Das Leben nach dem Tod auf Svesur
#9
Mit schnellen Schritten eilte er den Küstenweg entlang und ließ andere Passanten mit verwunderten Blicken hinter sich zurück. Er schien der Lösung seines Problems so nahe zu sein, dass er keine Zeit hatte für belanglose Konversation über das Wetter oder Hühneraugen.

Als er bei seiner Hütte angekommen war, flatterte sein Atem mehr ob der Erregung als von der körperlichen Anstrengung beinahe im Laufschritt nach Hause gerannt zu sein und er lehnte sich von Innen einige Momente gegen die Haustüre, um wieder einen klaren, ruhigen Verstand zu bekommen. Seine Söhne waren bei Nachbarn untergekommen und er drehte den Schlüssel zwei Mal kräftig im Schloß herum, damit niemand unversehens durch die Tür brechen konnte, und zog die verblichenen Vorhänge vor die Fenster. (Erst später, als er beschlossen hatte, Cahira zu einem festen Teil seines Lebens zu machen, hielt Gemütlichkeit in der kleinen Hütte, welche er von seinem Vorgänger klaglos übernommen hatte, in Form von bunten Flickendecken, Vasen mit Blumen der Saison oder duftigen Stoffen vor den Fenstern Einzug.)

Er konnte nun wirklich keine neugierigen Augen gebrauchen. Vor allem nicht, als er eine Holzdiele vor dem Kamin löste und aus dem Hohlraum darunter ein abgegriffenes Lederbuch hervor holte. Aidan pustet Staub in die schummrige Stube und legte das hinlänglich gesäuberte Buch vorsichtig auf den Tisch.

Es war das Buch seines Meisters gewesen und dessen Meister davor, der sich der dunklen Seite der Kunst verschrieben hatte. Er glaubte nicht, das viele dieser Bücher existierten und wenn, waren sie wohl alle anders beschaffen: eine Sammlung von Sprüchen und Rezepten, von den verschiedenen Besitzern des Buches aufgeschrieben und weitergegeben. Doch aus Angst vor Entdeckung und auch aus albernem Konkurrenzdenken heraus - Hexer waren von Natur aus argwöhnisch -  hielt man solche Bücher klammheimlich und eifersüchtig unter Verschluss.

Der Einband war alt, zerbrochen, einmal goldene Titellettern waren kaum mehr zu entziffern. Er musste vorsichtig sein, als er die spinnenwebsdünnen Seiten umblätterte, die knisterten und ächzten wie trockene Blätter im Herbst, bei der Suche nach dem Rezept, welches ihm auf der Flucht vor dem Teahanischen Lynchmob urplötzlich in den Geist gesprungen war.


... wir müssen sie bestrafen … verwende mich, benutze mich … Schmerzen, unvorstellbare Schmerzen … Qualen … ich bin hier … hier ...

Einige glaubten natürlich, dass Hexerei im Allgmeinen böse sei’, aber Aidan hatte genügend Kräuterweibchen kennengelernt, die außer ein paar Kröten, welche sie in Vollmondnächten in einen Kessel rührten um Überbeine zu lindern, niemanden etwas zu Leide taten. Einige der Flüche, Bannsprüche und Rezepte in jenem Buch jedoch trugen eindeutig die Zeichen wahrer Niedertracht und Tücke und ein Grund, weswegen sein Meister ihm das Buch vermacht hatte, war seine Widerstandsfähigkeit gegenüber der Verführung, sie willenlos anzuwenden. Er ignorierte die andauernde Betörung und konzentrierte sich auf das Wesentliche: Das Geheimnis um rund der Münze endlich zu lüften.

Er hatte das Siberstück in einem Kästchen neben Cahiras Bett gefunden, als er einmal Nachtwache am Bett seiner Patientin gehalten und vor Langweile die karge Einrichtung studierte hatte. Das Kästchen an sich enthielt wohl vielgeliebte Erinnerungen: Ein paar verblichene Briefe in geübter Beamtenschrift, vertrocknete Blütenblätter, Teile einer gerissenen Kette mit trüben Bernsteinen und dann am Grund die Münze unbekannter Prägung. Aidan hatte sofort gespürt, dass ein Bannspruch auf ihr lag und dies hatte seine schläfrigen Sinne geweckt. An Cahira hatte er die Gabe bislang noch nicht entdecken können und der Junge war zu jung, um einen gerichteten Fluch auszusprechen. Also hatte jemand anders die Münze mit dem Spruch belegt, aber wer und aus welchem Grund?

Aidan hatte in der Zwischenzeit zwar herausgefunden, dass der Fluch bewirkte, dass der Träger der Münze zu einer bestimmten Person hingezogen werden sollte, aber wer diese Person war oder wo sie sich befand, blieb bisher im Nebel verborge. Jegliche Ortungssprüche verpufften wirkungslos, das Pendel, welches ihm auf einer groben Weltkarte den ungefähren Aufenthaltsort des Verursachers zeigen wollte, blieb müde in der Luft hängen, selbst die Kristallkugel, die er nur ungern zur Hilfe nahm und die ihm eigentlich ein Gesicht zeigen sollte, zumindest eine Gestalt, blieb trübe. Er begann an seinen Fähigkeiten zu zweifeln und diese Unsicherheit schlug ihm aufs Gemüt.

Als er nun die einfachen Zutaten zusammenrührte, welche das Rezept aufführten, fragte er sich, warum er nicht eher darauf gekommen war. Seine Erregung wuchs wieder, als er die Münze in das unappetitlich aussehende Gebräu von erbsengrüner Farbe legte. Er musste sich einige Augenblicke gedulden … die Momente verstrichen, ohne dass etwas geschah, er hörte die Möwen draußen schreien ... Und dann, endlich, nachdem seine Hoffnung schon wieder zu schwinden begann, begann die Flüssigkeit zu blubbern, änderte ihre Farbe von grün zu schwarz und stieg eine dicke Rauchfahne empor, die sich zu einem plastischen Totenschädel formte.

Aidan seufzte, einerseits erleichtert, andererseits enttäuscht, und wedelte das dunkle Zeichen mit einer lässigen Handbewegung fort. Er hatte nun die Gewissheit, dass der Verursacher des Fluches tot war und deswegen waren seine vorherigen Bemühungen, ihn ausfindig zu machen, ins Leere gelaufen. Doch wie gerne hätte er mehr über die Gründe erfahren, die dazu geführt hatten, die Münze zu verfluchen und es war unwahrscheinlich, dass Cahira davon wusste … (Aidan ahnte es zu diesem Zeitpunkt nicht, dass die Münze, welche eine besondere Bedeutung für die Mendozas hatte, vom Erzfeind der jungen Frau, Kyrthon Dureth, mit dem Fluch belegt worden war und jener, zumindest zu der Zeit, als Cahira getrennt von Ehemann und Kameraden auf Svesur gelebt hatte, von Kordian in den Abyss geschickt worden war ...)

Er trocknete die Münze ab, den Rest des Sudes schüttete er achtlos aus einem rasch geöffneten Fenster. Meeresluft vertrieb den Dunst, der sich in der Heilerstube gesammelt hatte und Aidan atmete tief durch. Eher aus einer Laune heraus hob er die Münze zu seinen Lippen und murmelte eine Beschwörungsformel, die den alten Fluch überdeckte - der Tote benötigte ihn wohl kaum mehr - und ihn zum Nutznießer vom Aufenthaltsort der Münze und somit wohl auch Cahira und Lionel machte. Natürlich wollte er den Jungen mit diesen außergewöhnlichen Fähigkeiten im Auge behalten, im günstigsten Falle viel mehr sogar als das, und da schien ihm die Mutter ein guter Zugang … noch besser, wenn Cahira ihm gegenüber Zuneigung fassen sollte … Er schnitt sich mit einem kleinen, scharfen Messer in den Daumen und vermischte das hervorquellende Blut mit einigen Kräutern und rieb das Silberstück damit sorgfältig ein.

… was ist, wenn sie die Münze verliert? .. oder verschenkt? Du musst sie bestrafen .. und den, der die Münze fordert … Qualen … verwende mich .. verwende uns … nur ein paar Worte, Aidan … nur ein paar …


Und Aidan zögerte, lauschend ….
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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RE: Zukunft - von Cahira Mendoza - 05.04.2015, 18:18
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RE: Das Leben nach dem Tod auf Svesur - von Cahira Mendoza - 21.06.2018, 17:37



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