Von der Macht der Feder (Mitmachthread: Forschungsgruppe "geborstenes Schwert")
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Marit Stein liebte diese Arbeit nicht nur, nein, sie blühte förmlich auf zwischen den Registern, Kopialbüchern, Landtafeln und Zinsregistern, wie eine seltsame, vernachlässigte Pflanze, die kein Sonnenlicht braucht, um ihre Blüten zu entfalten, sondern Staubmäuse und Pergament. 

Endlich einmal machte es sich bezahlt, einen Vater zu haben, der Beamter war. Er hatte seinen Kindern in den Hammerhaller Jahren nicht nur Schreibunterricht erteilt, sondern sie auch eingespannt, wenn das Archiv durchsucht und das Grundregister durchforstet werden musste, weil wieder einmal ein Streit um einen nächtens versetzten Grenzstein die sonst schwer erregbaren Nortgarder Gemüter in helle Aufregung versetzt hatte. Auch wenn jemand vorgab, ein armer Schlucker zu sein und sich um Steuern drücken wollte, machte es Sinn, sich die Archive vorzunehmen. Es war nicht nur einmal vorgekommen, dass sich in den Grundregistern plötzlich Information zu Landbesitz fand, der - gewiss unabsichtlich! - vorher unterschlagen worden war.

Die Sonne ließ sich in Nortgard so selten blicken, dass die Zeiten rar waren, in denen man ohne zusätzliches Licht auskam. Das Resultat waren allerdings zunehmend maulwurfäugige Archivare. Die Augen der jungen Steins waren noch nicht verdorben von jahrelangem Lesen beim spärlichen Licht einer Funzel. Zuweilen wurden daher die Sprösslinge eingespannt, wenn sich eine Suche als besonders umfangreich herausstellte oder Dokumente gewälzt werden mussten, die so alt waren, dass die Schrift scheußlich blass und schier unleserlich geworden war.

Marit nahm sich also die Grundregister vor, ein Jahr nach dem anderen. Vaters Mantra war immer gewesen: "Folgt den Gulden." Wer den Gulden folgte, fand unweigerlich Geheimnisse. Man wusste zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dass Pandrus Parabur spurlos mit seiner Familie verschwunden war. Vielleicht war es aber mit der Spurlosigkeit gar nicht so weit her? Sie konzentrierte sich darauf, nur nach dem Nachnamen "Parabur" zu suchen. Einen Auszug aus einer alten Gösselpost hatte sie dabei stets vor sich liegen. Konnte es möglich sein, dass der Schmied noch andere Häuser in der Stadt besessen hatte? Häuser, die ihre eigenen Geheimnisse bargen?

Zuweilen hörte man Quasiehrwürden Stein wohlig seufzen und sah sie gar zufrieden besonders ordentlich verfasste Zeilen abnicken.

Zitat:810 wechselte das Haus schliesslich den Besitzer, der neue Eigentümer Pandrus Parabur ist zugleich als Gründer der Zunft der Schmiede aufgeführt. 
Zeitgenössische Berichte beschreiben ihn als einen hitzköpfigen, zur Gewalt neigenden Mann, der voller Eifer danach trachtete jeden ihm entgegengebrachten guten Willen mit Grobheit und Unhöflichkeit zu vergelten. 


Unbestritten war jedoch sein Glück: Bei den schweren Überflutungen von 812 und 815 war sein Haus nahezu das einzige, das den Fluten trotzte. 818 fertigte Parabur das spätere Richtschwert Garmelin820 folgte der schon lange verschollene Zwilling Jazinder

Obgleich hoch gelobt für seine Arbeit war der Schmied nicht zufrieden und was wie harmloser Eifer begann, wandelte sich schliesslich zur Besessenheit: Nächtelang qualmten die Schlote ohne Unterlass und der helle Klang von Hammerschlägen raubte den braven Bürgern den Schlaf.

Als die Stadtwache dann am Siebten Wandelmond 825 die Türen zur Werkstatt aufbrach, fand sie jedoch keine Menschenseele im ganzen Haus. Weder vom Schmied selbst, noch von seiner Frau, den drei Kindern oder den beiden Lehrlingen wurde auch nur ein Fitzelchen gefunden. Was man dafür fand war eine zerbrochene Klinge, die später als Mahnung über dem Türstock in das Mauerwerk eingefügt wurde.

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Von der Macht der Feder (Mitmachthread: Forschungsgruppe "geborstenes Schwert") - von Marie Philippa Strastenberg - 24.06.2017, 23:15
RE: Von der Macht der Feder (Mitmachthread: Forschungsgruppe "geborstenes Schwert") - von Marit Stein - 29.06.2017, 19:16



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