Ein Drachen für ein Kinderlachen...
#1
Rainbow 
[Bild: jr2o-3y-cd16.png]



Am Fenster segelte ein goldbraunes Blatt vorbei. Es war nicht mehr zu leugnen, Taranis hatte den Herbst eingeläutet. Ihr Blick folgte eine Weile dem edel anmutenden Tanz des Laubes, ehe es der Wind wieder anhob und es ihrem Blick entschwand. Sie senkt jenen wieder auf die vor sich ausgebreiteten Stoffreste und wischte sich mit der rechten Hand sachte über die Wange und blinzelte.

Ja, natürlich…der Wangentest. Sie fischte aus dem textilen Häufchen ein farbiges Stück Jute hervor und rieb es über die linke Wange. Da verzogen sich auch schon die Mundwinkel gen Erdboden. Auf gar keinen Fall! Die Jute war viel zu grob für ein Kinderstofftier. Wenn es sich für sie schon so gänzlich unangenehm war, wie wäre es dann für die noch zartere Kinderhaut? Kopfschüttelnd warf sie den Fetzen auf den Tisch zurück. Möglicherweise war es für die Rückenstacheln und die Zunge mehr als brauchbar… aber doch nicht für den großflächigen Körper des Stofftieres, dass immerhin eine Elle groß sein sollte. Den nächsten Stoffrest den sie ergatterte, war aus Wolle. Wieder rieb sie es erst sachte, dann noch einmal kräftiger über die Haut. Das war doch viel besser. Sie zog und zupfte an dem Stoff und hielt ihn prüfend, mit einem fest zusammen gekniffenen rechten Augenlid, gegen das Licht. Tja, leider dennoch unbrauchbar. Zu fusselig und nicht strapazierfähig genug. Er würde es am Schwanz oder wo auch immer halten und mit sich über den Boden schleifen. Er würde an ihm ziehen, ihn drücken und wenn er wütend war, dass Stofftier gegen was-auch-immer schleudern. Vor ihrem geistigen Augen sah sie einen kleinen, zerzausten und wilden Jungen, der genau jene Situationen gehorsam nachspielt. Ein Lächeln kräuselte ihre Lippen. Außerdem wird die Mutter das Stofftier beständig waschen wollen oder müssen, da würde sich die Wolle über kurz oder lang auflösen und der junge sollte ja lange etwas davon haben. Blieb also nur Leinen oder? Aus dem Stapel wurde ein ebensolches Stück herausgezogen und dem erneuten „Kuscheltest“ unterzogen. Nicht so weich wie die Wolle, aber eindeutig weich genug und ohne Fusseln die in Kinderaugen oder an Kinderlippen kleben bleiben konnte und widerstandsfähig genug, um so einige mütterliche Wäschen zu überstehen. Wenn sie es mit Wolle füllen würde, wie sie es ja vorhatte, würde es optimal sein.

So schob sie die Stoffreste beiseite, außer dem kleinen Leinenstück und setzte sich an ihren Sekretär. Von dem bereitliegenden Stapel nahm sie ein sauberes Stück Hadern und angelte mit den Fingerspitzen aus einer der Schubladen einen Kohlestift. Noch war Galates nicht auf seinem Flug und sie konnte sich das kostbare Kerzenwachs sparen. Mit feinen Strichen begann sie zuerst nur eine Skizze zu zeichnen. Ein Drache, wie sie sich ihn als Kind immer vorstellte, als ihre Mutter aus den Büchern vorlas. Mit gefährlichen, blitzenden Augen, einem großen Maul, welches über und über von nadelspitzen Zähnen übersät war, Sein langer Körper war schlank, mit schimmernden Schuppen umhüllt, die ihn schützten wie eine Wehr aus Mondstahl. Sein spitz zulaufender Schwanz, war lang und so kräftig, dass er mit einem Hieb, einem ausgewachsenen Mann mühelos den Kopf von den Schultern trennen konnte. Und seine Pranken waren schon klauenähnlich, mit denen er Furchen in die Erde schlagen konnte, dass selbst Anu vor Schmerzen schreien musste. Als das mehr oder weniger gelungene Kunstwerk fertig war, betrachtete sie es skeptisch und pinnte mit einer einfachen Nähnadel, das Stoffstück an das Papier.

So sehr sie sich auch bemühen würde, so naturgetreu wie dieses Bild, würde das Stofftier gewiss nicht werden. Die nächste Zeichnung wurde eindeutig sauberer, wenn sie auch konfuser auf einen geeigneten Betrachter wirken würden. Großflächig, aber sorgfältig ausgemessen, füllten die seltsam anmutenden Formen das Papier in engen Abständen, um kein Hadern unnötig zu verschwenden. Langsam breitete Galates seine Schwingen aus und die dunklen Schatten in dem Raum wurden länger. Bald würde nicht mehr genug Tageslicht vorhanden sein und so beschriftete sie die einzelnen Zeichnungen, ordnete sie somit ordentlich ihrer Funktion zu und beließ es für den Abend dabei. Es würde noch genug Arbeit auf sie warten.




[Bild: jr2o-40-6dd1.jpg]
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Ein Drachen für ein Kinderlachen... - von Carmelina Tartsonis - 13.10.2015, 18:35



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste