Warten auf die Dämmerung
#7
Es war nicht mehr "mitten in der Nacht" und ihre Schritte waren schnell und zielgerichtet. Dies war kein Ort an dem sie sein sollte, und sie hätte Schwierigkeiten gehabt ihr Hiersein räsonabel zu erklären, auch wenn es ... zumindest halbwegs räsonabel war. Derlei Dinge waren nie ganz einfach zu erklären, entsprechend wurden ihre Schritte in den Gängen der Vogtei, in der sie des Nachts definitiv nichts zu suchen hatte, noch einmal etwas schneller. Durch das Schreibzimmer hindurch - etwas streifte ihre Beine. Die Katze. Ohne Aufhebens, wie es Katzen oft bei gerade jenen Taten, die ihnen nicht viel Aufmerksamkeit widmeten und sie entsprechend auch nicht irritierten. Weiter in die Gänge. Ein flüchtiger Blick zu den Türen, und auf leisen Sohlen Schritt sie weiter voran, dem Ziel entgegen. Die Tür am Ende des Ganges zu ihrer linken - leise öffnete sie diese.
Ihre rechte Hand wanderte in die Innentasche des Mantels - alles war da. Ein schneller Handgriff...

... und eine handvoll Zuckersteine fand ihren Weg auf den Beistelltisch des pedantisch untadeligen Kämmerchens, hinter dessen Vorhängen Fräulein Strastenberg schlief, und Violetta in diesem Moment einen Punkt daraus machte, aus Respekt keine Notiz davon zu nehmen, wie sie atmete oder schlief, um nicht in die Verlegenheit zu kommen beim Erfragen eine schmerzhafte Antwort durch einen Blick beweislastiger Sorge zu erzwingen. Niemand weiß Schlaf und die Privatheit des Schlafes so sehr zu schätzen wie jene denen er geraubt ist und für die er ein ernster Kampf ist, jede Nacht. Es lag ein ganz spezieller Segen darin die Dinge im Vagen lassen zu können, bis man sie mit sich selbst geklärt hatte. Und Violetta wäre dann schließlich immer noch da. Und natürlich würde es noch lange Zeit erfordern, bis die Vorfälle der letzten Wochen verarbeitet waren... aber die Spuren gänzlich zu verwischen als wäre es nie geschehen... das war nun nicht mehr möglich.

Ein kurzer Blick fiel auf das Nachtlager das Fräulein Strastenberg ihr auf dem Boden eingerichtet hatte. Sie hatte es sich nicht nehmen lassen ein Kissen mehr hinzuzulegen als Violetta gewollt hatte (keines), gerecht genug für sie - sie schlief selten anders. Sie würde das Kissen bei Seite legen wenn sie am frühsten Morgen wiederkam, sagte die wohlgemessene Widerspenstigkeit in ihr, der Anstand gebot ihr es zu nutzen, zu lächeln und dafür zu danken - es war eine reizende Geste.

Das kleine Kistchen aufhebend, das sie am Eingang zum Schlafgemach zurückgelassen hatte, schritt sie auf leisen Sohlen hinüber in den Gemeinschaftsraum um das Kistchen sorgsam auf dem Tisch zu entleeren, und dort eine reichhaltige Mahlzeit für den nächsten Tag, bestehend aus zwei gerösteten Schweinskeulen, etwas geröstetetem und eingelegtem Gemüse (aus Anstand und Gewissen - dies war eine Geste der Höflichkeit, kein Anschlag auf das Wohlbefinden des Beamtenapparats), einem gestern gebackenen Brot, und einem heute gebackenen Streuselkuchen ohne weitere Notiz bereitzulegen.
Sie hatte keine Eltern die es ihr je beigebracht hätten, aber sie war in vielen Haushalten auf unterschiedliche Art und Weise zu Gast gewesen. Selten höflich, oft schlichtweg nur um Spuren zu verwischen. Aber sie hatte gelernt sich nützlich zu machen wo sie als Gast empfangen wurde. Sie hatte gelernt, dass grundlegende Höflichkeit nie vergessen wurde.

Wenige Momente später hatte sie die Pforten der Vogtei wieder durchquert um der Nacht entgegenzublicken. Das tat sie nicht unbedingt mit Vergnügen.
Die Nacht war und blieb die schwierigste Zeit für sie um am Leben zu sein - und jedes Mal aufs Neue galt es sie durchzustehen. Und so spazierte sie noch eine Weile bemüht gedankenlos durch die Straßen Löwensteins. Erst als die Dämmerung näherrückte und ihr Frieden versprach, fand sie ihren Weg zum Nachtlager.
Und als die Schreiberin erwachte, schlief sie bereits auf ihrem Nachtlager am Boden, irgendwann zum frühen Morgen zurückgekehrt, beinahe wie ein streunendes Haustier unangekündigt, ohne weitere Spuren des nächtlichen Treibens, aber hier, in der gespürten Gesellschaft, vielleicht etwas friedlicher ruhend.
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Warten auf die Dämmerung - von Violetta Winter - 26.09.2016, 10:44
RE: Warten auf die Dämmerung - von Violetta Winter - 06.01.2017, 16:47



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