichts zu opfern war der Gipfel der Dummheit gewesen, und doch hatte niemand gewagt, Einspruch gegen die Order des Kronprinzen zu erheben.
"Am dritten Tag der Woche werden die Beerdigungsriten vollendet sein. Am dritten Tag der Woche werden wir uns wieder auf den Weg machen. Dann werden wir die Verteidigungsringe der Häretiker durchbrechen, ihre Glieder zerschlagen, ihre Ahnen zu unserem Mordwerkzeug machen, und eine Schneise in den Süden schlagen, aufdass der Vikar der erdigen Lande die Konsequenzen für seinen Verrat zu spüren bekommt. Und eure Aufgabe, meine Berater, ist es, diesen Vorstoß zu planen."
Für den Moment des schockierten Schweigens vermochte Tarek die Augen zu schließen und sich darauf zu konzentrieren, dem aufkommenden Schwindel nicht nachzugeben. Die Fassung zu wahren. Der Stille nach waren auch Yasin und Ilias vorerst bar jeder Worte, aber Widerspruch war Häresie. Auf die schiere Überzahl der Amhraner in Servano hinzuweisen wäre Impertinenz. Den Befehl nicht auszuführen käme einem Aufstand gleich.
Nein. Alles was Tarek blieb war sich zu verneigen und den improvisierten Thronsaal mit dem angemessenen Halbdutzend an Verneigungen zu verlassen, dicht gefolgt von Ilias und Yasin.
Zum ersten Mal in seinem Leben empfand Tarek so etwas wie Furcht vor dem Tod, denn dieses Mal würde niemand seine Knochen aus der Erde erheben und ihm ein neues Leben einhauchen. Oh nein. Die endgültige Ruhe kam näher und näher.
[Bild: _rainbowsheep.gif~c100]
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