Zwei Leben
#41
Mit jedem Schritt, den sie sich von der Front auf Grollbringers Rücken, welcher ihr von Kordian dankenswerterweise ausgeliehen worden war, entfernte, löste sich eine Öse des Korsetts aus Pflichtgefühl, Stolz und Stärke, bis am Hof beinahe nichts mehr vorhanden war, was sie aufrecht hielt. Sie brachte das gärende Geschwür des Krieges nach Hause - nicht, dass dies jetzt auch noch etwas ausgemacht hätte; das feine Idyll, welches sie über mehr als anderthalb Jahre gepflegt und gehegt hatte, hatte ohnehin Kerben bekommen - und gerade diesen Abend hatte sie weder Mut noch Kraft, die Risse zu kitten.

Nora steckte ihren Kopf aufgrund des Getöses auf dem Hof durch die Tür, trat nur etwas später zögerlich mit einem Nudelholz bewaffnet auf die Veranda, ein banges “Wer ist da?” auf den Lippen. Der füllige Schatten ließ Cahira müde schmunzeln. Das Kindermädchen war eine waschechte Ravinsthalerin: Anzeichen von Gefahr ließen sie entweder fliehen und alles mitnehmen, was ihnen währenddessen in die Finger geriet oder sie stellten sich dem drohenden Unheil entgegen.

Cahira erklärte in knappen Worten die Lage: Sie war nur hier, um Vorräte und Verbände für die Front zusammenzutragen und würde am nächsten Morgen schon wieder aufbrechen. Die Ausführung war immer wieder durch heftiges Aufhusten unterbrochen worden, doch statt rügender Worte ob des Gesundheitszustandes begnügte sich Nora damit die Heimkehrerin mit einer kalten Bratenplatte vom Abendessen und einem Zuber mit warmen Wasser im Hauptquartier unterzubringen; Cahira wollte die Kinder weder wecken oder, noch viel schlimmer, anhusten.

Als das Kindermädchen nach einer gefühlten endlosen Weile des Herumfuhrwerkens endlich wieder gegangen war, murmelte Cahira, den heißen, pochenden Kopf in die Hand gestützt: “Du warst nicht in Candaria.”

“Ich habe euch Soldaten noch nie verstanden. Freudeschreiend in die Schlacht, in den Tod oder ins Leben eines Krüppels. Nein, danke. Ich durfte genügend von euch wieder zusammenflicken, dich eingeschlossen.” Aidan lehnte an der Theke und sah im Gegensatz zu Cahira so unverschämt frisch wie junger Morgentau aus.

Die junge Frau schnaufte resigniert und schälte sich in quälend langsamer Weise aus Wappenrock und Rüstung. Sie hatte gehofft, dass er verschwunden war, stattdessen fühlte es sich so an, als hätte er hier auf sie gelauert wie eine Spinne im Netz und für einen Moment schoß kalter Ärger durch ihr vom Fieber erhitztes Gemüt und sie schnappte ungehalten: “Willst du mir nun zugucken, wie ich mich ausziehe und wasche?”

“Da ist nichts zu sehen, was ich nicht schon gesehen hätte, Liebes!”, schnurrte der Mann genüsslich und ehe Cahira zu einer kräftezehrenden Erwiderung ansetzen konnte, hob Aidan abwehrend die Hände. “Schon gut. Ich verschwinde. Du isst, ruhst dich aus. Wir werden noch viel Zeit zum Reden haben.” Und ehe sie diese Worte hinterfragen konnte, war er fort.

~~~

Cahira sass auf einer Pritsche in der Heilerstube und ließ die Beine baumeln, während sie die beiden ungleichen Männer betrachtete. Aidan überragte Flint um mindestens zwei Kopf, war schlank und elegant, während Flint in jedem Bühnenstück ohne viel Mühe wohl den schmierigen Beutelschneider geben konnte. Während Flint murmelnderweise ein Gebräu zusammen stellte, betrachtet Aidan dessen Tun sehr skeptisch. “Nein, du Dummkopf. Nimm’ das andere. DAS ANDERE! Ich frage mich wirklich .. Liebes, trink’ diesen Mist bloß nicht, ich denke, der will dich vergiften … Meine Güte!” Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen und obwohl sie nicht wusste, ob er sie nur aufziehen wollte oder Flint heute mit den Gedanken tatsächlich woanders war, musste sie dennoch auflachen, verschluckte sich und hustete in ihre rasch empor gehobenen Faust. Flint fuhr herum und betrachtet sie skeptisch.

“Ich habe mich nur verschluckt. Ich ... mir geht es gut!”, beschwichtigte sie den Heiler rasch, der sie sonst sicher noch einen weiteren Mondlauf unter Beobachtung gestellt hätte. Er hatte sie gerade noch zwei Briefe schreiben und dafür Sorgen tragen lassen, dass der Proviant ins Hauptquartier gebracht werden würde und dann hatte er sie unbarmherzig festgesetzt und erst nach einigen Tage, in denen sie eigentlich nur geschlafen und ab und zu etwas Brühe geschlürft hatte, nach Hause entlassen - aber nicht ohne regelmässige Stippvisiten zu verlangen, bis sie vollständig gesundet war. An ihm war nicht nur ein Heiler sondern auch ein ausgezeichneter Kerkermeister verloren gegangen.

Aidan war ab und an einmal aufgetaucht und hätte sie nicht gewusst, dass er nur ein Gespinst ihrer Gedanken war, hätte sie seine Besuche wirklich gänzlich genossen. Sie hatten, wie er zuvor prophezeit hatte, über dieses und jenes geredet und als sie einmal ihre Widerwehr hatte fallen lassen, war er ein wirklich angenehmer Gesprächspartner - mehr als das, ein Vertrauter wie damals auf Svesur.

“Wann kann ich denn wieder meinen Dienst aufnehmen?”, fragte die junge Frau rasch, ehe Flint noch auf andere Gedanken kommen würde und setzte ein einnehmendes Lächeln auf. Aidan, der sich währenddessen der Betrachtung von Flints Medizinschrank gewidmet hatte, schnaubte unterdrückt auf. Und Flint zögerte, drehte eine Phiole in seinen groben Händen. Cahira merkte auf, straffte ihre Gestalt. “Falls es doch ernster ist, dann sagt es nur frei heraus.” Kein einfacher Husten, kein einfaches Fieber; vielleicht die Erkrankung, die ihre Mutter niedergerafft hatte - das musste die Erklärung für Flints verhaltenes Schweigen sein und Hitze stieg ihr in die Wangen, der Magen begann zu rebellieren.

Aidans amüsiertes Gesicht milderte die Angst vor dem sicheren Siechtum, doch steigerte ihre Verwirrung und sie blickte zwischen den beiden Männern hin und her, was wiederum Flint irritiert in Richtung seines Spindes blinzeln ließ und die Antwort weiter hinaus zögerte.

“Das da doch ein Herz in seiner Brust schlägt, hätte man ihm gar nicht zugetraut, hm?” Beinahe legte Aidan eine Hand in jovialer Geste auf Flints Schulter. “Und du, Liebes, du bist so wunderbar unbedarft was solche Dinge angeht, dass es entzückend und erschreckend zugleich ist.” Dabei lächelte er ihr entgegen und ließ den Worten die Zeit, langsam zu sacken, zu keimen, Früchte der Erkenntnis zu tragen, während er immer mehr Zähne zeigte und am Ende grinste wie ein Wolf, wenn Wölfe denn hätten lächeln können. Cahira wurde um einige Nuancen blasser.

Meal do naidheachd, Liebes!”
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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