FSK-18 Dämmerung
#3
“Und was hast du dir diesmal dabei gedacht?”
Der Alte bemühte sich nicht einmal, die Resignation in seiner Stimme zu verbergen und tupfte stattdessen mit stoischer Miene und einem schon reichlich verschmierten Stück Tuch das Blut von der Oberlippe des jungen Raufboldes ab. Dessen breites, in purpur und dunkelblau kläglich strahlendes Gesicht begutachtete er dabei mit strengen Blicken von links, von rechts, von oben und von unten.
“Dass sie sich eine Abreibung redlich verdient hätten.” entgegnete der Junge und entblößte in einem Grinsen die vom rötlichen Speichel gefärbten Zähne, bevor er den geschundenen Kopf mit dem jeder Ordnung beraubten dicken, aschblonden Haarschopf zur Seite drehte und einmal kräftig ausspuckte.
Der Alte stieß ihn mit seinem knorrigen Wanderstock an und präsentierte die ihm wohlbekannte und noch mehr verhasste Stirnfalte der Missbilligung, die nur ein Leben im Dienst der Kirche geformt haben konnte.
“Fein. Wir amüsieren uns, wie ich sehe. Immerhin. Wenn ich dich schon keine paar Stunden dir selbst überlassen kann, ohne dass du dir eine blutige Nase holst, sollst du zumindest gut unterhalten sein, hm?”
Der Blonde sah fort und umher, hin und zurück, zu den Sträuchern und Sumpfgewächsen, dem nahen Tümpel und der Weide mit dem merkwürdig verdrehten Wuchs, der sie wie ein Mann ausehen ließ, der die Arme in die Höhe riss und mit offenem Mund sich die Seele aus dem Leib schrie. Überall dorthin, wo der mahnende Blick des Alten nicht war und die Marschen ihr eintöniges grün und braun zu einer ewigfinstren und trostlosen Mischung zusammenpanschten.
“Ich kann auf mich selbst Acht geben.”
Ein Schnaufen kam ihm zur Antwort und lange, knochige Finger hoben das von ihnen umschlossene Stück rotverklebten Stoffes demonstrativ vor seine Nase.
“Es waren immerhin drei Stück! Und ihr solltet euch erstmal anschauen, wie die jetzt gucken.” wandte der Junge mit einem selbstzufriedenen Lächeln ein, das ihm gleich den nächsten, festeren Hieb einbrachte und seine blauen Augen endlich nach vorn zwang, wo sie dem Funkeln des Alten begegnete und es auch gleich schon bereuten.
“Das habe ich schon. Der Jüngste war zwei Köpfe kleiner als du, und dem Rotschopf hast du die Hand gebrochen. Wenn sie schlecht heilt, wird aus dem kein Schütze und kein Marschenläufer mehr.”
“Das hätte er sich überlegen sollen, bevor er das Maul aufreißt.”
“Mithras..” begann der Alte mit einem erhobenem Zeigefinger, der so knorrig daherkam wie die Weide, und im schulmeisterlichen Ton seiner brüchigen Stimme zu dozieren, “wird es schon ertragen, wenn ein paar schlecht erzogene Bürschlein lästerliche Reden schwingen. Was ihm viel mehr Sorgen bereitet sind Leute, die seinen Namen auf den Lippen führen und gegen sein Recht verstoßen. Und du bist auch noch Stolz darauf.”
“Ihr sagt doch immer, das Reich braucht Krieger, die für den Glauben einstehen und ihn verteidigen.” Der Junge hob seine Schultern in einer bewusst verständnislosen Geste wie einen Schild zur Verteidigung.
“Die Kluft zwischen einem edelmütigen Recken und einem gemeinen Schläger, der sich mit Furcht Geltung verschafft, weil er größer und stärker ist als die anderen, liegt eine Kluft so breit und tief, man könnte ganz Amhran darin versenken. ”
Sein Zögling antwortete ihm nicht, sah zwischen seinen Beinen zu Boden und ließ seine Kiefer so beharrlich und ausdauernd kreisen, man hätte einen ganzen Sack Korn zwischen ihnen zermahlen können.
Als der alte Mann endlich fertig war, das inzwischen getrocknete Blut zum größten Teil von Mund und Nase zu entfernen, richtete der Junge sich auf und setzte sich auf den umgestürzten Stamm, gegen den sein Rücken zuvor lehnte.
“Viele in den Marschen kennen nichts weiter als ihre alten Bräuche und ihre alten Götter. Fehlgeleitet mögen sie sein, aber unsere Feinde sind sie darum nicht.” sprach der Alte.
“Ich bezweifle, dass sie es so großzügig sehen, Herr.” Er seufzte schwermütig und schaute fort, dorthin, von wo aus das Moor ihm seine altbekannten und darum doch nicht weniger geheimnisvollen Lockrufe zuwarf.
“Und wenn? Man kann das Licht nur denen offenbaren, die im Dunkeln stehen.”
“Von euch hab ich doch, dass die Heere Mydrions über Amhran marschiert sind und die Leute zum rechten Glauben gebracht haben. Mit dem Herzen voller Mut und dem Schwert in der Hand!” verteidigte sich der blonde Grobian energisch.
Der betagte Herr kommentierte diese Aussage mit einem müden Ausdruck auf dem faltigen Gesicht und begann sich in der drückenden Schwüle des spätsommerlichen Hohenmarschens mit der flachen Hand die Schweißtropfen von der Halbglatze zu wischen.
“Die Heere Mydrions verschoben die Grenzen des Reiches und brachten Frieden in ein vom Krieg zerrissenes Land. Aber die Diener des Sonnengottes verbreiteten seine Lehren. Wer durch das Schwert bekehrt wird, verliert seinen Glauben allzu leicht, wenn die Spitze erstmal nicht mehr auf ihn zeigt.”
Der alte Mann setzte sich zu ihm und für ein Weilchen schwiegen sie gemeinsam.
“Ich werde nicht immer hier sein, um dich an diese Dinge zu erinnern. Und du wirst allmählich auch zu alt dafür.” Mit dem Mienenspiel eines sorgenvollen Vaters sah er seinen Ziehsohn an.
“Ich habe dir mehr als einmal geraten nach Löwenstein zu gehen. Am Tempel würde man dich sicher aufnehmen, dir eine ordentliche Schulung zukommen lassen und dich in all den Dingen Unterrichten, die du auf Moorpfaden niemals lernen wirst.”
“Aus mir wird niemals ein Priester werden.“ schnitt er seinem Lehrer mit einer eingeübten Antwort auf einen eingeübten Ratschlag ins Wort.
“Die Legion dann. Mithras weiß, nach dem Aufbruch der Streitmacht nach Indharim letztes Jahr können sie jeden aufrechten Mann gebrauchen.”
“Und wenn sie dafür auf solche wie mich warten, muss es um sie wahrlich schlecht bestellt sein.”
Der Stab traf das Schienbein des Jungen mit erstaunlicher Härte.
“Stell dein Licht nicht so unter den Scheffel. Schließlich habe ich dich nicht ohne Grund aus deines Vaters Armen gerissen. Du hast..”
“Ja, Herr, ich weiß. Wenn es euch Recht ist, dann bleibe ich noch bisschen hier und höre mir eure Belehrungen an.”
Der Alte richtete sich am Stab auf und raunte mit einem tiefen, langen Murren seine Kapitulation in die Marschlande hinaus, bevor er sich langsam in Richtung des einsamen Gasthauses, welches in der Ferne am Wegesrand winkte, in Bewegung setzte. Der Junge folgte nach einem Moment und schloss dank seiner jugendlichen Kräfte rasch genug zu ihm auf.
“Was war eigentlich mit dem Schankmädchen?” fragte der kahle Mann, ohne seinen Begleiter anzuschauen.
“Was soll mit ihr gewesen sein?”
Der Alte lächelte ein feines, hintergründiges Lächeln, das dem Blonden schon in seiner Fremdartigkeit ein gewisses Unbehagen bereitete, und wog den Kopf dabei hin und her.
“So schlecht sind meine Augen noch nicht. War das alles nicht vielleicht doch auch ein bisschen, weil der Schönling, dem du das Gesicht ramponiert hast, sich so nett mit ihr unterhalten hat?”
“Sie ist auch eine Mondwächterin.” gab der Bursche mit gerunzelter Stirn zurück.
“Es gibt schlechtere Wege, um jemandem dem Herrn näher zu bringen.”
Dieser verzog da nur das Gesicht zu einer wenig begeisterten Fratze, als ihn die unangenehme Erkenntnis, dass auch ein alter Prediger ein Leben vor dem Dienst gehabt haben mochte, ganz unerwartet traf.
“Alte Leute sollten manche Dinge für sich behalten.”
Der Wanderstab traf ihn am Hinterkopf.


* * *


Während das Sonnenrund in kriechender Eile sich in der Ferne über den Horizont hinaus wälzte, ging der Legionär seinen üblichen Riten nach. Erst Waschung und Gebet, wie immer natürlich, und wenn Zeit war stutzte er sich ab und an auch noch den Bart, um ihn kurzgeschoren zu halten. In seiner Zeit im Feldlager der Verteidiger Südwalds, an der Grenze zum Flüsterwald, wo eine Handvoll tapferer Männer und Frauen Wacht hielten und die Ravinsthaler Briganten daran hinderte den Fluss zu überqueren, kam nun noch der Ritus des Palisadenabklopfens und der Ritus des Flusslaufbeobachtens und der des Rundganges hinzu.
Dabei handelte es sich natürlich nicht wirklich um Riten der Legion, aber gemessen an der Ernsthaftigkeit und Beharrlichkeit, mit welcher er sie zu jedem Tagesbeginn erneut durchlief, hätte man einem uneingeweihten Beobachter diese nachlässige Bewertung sicherlich verzeihen können.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass tatsächlich auch jeder Stamm in der Palisade noch am selben Ort stand wie am Abend zuvor und auch jeder Knoten noch fest und sorgsam saß, marschierte er quer durch das Lager zurück, stieg über die zahlreichen Bretter, Pfähle und andere Baustücke, die der Schreiner zu einem Wehrgang zusammenfügen versuchte, und auch über den ein oder anderen Streiter, der seine Augen vom Wachdienst der Nachtschicht ausruhte und die Stille genoss. Er beneidete die Schlafenden ein wenig, denn auch wenn es an Ruhe die meiste Zeit über im Lager gar nicht mangelte, fiel es ihm zusehends schwerer noch Momente der Entspannung zu finden. Der Legionär konnte sich nicht einmal erinnern, wann er das letzte Mal länger als drei Stunden am Stück schlafen konnte. Nicht genug Zeit, um Erholung zu finden, aber wiederum auch nicht kurz genug, um von den Träumen verschont zu werden. Nicht einmal das konnte er noch für sich verbuchen.
Die langen Tage des Lagerbaus und des Dienstes dort begannen ihn auszuzehren und mit jedem weiteren Tag brannte der Wunsch, eine Entscheidung mit dem Schwert herbeizuführen, heller und heißer. Ungeduld aber, das wusste er zumindest noch, war ein schlechter Ratgeber. Nicht nur in Zeiten des Krieges, aber ganz besonders da, und so schwang er sich Tag um Tag aufs Neue zum Herrn über seine niederen Wünsche und Antriebe auf und zwang sie zurück in die Schatten, aus denen sie hervorgekrochen waren.
Sein Maß an Selbstbeherrschung hatte er sich einst hart erkämpfen müssen, und nicht nur leistete es ihm gute Dienste dieser Tage, sondern es war auch Quell eines nicht unbeträchtlichen Stolzes. Er fühlte sich dem Sonnengott nie näher als in jenen Augenblicken, da er unangefochtener Meister des säuberlich angelegten Gartens seiner Gedanken und Gefühle war, den er aus einem Stück wuchernder Wildnis herausgeschnitten hatte.
Augenblicke, die seltener wurden, wie er schweigend feststellte, während er das Flussufer entlang marschierte und Ausschau nach den Booten des Feindes hielt.
Lass dich nicht ablenken, befahl er sich selbst.
Leichter gesagt als getan, gewiss, denn die Ablenkungen lauerten dieser Tage hinter jedem Zelt und jedem Baum.
Unnütze Streitigkeiten, Festivitäten, Zeremonien, ein verschreckter Novize, allerhand Sonderwünsche bis hin zu den Berichten über eine Nachricht aus Indharim und der gespielte Kuss einer jungen Dame waren allesamt trefflich geeignet, ihm dieses noble Ansinnen zunichte zu machen.
Aber der Feind war noch nicht geschlagen, und noch hatte er eine Aufgabe zu erfüllen.
Lass dich nicht ablenken.
Er hatte gut gelernt in diesen letzten fünfzehn Jahren.
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Dämmerung - von Elian Alveranth - 23.05.2015, 10:03
Ein guter Schüler - von Elian Alveranth - 14.06.2015, 22:56



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