Sprecht eure Gebete
#2
Alles hat seine Zeit, sagt man. Es gibt eine Zeit für Krieg, eine für Frieden, eine für Gebete und eine für Ausgelassenheit, eine für Streit … und wenn man es genau nahm, war die Zeit für Streit 'jederzeit' und 'immer'. Streit fand sich in allem und er konnte sich nicht richtig daran erinnern, wann sein Tagesablauf das letzte mal nicht von irgendeinem Zwist bestimmt worden war.
Viktor saß in seinem kleinen Zimmer in der Grenzfestung und gab sich labyrinthischen Gedanken hin. Die Kante des Bettrahmens war höher als der einfache Strohsack, der ihm als Matratze diente, und drückte ihm so in die Rückseite seiner Oberschenkel. Vor ihm lag eine kleine Schüssel auf dem Boden, ein Waschlappen über den Rand gehängt. Wasser war knapp und er hätte schon sehr verzweifelt sein müssen, um das Weihwasser zur Reinigung seines Leibes nutzen, das er mit sich führte. So hatte ein halbfeuchter Lappen reichen müssen. Die Annehmlichkeiten der großen Stadt zu missen verstimmte ihn mit am meisten an seinem selbstgewählten Exil, dabei hätte er es von dem Jahr, das er auf Wallfahrt gewesen war, gewöhnt sein müssen. Wie schnell der Mensch sich doch wieder an Luxus gewöhnen konnte.
Die Einsamkeit seiner winzigen Zelle störte ihn dagegen überhaupt nicht. Das war natürlich eine Lüge, doch als jemand, der so vehement auf die Wahrheit pochte, war Viktor nicht imstande sich einzugestehen, sich selbst zu belügen. Es gab eine Zeit, die Gesellschaft anderer Menschen zu vermissen und es gab eine Zeit, die Einsamkeit schätzen zu lernen. Heute war ihm nach letzterem. Und ersterem. Er konnte sich nicht entscheiden und ärgerte sich ein wenig über die Wankelmütigkeit, die ihn befallen hatte. Und alles lag darin, dass er heute, wie an jedem anderen Tag, gewissenhaft seinen Dienst vollzogen hatte.
Viktors Blick huschte im Licht der Kerze zu der Lederrüstung, die er auf dem anderen Bett im Raum ausgebreitet hatte. Sie glänzte noch leicht von dem Öl, mit dem er seit Tagen versuchte, sie geschmeidig zu machen. Das starre Leder trug sich ungewohnt und es kniff ihn im Rücken. Teils auch, weil die Rüstung ihm nicht gerade auf den Leib geschneidert war und an manchen Stellen zu weit und an anderen wieder zu eng war. Gut, sie schützte ihn, wenn er in den Flüsterwald an die Front ging, aber wie viel vermochte sie schon auszumachen, wenn tatsächlich ein Pfeilhagel auf ihn nieder ging? Die einfache Wahrheit war: Nichts.
Er seufzte und rieb sich das Gesicht mit beiden Händen. Schon wieder nur Gezeter mit sich selbst. Gwendolyn hatte ihn ein mal gefragt, was die Menschen antriebe und ohne Zögern sprach er von Gier. Die Gier nach Leben, Zufriedenheit, Reichtum, Liebe, Wohlwollen eines Gottes. Gier nach allem was gut und was schlecht in der Welt ist, aus guten und schlechten Beweggründen heraus. Er stand noch immer hinter dieser Aussage, aber just in diesem Moment, da er mit sich und Mithras ganz allein war, fand er für sich noch einen anderen Ansatz. Unzufriedenheit.
Unzufriedenheit bot die Basis für Gier. Oder viel mehr bot sie den Beginn eines Kreislaufes, der sich immer wieder in sich selbst schloss und so ewig fort fuhr. Der Mensch war unzufrieden und wollte seine Situation verbessern, gierte nach etwas, von dem er erhoffte, es könne ihm Zufriedenheit geben.
Er löschte die Kerze, als er sich zu Bett begab. Sie war seine letzte und er wollte sparsam mit der Gabe des Herrn umgehen. Leise verklangen die letzten Worte seiner Gebete.

Es muss schon einige Stunden nach Mitternacht gewesen sein, als Viktor zum dritten Mal erwachte. Schlaf wollte ihn diese Nacht nicht finden, zu sehr drehten sich seine Gedanken im Kreis.
Allen voran war da Gwendolyn. Immer und immer wieder ließ er sich ihre Worte durch den Kopf gehen. Sie war regelrecht ausfallend geworden, hatte alles abgelegt, das er über die Jahre an ihr zu schätzen gelernt hatte. Nicht zuletzt dadurch, dass sie ihn offen hintergangen und bloß gestellt hatte. Wo sie einmal der Leuchtturm gewesen war, der ihm eine sichere Heimkehr versprochen hatte, war sie nun doch nicht mehr als ein geisterhaftes Irrlicht auf einem tückischen Riff. Zu sehr hatte sie sich ihren verdorbenen Lehrmeistern angeglichen, diesem Ginsterstrauch und der Jurenhure. Dies, so musste er sich eingestehen, war für ihn unerträglicher als alles andere. Nicht unbedingt nur, weil sie Mondwächter waren, gar Druiden, sondern weil sie zornigen, missgünstigen Charakters waren. Ganz besonders dieser Widerling Ginsterstrauch.
Er wusste, wie er mit Gwendolyn umzugehen hatte. Stumm hing die Dunkelheit über Viktor wie eine Warnung, als er einen Beschluss fasste.

Nur gut, dass Albert zurück gekehrt war. Der Mann, der immer versuchte alle Emotionen gänzlich von sich zu schieben, war Viktor allein durch seine Rückkehr in den Tempel eine gewaltige Stütze geworden. Leider konnte er ihm nicht alle Lasten abnehmen. Albert war nur empfänglich für Dinge, die einen Priester ausmachten, konnte aber nicht wirklich damit umgehen auch Mensch zu sein. Und manchmal benötigte ein Mensch einen anderen, damit er seine Sorgen und Gedanken reflektieren und mindern konnte. Sollte sein kahlköpfiger Vetter eines Tages dazu in der Lage sein würde er zu einer vorher unerreichten Größe gelangen.

Er presste die Augen zu, in der Hoffnung auf baldigen Schlaf. Am morgigen Tag würde er wieder zur Front zurück kehren, nur um sich dort nutzlos zu fühlen. Er würde mehr tun müssen. Seine Aufgabe war es nicht, herum zu stehen und zu gaffen, wie andere sich der Gefahr in den Rachen warfen. Am Kampf würde sich Viktor nicht beteiligen, dafür hatte er ein Versprechen zu viel gegeben unversehrt zurück zu kommen, doch ermächtigte sich seiner dennoch eine stechende Ungeduld. Er war nicht bereit es Blutdurst zu nennen, doch wurde ihm das Warten zu viel. Viel zu viel. Möglicherweise sollte er mehr tun, als nur eine Rüstung zu tragen und weise Worte zu sprechen. Möglicherweise war kein Ort sicherer, als im Bauch der Bestie.
"Novizen, die ich segne, sind großindoktriniert. Nicht."
-Elian


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Sprecht eure Gebete - von Viktor Veltenbruch - 25.04.2015, 01:27
Kein Ort sicherer, als im Bauch der Bestie. - von Viktor Veltenbruch - 28.05.2015, 04:21



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