Briefe an Mutter
#1
Das Kerzenlicht flackerte ein wenig in der zugigen Schankstube. In der einen Ecke saß ein Mäuschen und knabberte an einen Stück herunter gefallenem Brot. Die Wirtin war so früh am Morgen noch gar nicht richtig wach und begann mit wenig Elan und großen Augenringen den Eintopf des Tages anzusetzen. Helga hatte sich einen warmen Kräutertee bestellt in der Hoffnung zumindest ihre Knochen ein wenig wärmen zu können und die langen, schlanken Finger von der schmerzenden Steifheit zu befreien, die die kalte Winternacht im Freien bei ihr hinterlassen hatte. Sie dankte Mithras dafür aus dem frostigen Regen heraus und von der matschigen Strasse weg zu sein. Jedoch nur im Stillen. Dies war kein Ort an dem man den einzig Wahren offen preiste. Und doch schien es ihr eine gute Wahl zu sein. Sie hatte silendirer Farben gesehen, auf dem Weg hier her. Sie hatte Höfe gesehen, die dazu einluden sich ein Nest zu bauen. Tiefe, dunkle Wälder die sie mit Versprechungen von reichen Jagden lockten. Sie war gestern Nacht zu einem Entschluss gekommen. Sie würde jegliche Lasten die sie noch trug hinter sich lassen. Jedweder emotionaler Ballast, der wie schwere Marmorgewichte auf ihren Schultern lag, würde von ihr abfallen. Der erste Schritt, der schmerzhafteste, war getan. Noch war ihr Herz in Eis gehüllt und die Pein über ihre eigene Entscheidung drohte sie völlig nieder zu drücken. Doch sie wollte nicht bedauern und sie wollte nicht bereuen. Zeit heilt alle Wunden - sagte man das nicht so?
Der nächste Schritt war ein deutlich Schwererer. Sie hatte etwas Briefpapier in ihrer Tasche. Sie hatte immer Papier in der Tasche. Und sie würde es dafür verwenden ihrer Frau Mutter zu schreiben. Sie würde alles gut machen, keine Angst mehr haben und beten, dass die Hoffung auf Versöhnung ihr etwas den Geist leichter machen würde.
Sie begann zu schreiben, als die müde Wirtin die dampfende Tasse Tee auf Helgas Tisch stellte und der Duft von frisch aufgekochten Kräutern ihrer Nase schmeichelte und sie tief und kräftig durchatmen ließ.




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Geliebte Mutter,

ja dies ist die Handschrift deiner Tochter. Ich lebe noch und bin wohlauf. Leider kann ich das nicht von Halvar sagen. Ich weiß nicht wo er ist. Er verschwand und hinterließ ein großes Loch in meinem Herzen. Wir beide wissen aber, dass er sich durchschlagen wird, egal wohin es ihn zieht. Und ich bin davon überzeugt, dass er irgendwann zurück kehrt und ein paar Narben und Freundschaften hinzu gewonnen hat.
Ich schreibe dir, weil ich es dir schulde. Weil mein Gewissen mich plagt und auch, nicht ganz uneigennützig, weil ich deine Schulter brauche. Jetzt mehr denn jemals zuvor. Ich habe in diesen letzten Monaten das durchleben müssen, wofür andere Mädchen Jahre haben. Ich habe mich stets gewehrt diese Erfahrungen zu machen und nun treffen sie mich unvorbereitet und wie ein Hieb mit der Eisenkeule.
Mutter, wieso hast du mich nie gewarnt vor dem wankelmütigen Herzen eines Mannes? Wieso ist es so sprunghaft? Ist es immer so? Liegt es an mir? Was könnte ich falsch gemacht haben?
Ich wollte heiraten. Endlich dachte ich, dass ich es richtig machen würde. Das er der Richtige wäre. Ein Baron war er gewesen Mutter. Du hättest so stolz sein können. Ich liebe ihn. Ich liebe ihn so sehr das es mich beinahe umbringt. Ich habe alles getan was in meiner Macht stand ihn für mich zu gewinnen. Ich hatte sein Herz und er hatte das Meine. Und dann habe ich es verloren. Ich habe es zerstört und das reißt mich in den Abgrund. Du weißt wie es ist, wenn man stark sein muss aber deutlich spürt wie der Boden sich unter einem auftut, man die Tränen nicht ewig zurück halten kann und auch wenn man sich so sehr an die kleinste Hoffnung klammert doch irgendwann realisiert, dass es nichts Echtes ist. Er sagt er liebt mich, Mutter. Was mache ich daraus, wenn er trotzallem eine Andere wählt? Sind es lügen? Ist er wirklich politisch gebunden? Wie erkennt eine Frau die Wahrheit und wie schützt sie sich davor? Hätte ich diese fragen doch nur früher gestellt.
Ich habe getan was ich für rechtens hielt. Ich bin gegangen, Mutter. Ich habe meinen Stolz behalten und mein Herz verloren. Und ich weiß nicht ob ich mich davon jemals erholen werde. Ich habe nun alle Lehen Amrhans gesehen und es hat mich schlussendlich in das Düsterste getrieben. Es erdrückt mich und zeitgleich ist es eine dunkle, willkommene Umarmung und ein leiser Hoffnungsschimmer, das doch alles gut wird. Ich werde wohl selbst keine Mutter mehr. Das Alter jagt mich mit scharfen Krallen und ich spüre das bald die Zeit abgelaufen ist. Ich merke jetzt erst welch' Schande ich über unsere Sippe brachte. Und auch was mich mein eiserner Trotz kostet. Übrig bleibt nur Einsamkeit, Ratlosigkeit und ein gebrochenes Herz.
Sag Vater, das es mir leid tut und das er immer Recht gehabt hatte. Ich war töricht ihm nicht zu gehorchen. Ich bete darum das ihr mir verzeihen möget. Ich bete darum die Antworten zu erhalten, die ich gerade so sehr brauche.
Ravinsthal ist nun mein Heim, Mutter. Ich weiß das war immer dein Traum gewesen. Ich werde ihn für dich leben.






Deine dich liebende Tochter Helga


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Briefe an Mutter - von Helga Bjarnifjord - 28.01.2016, 13:41
RE: Briefe an Mutter - von Helga Bjarnifjord - 22.02.2016, 14:31



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