FSK-18 Vom Niemand zum Fuchs
#2
Manche Schmerzen waren leichter zu ertragen als andere. Das war eine Regel, die ab einem gewissen Alter jedem Menschen unweigerlich bewusst werden musste.
Genau genommen waren die meisten Schmerzen einfacher Natur. Man bricht sich den Arm, die Nase, den Fuß... man humpelt eine Weile mit Krücken und einem hübschen Verband herum, man reisst den Verband irgendwann ab, merkt, dass der Knochen noch immer gebrochen ist; schont sich eine Weile länger... aber irgendwann, da ist er verheilt und man weiß nicht einmal mehr, wie es sich angefühlt hat. Mit einem gebrochenen Herzen ist es ähnlich, auch wenn der Heilungsprozess oft ein deutlich längerer ist.

Während die Weißhaarige den Blick an die Zimmerdecke schweifen ließ versuchte sie, sich bewusst den Gedanken auszusetzen, die sie quälten. Es war gar nicht leicht zu sagen, ob sie sich nun, da sie Lawin die Wahrheit erzählt hatte, besser fühlte oder schlechter. Aber genau genommen gab es in diesem Fall keine Besserung. Wäre es eine Lösung gewesen, wenn er sie angewidert weggestoßen hätte? Vielleicht. Ein Bruch kann - egal wie lang es dauert - heilen. Ein Bein ebenso wie ein Herz. In diesem Fall war es... schon beinahe erschreckend ereignislos verlaufen. Anders wusste sie es nicht zu beschreiben. Es hatte viele - nein, unzählige Momente gegeben, in denen sie die Beherrschung hätte verlieren können. Sie hätte sich ihm ohne jede Vorwarnung an den Hals werfen oder ihn einfach des Nachts nackt in seinem Bett überraschen können. Aber das war eben nicht ihre Art. Da gab es genug andere, die diesen Weg gewählt hätten, und es lag nicht länger in ihrem Interesse, den Wegen anderer zu folgen. Und ihr Weg war eben....so unspektakulär wie ihr Geständnis.
Ausserdem wusste sie, wie das Ende vom Lied ausgesehen hätte. Er wäre um eine - zugegeben zweifelhafte - Erfahrung reicher geworden und sie hätte den letzten Rest an Selbstachtung verloren.

Unter einem tonlosen Seufzen drehte sie sich auf die andere Seite und stützte den Kopf auf die Hand. "Es ist alles gut." hatte er gesagt.
Dabei war nichts, nicht das Geringste gut - nicht für sie. Denn die Wahrheit auszusprechen änderte nichts an ihr. Sie würde weiterhin zusehen, wie andere haben konnten, was sie nicht hatte. Und das war nicht einmal das Schlimmste... so lange es so endete wie bisher.
Schlimm würde es werden, wenn irgendwann jemand käme, der es schaffte, ihn zu halten. Daran zu denken ließ gleichermaßen Scham wie Übelkeit in ihr aufsteigen. Was für ein verdammtes Recht hatte sie, ihm das nicht zu gönnen?
Andererseits gönnte sie es ihm ja. Nur eben nicht...mit anderen Frauen.
Immerhin hatte er sie nicht weinen sehen. Das war nicht viel, aber etwas.
Es war noch nicht alles verloren. Sie hatte noch wenige Stunden zu schlafen und ihr Gepäck stand zur Abreise bereit. Lawin hatte sie zwar bereits wissen lassen, dass Ravinsthal nicht weit genug vom Schuss war, um ihn loszuwerden - aber zumindest würde sie sich nicht weiter mit seinen Liebeleien beschäftigen müssen.
Positiv denken war sicherlich ein guter Anfang für eine katastrophale Zeit.
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Vom Niemand zum Fuchs - von Aluna Herbstlaub - 25.01.2017, 07:32
RE: Vom Niemand zum Fuchs - von Aluna Herbstlaub - 29.01.2017, 09:44



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