FSK-18 Die Nacht der Schlange
#2
Dieser Tage hatte der galatische Hauptmann wenig Zeit auf den Straßen verbracht, ja selbst der Leuchtturm war von ihm nur solange gehütet worden, wie es unbedingt nötig schien. Umso mehr Zeit brachte er stattdessen im Hauptquartier der Stadtwache zu, sehr zu seinem Verdruss.
Papierkram galt es aufzuarbeiten, sich mit Disziplinarangelegenheiten herumzuschlagen, dunkel über der Wache drohende Finanzkürzungen möglichst abzuschwächen... kurzum: Es waren mal wieder diese Tage, an denen er bedauerte, damals den Eid geschworen zu haben.

Da kam ihm die aufgeregte Kunde des Wachmanns Harold Vanke gerade Recht. Dienstliche Beweggründe lieferten den rechten Vorwand, der Schreibstube zu entfliehen, in der der stets sauertöpfisch dreinblickende Schreiber Thorben Hendricks alleine zurückblieb. Sollte er die Sauklaue des Galatiers doch ins Reine bringen oder dahin gehen, wo der Pfeffer wächst!
Im Besprechungsraum tief unter dem Hof der Gefängnisinsel traf er Vanke an, schnarchend hingefläzt auf einem der Stühle.
Kurz hielt er inne und ließ das Bild auf sich wirken. Dann schlurfte er auf seinen Platz am Kopfende und ließ geräuschvoll die Kladde mit Unterlagen auf den Tisch knallen. Da tat es einen Schlag, als der unsanft aus dem Schlaf gerissene Vanke mitsamt dem Stuhl zu Boden ging - nur, um wenig später mit dem Hauptmann Kornbrand zu trinken und über den Inahlt des Zettels zu brüten.

Sie gedachten, erst einmal den Wortlaut zu eruieren und zu klären, da der Brief offenbar stark gelitten hatte - ob unter Wettereinflüssen oder, wie Vanke annahm, jenen menschlichen Auswurfs... darüber wollte keiner von beiden wirklich ernsthaft einen Gedanken verschwenden.
Vanke wurde angewiesen, den Text dabei ins Reine zu schreiben, während Lysander sich voll und ganz auf das Entziffern konzentrierte.
Anfangs ging es sehr zügig, die Schrift war klar und deutlich.


"Um unsere Stellung im Norden zu stärken, brauchen wir dringend die Kontrolle über die Lager......"
Der erste Stolperstein.. die Lagernden? Die Lager der wasauchimmer? Sicher war, dass nach dem Lager noch etwas kam, der Satz dann jedoch ein Ende nahm. Ehe sie sich ratlos darin verloren, ließen sie eine Lücke und fuhren fort.

"Die Geschichte zeigt, dass man mit den Menschen die dort die Geschicke lenken, nicht verhandeln kann. Wenn die Anführer jedoch durch eine schreckliche Tragödie versterben, können Personen mit einer mithrasgefälligeren Geisteshaltung die freien Plätze ein-/übernehmen."
Man mochte ja über die Löwensteiner sagen, was man will, aber wenn sie etwas mochten, dann verhandeln. Über jeden Mist, andauernd und enervierend langatmig und obendrein oft genug beleidigend - doch wehe, man wurde ihnen gegenüber selbst ausfallend. Die meisten hatten ein dünnes Fell, teilten gerne aus, aber vertrugen nichts.
Sei's darum.. man wollte hiesige "Anführer" vom Leben zum Tode befördern. Das ließ die beiden Stadtknechte hellhörig werden.
Dass sich diese Drohung dahingehend lesen ließ, dass die gegenwärtige Führung als nicht mithrasgefällig angesehen wurde, war klar, wer die potentiellen Zielpersonen waren: Unter anderem der edle Vogt Eirene Kerlow, zwar gemeinhin zu Mithras konvertiert, aber eben eine Galatierin; zudem wurde vom Wachmann der Hauptmann ins Spiel gebracht, der dies mit wenig Begeisterung bestätigte. Lysander war ja nicht nur Galatier, sondern auch noch offener Anhänger der alten Götter.


"Wenn ich von einer Tragödie schreibe, dann meine ich vergiftetes Essen. Wir werden also aus dem Giftmischerlehen,..... das auch zuwider ist, entsprechende Tinkturen nach Löwenstein importieren und anschließend einen Weg finden, das Essen der ausgedienten Vorspieler zu vergiften."
Vorspieler.. zwar waren sie sich nicht sicher, doch deutete alles darauf hin, dass die verschwommenen Lettern dieses Wort ergaben. Mochten die Verschwörer vom fahrenden Volk sein? Das würde diese Wortwahl erklären. Oder es steckte etwas völlig anderes dahinter...
Giftmord war es also, der den Weg ebnen sollte. Lysander nahm sich im Stillen vor, nur noch das zu essen, bei dem er sich der sicheren Herkunft sicher sein konnte.
Auf Lysanders Nachfrage beim in Amhran geborenen Vanke, ob er wisse, worum es sich bei dem Giftmischerlehen handele, vermochte jener keine klare Aussage zu treffen. Ravinsthal, Silendir, aber auch Hohenmarschen schienen denkbar.


"Findet vorerst einen Ort in den Zwielichtigen Vierteln der Stadt, an dem die Gewürze gelagert werden können."
In den letzten Zeilen fanden die beiden Stadtknechte wieder ihre Sicherheit. Das war heimisches Terrain: Klar, dass damit der Norden der Stadt gemeint war. Die ehrenrührigen Viertel des alten Hafens und des Armenviertels, die schon vor vielen Jahrzehnten von der Stadtverwaltung - und so auch der Stadtwache - sich selbst überlassen worden sind. Dass man dies keineswegs ändern wollte, war auch jetzt noch klar. Irgendwohin musste man ja den Abschaum schmeißen können.
Dabei war dem Hauptmann sehr wohl bewusst, dass er selbst bis vor drei Jahren noch dort gelebt hatte, als er noch zur See gefahren war. So wußte er auch zu benennen, dass die Schergen ihre "Gewürze" (und damit meinten sie ihr Gift, diese Bastarde!) tendenziell eher im alten Hafen lagern würden. Denn dort gab es nicht nur mehr wetterfeste Gebäude, windschief zwar, aber immerhin... sondern auch eine Vielzahl an Kellern und Lagerräumen, Tunneln und verwinkelten Gassen. Als er noch für die Jungs vom alten Hafen geschmuggelt hatte, war ihm das sehr zupass gekommen - doch das behielt der Galatier wohlweislich für sich.
Mit absoluter Sicherheit konnte man das natürlich nie sagen.
Zudem gab es zu viele Unklarheiten. Wieso hatten die ominösen Verschwörer, deren Identität sie noch ergründen mussten, überhaupt derart empfindliche Informationen und Anweisungen niedergeschrieben?
Warum einen verlotterten Idioten aus dem Armenviertel schicken, statt eines ordentlichen Kuriers, der nicht auffällt?
Waren die Daten überhaupt aktuell?
Und - wer war wirklich das Ziel?

In jedem Fall wurde der Beschluss gefasst, zu handeln.
Nachdem man ausgiebig über einen ordentlichen Titel für diesen Fall gegrübelt hatte, der sowohl der Wachmannschaft den Ernst der Lage nahebringen würde, als auch die Aufmerksamkeit der Obrigkeit sichern sollte, ging es zur Tat.
Die Verschwörung "Die Nacht der Schlange" musste aufgedeckt werden, ehe es zum Schlimmsten kam.
Wachmann Harold Vanke wurde damit beauftragt, Kontakt zu einem ganz bestimmten Informanten im Armenviertel aufzunehmen, auf dass er sich umhöre. Irgendwer musste den Auftrag gegeben haben. Der Hauptmann wies Vanke an, eine drohende Razzia anzuführen, sollte zu zögerlich reagiert werden. Er verschwieg ihm dabei, dass es ohnehin eine geben würde. Weiterhin sollte Vanke bei einer Bekannten in Angelegenheit von Giften nachforschen.
Lysander wiederum würde den edlen Vogt informieren, sie ihrer Expertise als Medica wegen ins Vertrauen ziehen und sich zudem eine Liste sämtlicher Würdenträger der Stadt organisieren, die sie dann gemeinsam abarbeiten wollten. Die gegenwärtige Lage brachte auch eine weitere Sache ins Spiel: Er würde den im Moment beurlaubten Wachtmeister wieder außerordentlich in den aktiven Dienst zurückholen, mochte der hochedle Kastellan seinetwegen die Krätze kriegen, das war dem Galatier gleich.
Gewisse Kritierien waren gesetzt - alle, die in den Augen der Verschwörer nicht mithrasgefällig waren, waren in Gefahr.
Es galt also, eine Liste der Gefährdeten aufzustellen, und das zügig, zugleich jedoch nur die zu informieren, die es unbedingt wissen mussten. Vogt, Legion, Stadtwache.
Eine Panik wollte der Hauptmann vermeiden.
Eine Panik?
Bei den Göttern, er sollte ehrlich zu sich selbst sein.
Eigentlich traute er in der Sache keinem Amhraner sonderlich über den Weg - allein, wenn er an die fanatische Seligkeit Winekl dachte, wurde ihm eiskalt (doch ihr traute er so einen perfiden Weg nicht zu, sie würde eher offen und hart zuschlagen). Je weniger es wußten, desto geringer die Gefahr, dass die Verschwörer Wind von den Ermittlungen bekamen...
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Die Nacht der Schlange - von Harold Vanke - 18.10.2015, 20:54
RE: Die Nacht der Schlange - von Lysander O'Domhnaill - 18.10.2015, 23:43



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