Orange und blutrot, das Leben als Knappe
#1
Die Sonne geht langsam auf und lässt die glitzernden Stahlen über die Mähne des Ross gleiten. Jon reckt das Kinn und kneift ein Auge zu, als die Sonne durch die nahen Bäume bricht und ihn blendet. Sein Pferd wiehert sogleich, als die Behandlung unterbrochen wird, auch wenn es nur ein kurzer Moment ist.
Seit ein paar Tagen stellt sich der Schlaf nur langsam und nicht sonderlich erholsam ein. Aus diesem Grund ist er oft früh auf den Beinen und reitet auf Patrouille. Die Zeit mit dem Hengst ist ihm wichtig geworden. Ganz abgesehen davon, dass es für ihn eine Art meditative Entspannung bedeutet.

Er krault den dunkelbraunen Hengst am Hals und widmet sich der nun schimmernden Mähne. Da die ersten Knoten bereits beseitigt wurden geht die Bürste flüssig durch das schwarze Pferdehaar. Das Fell ist bereits gleichmäßig gestriegelt und das Tier wirkt höchst zufrieden mit seinem Aussehen. Jon lächelt bei dem Anblick der dunklen Augen seines treusten Begleiters. Er hat Mond seitdem er in Candaria ist was nun tatsächlich schon drei Mondläufe zählt. Trotzdem hat er sich mit dem Pferd schnell angefreundet. Es ist ein starkes und stolzes Tier und er wagt es langsam den Gedanken bei Seite zu schieben, dass er und sein Tier sich unähnlich sind.

Mit einem anderen Kamm widmet er sich dem Schweif. Bedacht tritt er schräg neben das Tier und zieht lange Bahnen durch das Pferdehaar, den empfindlichen Ansatz überaus vorsichtig behandelnd. Der Hengst hält so still wie sonst nie, offensichtlich entspannt diesen die wöchentliche Prozedur ebenso wie den Herrn. Jon klopft den Kamm schließlich am nahen Baumstamm ab und nimmt zuletzt den Hufkratzer aus dem Gepäck. "Nun noch die Hufe, damit du Nordwind wortwörtlich in den Wind stellst." Das Pferd wirft den Kopf zurück und schnaubt leise, fast als hätte es ihn verstanden.
Die Erwähnung des anderen Pferdes lässt seine Gedanken viel zu schnell zu dem Thema schweifen, dass ihm seit wenigen Tagen auf dem Herz lastet. Die Besitzerin besagten Pferdes. Er dachte nie daran, dass er einmal neidisch auf ein Pferd sein könnte aber dem ist so. Nordwind ist ein schönes, kluges Pferd. Sonst wäre es nicht auf seine Besitzerin zu getrabt und hätte sie mit der Schnauze angestoßen, als die mit ihm zusammen war. Zwar war es Jon bisher nicht bewusst, dass Pferde so besitzergreifend sein konnten, aber so wurde er belehrt. Pferd und Herrin stehen sich in den Charakterzügen in nichts nach. Als er Mond's Bein anhebt, um die Hufe auszuscharren, denkt er an seine Finger an ihrem Fußknöchel. Die Hand reagiert leicht unruhig und der Fuß des Pferdes zuckt.
"Sscht.. entschuldige, Mond." raunt der Gebückte und scharrt rasch Dreck und Steinchen von dem weichen Huf.

Natürlich spürt er, dass er sich angreifbar macht. Vielleicht nicht gleich verletzlich aber so empfindlich wie der Huf seines Pferdes. So ein Wagnis kann sich anfühlen wie auf Gras zu reiten, aber auf der anderen Seite auch wie sich einen Stein einzutreten. Er hat zum Glück recht gutes Schuhwerk aber es fällt ihm schwer einzuschätzen wie es bei ihr steht.
Tatsache ist, dass sie auf viele Male emotional verletzt wurde. Tief und auf überaus enttäuschende Weise. Anhand ihrer Worte fällt es ihm schwer abzuschätzen, ob sie überhaupt bereit ist darüber hinweg zu kommen. Auf der einen Seite rät ihm seine Vernunft ihr allen Freiraum zu lassen, den sie braucht. Auf der anderen Seite will er bei ihr sein, so oft es seine Pflichten erlauben. Jeder geteilter Herzschlag erwärmt sein Blut und er erlebt Seiten an sich, die er verloren glaubte aber durchaus nützlich sein können. Er kann nicht definieren, was sie an ihm verändert aber sie tut es. Sein Herr scheint mit der Veränderung nicht unglücklich zu sein.

Nach dem vierten Huf lädt er sein Werkzeug zurück in die Satteltasche. Die ausgelüftete Decke wird vom Baumstamm genommen und auf dem Pferderücken ausgebreitet, bevor er den Sattel aufsetzt und den Riemen festzurrt. Sachte schlägt er mit der Hand gegen den Hals des Pferdes, bevor er sich hoch zieht. Jon rückt die Schwertscheide zurecht und greift mit der anderen Hand nach den Zügeln. Mit deutlichem Druck der Beine setzt er das Tier in Bewegung und reitet in einem Halbkreis aus dem Jurenlager.

Als der Wind ihm ins Gesicht weht treibt er das Pferd zu harschem Galopp an und hetzt mit donnernden Hufen über die überdachte Holzbrücke. Einige Momente später findet er sich vor der Grenzfeste wieder, lässt das Pferd auslaufen und rutscht elegant aus dem Sattel. Mit der freien Hand streicht er sich die zerzausten Haare zurück, ehe er das Tier durch das Tor führt.
Sein Ziel führt ihn noch ein Stück weiter östlich und an dem Hof des Ordens vorbei. Nach einem kurzen Marsch durchs steinige Flussbeet steht er vor „seinem“ Baum. Mit einem leisen Seufzen lässt er sich gegen den Stamm sinken und rutscht ins Gras. Der gelbstichige Blick schweift in die Ferne und er genießt das Rauschen der Blätter.

Aus dem Gepäck löst er einen Pfeil ohne Spitze, über den die filigranen Finger beruhigend streichen. Sein Glücksbringer, der ihn gewissermaßen mit dem Baum verbindet. Mit dem Symbol für Vielmehr, als er sich eingestehen mag stimmt er in ein stummes Gebet ein. Er bittet Mithras ihm Kraft und Disziplin zu geben. Auf das er stark bleibt, ganz gleich was sein Herz sagt. Es ist nicht an ihm sie zu drängen, vielmehr muss er sich in Geduld üben und ihr die Aufmerksamkeit entgegen bringen, die sie verdient hat. Auch wenn der unterbewusste Druck im Nacken unerträglich ist, darf er dem nicht nachgeben. Ganz gleich was die Zukunft bringt er möchte Zeit mit ihr verbringen. Alles weitere Sehnen und Wollen ist zweitrangig.
Als er wieder die Augen schließt bildet er sich ein ihren Duft zu riechen und ihre kitzelnden Strähnen im Gesicht zu spüren. Um die Gedanken zu vertreiben und das Herz zu beruhigen lauscht er dem leisen Plätschern des Flusses und döst früher oder später ein.
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Orange und blutrot, das Leben als Knappe - von Jonathan Silberfels - 02.09.2015, 22:00
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