Trug und Schein
#1
Die Welt ist nicht das, was man auf den ersten Blick dort sieht. Der Luxus dessen nur noch das zu sehen was man will kommt erst mit der vollen Börse und der gefüllten Wampe, und ich habe keines von Beiden.
Ich habe zu wenig Fleisch auf den Rippen, zu viele Flausen im Kopf, und zu viele Läuse am Körper, aber nicht einmal genügend Heller um ein Stück Schwarte auf der Straße den Ratten zu überlassen. Das macht mir nichts, es ist das Leben das ich mir ausgesucht habe. Zumindest rede ich mir das gerne ein, wenn ich Nachts auf gammeligem, kompostwarmem Stroh schlafe, und mich mit Straßenkötern um trockene Nischen balgen muss.
All die falsch zu nennenden Entscheidungen eines jungen Lebens habe ich getroffen, und es bisher nie bereut. Will ich artig sein? Nein. Will ich in Zukunft die Finger von den Broten des Bäckers lassen, wenn er sie zum Kühlen in den Hinterhof stellt? Nicht doch. Will ich ein gehorsamer Schüler sein, bei den Druiden bleiben und ein respektiertes Mitglied der Gemeinschaft werden? Das hätte mir noch gefehlt. Will ich die Schmiedsnichte heiraten, wenn ich sie denn schon geschwängert habe? Niemals. Das dumme Blondchen hat sich mir angeboten, mich trifft doch keine Schuld daran wenn sie die Knie nicht zusammen behält.

So war es daheim in Ravinsthal, und hier in Löwenstein ist es ebenfalls nie anders gewesen. Ich will keiner Zunft beitreten, danke. Ich brauche keine Unterkunft, und kein warmes Essen, vor allem nicht von einem reichen Schnösel der sich Leibeigene hält. So etwas führt nur dazu dass man Arbeit angeboten bekommt, und jeder weiß wohin das führt.
Verantwortung, Aufgaben, Pflichten, Termine, eine Frau, ein Rudel quengelnder Kinder, ein Haus, ein Bürgertitel... Oder ein Mann? Ich hasse Verantwortung, und ich hasse es mich festzulegen. Gut, manchmal erfasst eine Kleinigkeit mein Interesse und ich verbeiße mich wie ein zorniges Frettchen, aber prinzipiell kann man mich mit Rechten und Pflichten verscheuchen wie ein waidwundes Rehlein.
Eine solche Kleinigkeit ist der Amboss im Armenviertel. Ist es nicht faszinierend, was der verzerrte Verstand eines geborenen Kriminellen mit winzigen Details so anstellen kann?
Das verdammte Ding war mir völlig egal, all die Zeit die es dort stand und ich ab und an darauf geschmiedet habe. Es steht in der Öffentlichkeit, frei zugänglich, niemand erhebt Anspruch darauf, und deshalb war die wuchtige Gerätschaft nie von Interesse für mich. Ihn zu stehlen wäre gleichbedeutend damit, einen Kopfstein aus dem Boden zu stemmen - mühsam, anstrengend, zeitraubend und am Ende völlig irrelevant.
Dann aber kam dieser Mann, den mein neuer Freund Predragor nennt, und beanspruchte den Amboss. Es sei sein Amboss, seine Schmiede, seins allein, und ich dürfte nicht ran.
Der Moment an dem man seine Betrachtungsweise ändert ist nur schwer zu beschreiben, aber vergleichbar mit dem Anreißen eines Schwefelholzes, mit dem man eine Kerze anstecken will.

Nun wo der Amboss einen Besitzer hat, nicht mehr Allgemeingut ist, und damit einen relevanten Wert, nun bin ich der Nachtfalter der ihn umkreist. Ich will ihn, ich will ihn sehr. Nichts Anderes auf dieser Welt will ich nun wie diesen Amboss, und wie ich mich kenne, werde ich es versuchen bis ich es nicht mehr versuchen kann. Ich habe versucht es meinem neuen Freund zu erklären, aber ich glaube er hat es nicht verstanden. Hat den Reiz der Sache nicht verstanden, den Drang, Dinge wegzunehmen nur um sie wegzunehmen, ohne die explizite Absicht sich daran zu bereichern.
Meine Mutter sagte stets "Alaric, deine Hände müssen die Götter verflucht haben", und vielleicht hat sie Recht damit. Manchmal stecke ich im Vorbeigehen Dinge ein, die ich gar nicht bemerke, bis die Ausbeulung in meiner Tasche mich stutzig macht. Ich bereue es aber auch nie, und das war wohl der schwerwiegendste Grund für meine Eltern, mich zu den Druiden zu schicken. Sie hatten Angst dass ich keine Seele habe, ein Wechselbalg bin, das ihnen die Feen untergeschoben haben.
Glücklicherweise braucht man keine Seele um zu saufen, zu fressen und Weibern die Schenkel zu spreizen. Mich kümmert nicht ob ich eine Seele habe oder nicht. Insgeheim stimme ich meinen Eltern sogar zu, und glaube dass ich keine besitze, aber nur zur Sicherheit befolge ich alle Regeln und Zeremonien der Mondwächter. Man kann ja nie wissen.

Mein neuer Freund hat mir interessante, verlockende, spannende Dinge prophezeit. Vielleicht hilft er mir sogar bei meiner Queste um die Entführung des Ambosses, aber ich muss mich in Geduld üben. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt ihn danach zu fragen, nicht mal der richtige Zeitpunkt um dem schweren Metallblock zu nahe zu kommen. Andere Dinge müssen vorher geschehen, andere Taten getan werden. Dann erst kann ich meinen stählernen Liebsten endlich in die Arme schließen und mit mir nehmen, bevor ich ihn in einer Sickergrube versenke. Was soll ich auch mit einem Amboss?

Nein, nicht heute Nacht. Vielleicht morgen, wenn die Stadt sich zur Ruhe gelegt hat. Ich bin auch lang genug in diesem zugigen Tor gestanden und habe mir die Augen wässrig gestarrt, morgen ist auch noch ein Tag.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Trug und Schein - von Alaric Creutz - 27.06.2014, 04:15
RE: Trug und Schein - von Alaric Creutz - 28.06.2014, 20:03
RE: Trug und Schein - von Alaric Creutz - 30.06.2014, 03:11



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste