[Schattenlos] Es ist sicher
#16
Die nicht chronologische und unvollständige Wiedergabe der Ereignisse auf der anderen Seite.


Seine Augenflüssigkeit schien zu erfrieren ob der plötzlichen eisigen Kälte im Theater. Die ohnehin schon miserable Sicht, die seit dem ungewollten Auftauchen der Sechs in diesem Zerrbild von Löwenstein sich mit jeder Stund verschlechterte, kam ihm abhanden. Reflexartig ergriff die linke Hand den hölzernen Geländerholm. Halt suchend in einer Welt, die im Rückzug begriffen war. Selbst das Holz strahlte umbarmherzige Kälte aus. Zeichen genug, die Augen trotz großer Müdigkeit offen zu halten und vor allem nicht zu verharren. Bei dieser klirrenden Kälte hilft Bewegung – wenngleich nicht für lang. Bloß nicht einschlafen, nicht stehen bleiben, nicht zur Eisskulptur verkommen. Die Augen öffnen sich, blicken ein letztes Mal zum abgerissenen Arm, der zu irgendeinem Körper gehörte. War es der Gesuchte? Er sah hinab, den Kotzwunsch unterdrückend, und mit Panik in Stimme mahnte er die Fünf zur Bewegung. Erfüllt von Trägheit schleppte er sich die Treppe hinab zu den anderen. Auf der quälend lange Reise dämmerte ihm, dass dies seine zur Wirklichkeit gewordene Erinnerung an die Umstände an Ravinsthal sind. Bedingungen, denen er sich durch die Abreise aus genannten Lehen entzog. Hinfort von unwirklichen, lebensfeindlichen Bedingungen, die er nicht länger ertragen wollte. "Heimatgefühle – fliegt doch einfach wie Schneeflocken davon!"

Seine Augen öffnen sich neuerlich. Zurück im Spiegelraum, der ganz offenbar als Falle ausgelegt wurde, so nah an der Treppe und durch nur eine Türe geschützt. Sie sind vor Tagen mit wachsamen Augen hineingelaufen. Verschwunden und nun: Zurück
Freude kam nicht auf oder doch, er bemerkte es nicht. Er wollte weg. Hinfort von hier und hinein ins Bett. Und zu ihr. Zu ihr, obwohl sie ihm anfangs mit gehobener Distanziertheit begegnete. Wandlung durch Annäherung – vielleicht jedoch auch nicht. Und als ihm gerade ihr Gesicht im Geiste auftauchte, erklang es unweit seiner Wandanlehnposition "Mithras obsiegt" "Immer" "Immer" "Immer" – kehlte es siegestrunken zurück. Ein fahriger Blick seinerseits zu den Legionären des Lichts. Und in seiner Gedankenwelt überkam ihm eine andere Erinnerung, die die Sechs ein Glück nicht in der falschen Ebene aufsuchte. Vielleicht war seine Erinnerung auch zum Glück zu vage. Zum Glück und er dachte an die Worte von Fräulein Winter in der Akademie. Die detailose Erwähnung ihrer anderen Erinnerung. Glück und Glück.

"Mithras obsiegt!" "Immer" "Immer" "Immer" hallte es abermals, jedoch nur in seinem Kopf. Sein Gesicht war vor Anstrengungen, Hunger und Müdigkeit gezeichnet und so muss sein nunmehr angrifflustiges Mimikspiel kein Aufsehen erregt haben. Ein blauer Strich über ein blaues Meer fällt auch selten sofort auf. In seinem Kopf formte sich tobend die Aussage: "Mithras obsiegt mit oder ohne euren Dasein. Ihr beschissenen Knilche der Banalisierung. Wer zu jedem Anlass die göttliche Schaffenskraft erwähnt, wird irgendwann kein Gehör mehr finden."

Er entzog den Lichtgestalten die Aufmerksamkeit, es dröhnte zu sehr zwischen den Ohren. Blicke zum ohnmächtigen Fräulein Strastenberg. Prüfende Blicke – kein Blut, sie atmet, sie lebt. Die anderen fünf gleichsam. Auf dem Rückweg vom Löwen achtete er auf die Fünf, wenn auch nur blicktechnisch. Die anderen, die Retter – er kannte davon eh kaum wen – waren ihm gleich. Nur hier bleiben sollte niemand. Dieses Zerrbild verschlang sich selbst. Unschärfe gewann an Stärke und keine acht Schritt weiter, war einfach Nichts mehr zu sehen. Eventuell war dahinter auch wirklich Nichts mehr.

Nur hier bleiben sollte niemand. Fräulein Nadja, die die Gruppe vor einigen Tagen aufsuchte, blieb definitiv zurück – oder? Wie auch dieser grobschlächtig-verbale Typ vom Alten Hafen. Sie alle sind, oder waren, verknüpft mit Herr Andras. Soviel erfuhr er aus dem emotionslosen Verhör, dass er mit Fräulein Nadya führte. "Ihr seid tot" "Ihr wurdet tot gefunden – was macht ihr hier?" Emotionsloser Arsch, doch musste er egal wie, Antworten erhalten, auf dass Anouk es übermitteln konnte.

"Emotionsloser Arsch. Hah."

Ein Stück der Fassade perlte von ihm ab. Zeit, die Wunde zu behandeln, ehe es auffällt.

Zurück in Hohenquell, wo es herrlich nach Kuhscheiße duftet. Ein Geruch, der von Heimat kündet.

"Essen, endlich wieder Essen mit Geschmack...Und Trinken, Erdbeersaft!"
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[Schattenlos] Es ist sicher - von Armaud - 07.02.2017, 00:27
RE: [Schattenlos] Es ist sicher - von Armaud - 06.04.2017, 14:20
Gespräche zwischen Tür und Angel - von Armaud - 09.04.2017, 22:53
RE: [Schattenlos] Es ist sicher - von Armaud - 23.04.2017, 19:44
RE: [Schattenlos] Es ist sicher - von Armaud - 10.05.2017, 18:28
RE: [Schattenlos] Es ist sicher - von Armaud - 18.05.2017, 11:34
RE: [Schattenlos] Es ist sicher - von Leevin Waldwind - 21.05.2017, 22:34



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