Die Ketten der Freiheit
#1
Goran stand wieder einmal in der Schmiede, seine keulenartigen Arme betätigten unermüdlich den Blasebalg der Esse in jenem Takt, den er sich in den vielen Jahren der schweißtreibenden Arbeit angeeignet hatte und der die Kohlen zuverlässig bis zur Weißglut trieb. Die Funken die dabei aufstoben und teilweise auf seinen nackten, massigen Unterarmen landeten nahm er schon gar nicht mehr wahr. Er war eins mit dem Feuer, der Glut und der Wärme - und später würde er eins mit dem Hammer werden.
Es war kein alltäglicher Auftrag, den Leevin ihm erteilt hatte, doch schwierig zu bewerkstelligen war er nicht. Eine Kette, eine gesprengte Kette wollte Waldwind haben, in deren Mitte eine Axt steckte. Wahrlich ausgefallen, aber die Bedeutung dieses Werkstückes, nämlich die Erinnerung an die Befreiung aus der Sklaverei der Ulgard durch Mithras war etwas, das ihn mit Stolz und innerem Frieden erfüllte.

Er schmolz den Stahl in der nun betriebsbereiten Esse ein und als er sich verflüssigt hatte, goss er ihn in lange Stabformen. Das nun vorgeformte Metall ließ er nur kurz abkühlen, bis es nicht mehr flüssig, aber noch rot glühend und elastisch war. Während er den Stahl unter fast sanften Hammerschlägen um einen ovalen Formgeber trieb, ihn immer und immer wieder darum herum wickelte, erfasste ihn erneut die Begeisterung für diesen Werkstoff. In kalter Form so hart, so unnachgiebig, war er doch durch Feuer und Hitze so wandelbar, formbar... wunderbar. Mit einem Meissel sprengte er die Kettenglieder an der Oberseite auf, trennte sie von einander und hämmerte sie anschließend so in Form, dass sie ein geschlossenes Oval bildeten. Dabei verwob er die Kettenglieder miteinander, bis eine, etwa einen halben Schritt lange Kette entstanden war.
Zufrieden betrachtete er die Kette, ehe er sich das mittlere Kettenglied nahm und es mit dem Meissen an einer Stelle auseinander trieb. In die entstandene Öffnung rammte er die Handaxt mit der mithrassonnenförmigen Aussparung im Axtblatt, bis die Klinge tief im Kettenglied steckte und ohne Gewalteinwirkung nicht mehr zu bewegen war.

Tief durchatmend richtete er sich auf - es war vollbracht!
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#2
Pech und Glück nacheinander ist meist ein gutes Omen. Auch das Schlechte vergeht mit der Zeit, oder wird schlicht durch noch schlechterem ersetzt. Meist jedoch bricht rechtzeitig das Licht hervor, verdrängt das Schlechte, und sorgt für alte oder zumindest ähnliche Verhältnisse.

Der Dicke nahm ihm jede falsche Hoffnung, für sein Problem gäbe es einfache Lösung. Am besten eine, die sein Verstand sofort verstünde. So ganz ohne langes Überlegen, Grübeln und Verwerfen von verwirrten Gedankensträngen. Heraus stolpern, bloß weg vom Dicken, und frische Luft einatmen. Schlendern hinüber zum Bankhaus von Löwenstein. Davor: Sein Glück in Form von zwei Meistern ihrer jeweiligen Fachrichtung - Fräulein Larjia und Herr Felsenschlag. Nun, angeblich soll Fräulein Larjia keine Meisterin sein - noch nicht. Doch an ihrer Arbeit konnte er noch nie einen Makel finden. Eigenes Unwissen behütet den Makel des Anderen manchmal zuverlässig. Er platzte uncharmant in das Gespräch hinein. Den beiden schien es offensichtlich nicht zu stören, vielleicht kennen sie noch mehr solcher ungeduldiger Störenfriede. Ganz bestimmt. Wer kennt sie nicht, die gefürchteten Besteller: zu gestern, und beste Qualität zum Wegwerfpreis.

Eine Woche später holte er den bei Meister Felsenschlag den Gegenstand seines Wunsches ab. Die Kettenglieder gleichmäßig, nicht zu schmal, nicht zu auffällig und alles einnehmend. So kam das eigentliche Prunkstück des Werkes, die einpresste Axt mit der Blattschneide in einem Kettenglied, angenehm zur Geltung. Ungeduldig, angetrieben vor Neugier betatschte er das kalte Stück. Fingerglieder zogen ertastend über die Oberfläche. Ein beinahe glattes und gleichmäßiges Gefühl offenbarend. Wie auch immer Goran dies vollbrachte. Es war aus seiner Sicht genau richtig. Fast, als hätte er ihm eine detailgetreue Zeichnung gegeben. Hatte er natürlich nicht. Doch Goran wusste wahrscheinlich schon beim Erzählen des Wunsches, was der Schwarzkopf da will. Kein Grund zu klagen, nur der blanke Dank.

Jetzt müsste er nur noch Fräulein Larjia abpassen. Am besten auflauern, trotz der Gefahr böse Worte oder gar Schlimmeres an den Kopf zu bekommen. Doch er fand die Zeit nicht. Das beschissene Indharimer Pack sorgt für unschöne Ablenkung, oder genau die richtige Ablenkung. Vergessend, was ihm noch bevorstehen wird. Eine gewiss langwierige Suche, die sich dumpf am Horizont ankündet. Doch ehe diese Suche beginnt, will er noch das Gebet und die Schenkung zum Allsehenden vollbringen. Schadet gewiss nicht. Seine Zuversicht war angebrochen, er musste sich immer häufiger zwingen die Maske aufrechtzuerhalten. Sie hing ihm jedoch öfters als nötig schief im Gesicht. Und wo es an Zeit mangelte, da erschien ihm der Wunsch, den Larjia umsetzte, umso passender. Drei formhübsche Holzfiguren für außen, damit sie nicht gleich davon modern, will sie eine Art Beschichtung auftragen. Für diese Technik hatte sie sogar einen Begriff. Den Schwarzkopf längst verdrängte. Klang hochtrabend. Drei Figuren auf einer hölzernen Plattform befestigt. Die Figuren nicht größer als eine Handlänge. Larjias Handlänge. Eine Figur im Gebet vertieft, die daneben sich an der ersten Figur an einer Schulter festhaltend und die dritte Figur, die hingeflogen ist, wird von der zweiten Figur aufgeholfen. Figur 2 und Figur 3 mit panischen Gesichtszügen. Ganz so, als wäre der Schrecken nicht mehr fern. Das Ausarbeiten der Gesichtszüge wird gewiss die Fingerfertigkeit fordern. Er wäre dazu jedenfalls nicht in der Lage. Es würden Gesichter ohne Gesichter werden, oder Gesichter, die nach platt gedrückten Visagen monströsen Ausmaßes aussehen.
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