Arx Obscura

Normale Version: Trug und Schein
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Die Welt ist nicht das, was man auf den ersten Blick dort sieht. Der Luxus dessen nur noch das zu sehen was man will kommt erst mit der vollen Börse und der gefüllten Wampe, und ich habe keines von Beiden.
Ich habe zu wenig Fleisch auf den Rippen, zu viele Flausen im Kopf, und zu viele Läuse am Körper, aber nicht einmal genügend Heller um ein Stück Schwarte auf der Straße den Ratten zu überlassen. Das macht mir nichts, es ist das Leben das ich mir ausgesucht habe. Zumindest rede ich mir das gerne ein, wenn ich Nachts auf gammeligem, kompostwarmem Stroh schlafe, und mich mit Straßenkötern um trockene Nischen balgen muss.
All die falsch zu nennenden Entscheidungen eines jungen Lebens habe ich getroffen, und es bisher nie bereut. Will ich artig sein? Nein. Will ich in Zukunft die Finger von den Broten des Bäckers lassen, wenn er sie zum Kühlen in den Hinterhof stellt? Nicht doch. Will ich ein gehorsamer Schüler sein, bei den Druiden bleiben und ein respektiertes Mitglied der Gemeinschaft werden? Das hätte mir noch gefehlt. Will ich die Schmiedsnichte heiraten, wenn ich sie denn schon geschwängert habe? Niemals. Das dumme Blondchen hat sich mir angeboten, mich trifft doch keine Schuld daran wenn sie die Knie nicht zusammen behält.

So war es daheim in Ravinsthal, und hier in Löwenstein ist es ebenfalls nie anders gewesen. Ich will keiner Zunft beitreten, danke. Ich brauche keine Unterkunft, und kein warmes Essen, vor allem nicht von einem reichen Schnösel der sich Leibeigene hält. So etwas führt nur dazu dass man Arbeit angeboten bekommt, und jeder weiß wohin das führt.
Verantwortung, Aufgaben, Pflichten, Termine, eine Frau, ein Rudel quengelnder Kinder, ein Haus, ein Bürgertitel... Oder ein Mann? Ich hasse Verantwortung, und ich hasse es mich festzulegen. Gut, manchmal erfasst eine Kleinigkeit mein Interesse und ich verbeiße mich wie ein zorniges Frettchen, aber prinzipiell kann man mich mit Rechten und Pflichten verscheuchen wie ein waidwundes Rehlein.
Eine solche Kleinigkeit ist der Amboss im Armenviertel. Ist es nicht faszinierend, was der verzerrte Verstand eines geborenen Kriminellen mit winzigen Details so anstellen kann?
Das verdammte Ding war mir völlig egal, all die Zeit die es dort stand und ich ab und an darauf geschmiedet habe. Es steht in der Öffentlichkeit, frei zugänglich, niemand erhebt Anspruch darauf, und deshalb war die wuchtige Gerätschaft nie von Interesse für mich. Ihn zu stehlen wäre gleichbedeutend damit, einen Kopfstein aus dem Boden zu stemmen - mühsam, anstrengend, zeitraubend und am Ende völlig irrelevant.
Dann aber kam dieser Mann, den mein neuer Freund Predragor nennt, und beanspruchte den Amboss. Es sei sein Amboss, seine Schmiede, seins allein, und ich dürfte nicht ran.
Der Moment an dem man seine Betrachtungsweise ändert ist nur schwer zu beschreiben, aber vergleichbar mit dem Anreißen eines Schwefelholzes, mit dem man eine Kerze anstecken will.

Nun wo der Amboss einen Besitzer hat, nicht mehr Allgemeingut ist, und damit einen relevanten Wert, nun bin ich der Nachtfalter der ihn umkreist. Ich will ihn, ich will ihn sehr. Nichts Anderes auf dieser Welt will ich nun wie diesen Amboss, und wie ich mich kenne, werde ich es versuchen bis ich es nicht mehr versuchen kann. Ich habe versucht es meinem neuen Freund zu erklären, aber ich glaube er hat es nicht verstanden. Hat den Reiz der Sache nicht verstanden, den Drang, Dinge wegzunehmen nur um sie wegzunehmen, ohne die explizite Absicht sich daran zu bereichern.
Meine Mutter sagte stets "Alaric, deine Hände müssen die Götter verflucht haben", und vielleicht hat sie Recht damit. Manchmal stecke ich im Vorbeigehen Dinge ein, die ich gar nicht bemerke, bis die Ausbeulung in meiner Tasche mich stutzig macht. Ich bereue es aber auch nie, und das war wohl der schwerwiegendste Grund für meine Eltern, mich zu den Druiden zu schicken. Sie hatten Angst dass ich keine Seele habe, ein Wechselbalg bin, das ihnen die Feen untergeschoben haben.
Glücklicherweise braucht man keine Seele um zu saufen, zu fressen und Weibern die Schenkel zu spreizen. Mich kümmert nicht ob ich eine Seele habe oder nicht. Insgeheim stimme ich meinen Eltern sogar zu, und glaube dass ich keine besitze, aber nur zur Sicherheit befolge ich alle Regeln und Zeremonien der Mondwächter. Man kann ja nie wissen.

Mein neuer Freund hat mir interessante, verlockende, spannende Dinge prophezeit. Vielleicht hilft er mir sogar bei meiner Queste um die Entführung des Ambosses, aber ich muss mich in Geduld üben. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt ihn danach zu fragen, nicht mal der richtige Zeitpunkt um dem schweren Metallblock zu nahe zu kommen. Andere Dinge müssen vorher geschehen, andere Taten getan werden. Dann erst kann ich meinen stählernen Liebsten endlich in die Arme schließen und mit mir nehmen, bevor ich ihn in einer Sickergrube versenke. Was soll ich auch mit einem Amboss?

Nein, nicht heute Nacht. Vielleicht morgen, wenn die Stadt sich zur Ruhe gelegt hat. Ich bin auch lang genug in diesem zugigen Tor gestanden und habe mir die Augen wässrig gestarrt, morgen ist auch noch ein Tag.
Der Fußverkehr im Armenviertel nimmt zu. Es könnte Einbildung sein, es ist ja nicht so dass ich bisher darauf geachtet hätte, aber vor einigen Tagen konnte ich noch eine gute Stunde am Feuer verweilen ohne dass jemand vorbei gekommen wäre, und nun... Nun sehe ich laufend Schemen und Schatten an den Toren abbiegen, wo sie sonst vorbei gegangen wären. Manchmal fühle ich mich auch beobachtet, wenn ich mich in das Viertel wage, also sehe ich nichts und niemanden allzu auffällig an und bleibe auch nicht stehen.
Ich fühle mich mächtig, selbst wenn es sich wirklich nur als Einbildung herausstellen sollte. Ein kleiner Wurm wie ich kann so viele Menschen aufbringen? Wer hätte das gedacht. Berauschend ist es.
Diesmal stehe ich nicht am Tor zwischen Altstadt und Armenviertel, das wäre zu gefährlich und zu auffällig. Stattdessen muss die bröckelige Wand neben dem Eingang des Badehauses als Stütze herhalten, und von dort aus halte ich auch Ausschau nach... allem. Opfern für einen flinken Griff in die Tasche, Opfern für ausgiebiges und klagendes Betteln, und potenziellen Spähern, die für mich einen Blick ins Armenviertel werfen. Ich habe zwar schon zwei Gossenjungen jeweils eine Münze in die Hand gedrückt und ihnen eine weitere versprochen sobald sie zurück kommen, aber wer Gossenjungen traut ist ein Glücksspieler. Sie sind beide nicht wieder gekommen, wie zu erwarten.
Gerade will ich eine Frau mit abgehalfterten Röcken und fadenscheiniger, viel zu locker sitzender Bluse ansprechen, als eine Gruppe von gut gekleideten Personen Platz am Tisch vor der Taverne einnimmt. Schlagartig fühle ich mich wieder beobachtet, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Es ist nicht gut, wenn das eigene Gesicht zu bekannt wird, und ich will es nicht darauf anlegen. Nicht mit meinen Opfern, zumindest.
Ich folge der Frau in den alten Hafen, wenn auch etwas verträumt und nicht so motiviert wie zuvor. Sie biegt um eine Ecke, und anstatt wie sonst einen größeren Bogen zu machen folge ich ihr in meiner Träumerei ohne zu zögern - ein Fehler.
Sie packt mich, kaum dass ich die Bewegung aus dem Augenwinkel gesehen habe, drückt meinen Rücken an die Wand und ein kleines, schartiges Messer an meinen Hals. Der Geruch nach frisch geschnittenen Zwiebeln steigt mir in die Nase, während ich ihr verdutzt entgegen blinzle und etwas ertappt aufgrinse.
Sie hat eine Zahnlücke, strähniges, schmutzigblondes Haar, weit auseinander liegende Augen und einen Buckel am Nasenbein, der auf einen alten Bruch hindeutet. Ihre Lippen sind allerdings so voll und rosig, dass ich automatisch dorthin starren muss, wo sie sich zornig kräusen. Man muss die schönen Dinge im Leben im Auge behalten, daraus ist die Hoffnung gestrickt.
"Hier gibts nichts zu holen, verzieh dich!" knurrt mir das blonde Ding entgegen. Nicht dass ich es ihr glauben würde, immerhin riecht ihr Messer nach der Zubereitung von warmem Essen. Es ist allerdings erst zwei Stunden her dass ich einen Eisenbarren gegen eine ordentliche Schüssel Fleischbrühe (nur leicht vergammelt!) getauscht habe, und selbst der Geruch von Essen kann meinen flatterhaften Verstand gerade nicht fesseln. Es sind die Lippen, das wette ich.
"Gibt es für fünfzig Heller etwas zu holen, Liebchen?" erwidere ich daher, und setze mein bestes Lausbubengrinsen auf, um ihr zu zeigen dass ich im Gegensatz zu vielen Anderen noch alle Zähne habe.
Es wirkt. Oder das Geld wirkt, ich weiß es nicht.
Mit einem Schnauben drückt sie mir das Messer noch einmal fester gegen den Kehlkopf, dann knurrt sie "Geld im Vorhinein!" und steckt ihre wenig beeindruckende Waffe wieder weg.
Meine letzten Münzen wechseln den Besitzer, dann nimmt sie mich an der Hand und zieht mich in eine matschige, finstere Seitengasse. Einmal mehr bin ich völlig mittellos, aber im Gegensatz zu den Taten meiner blonden Erwählten werde ich für die Behebung dieses Problems keine Hilfe brauchen.
Da geht er hin, der Amboss. Aus meinem halbdunklen Beobachtungsposten aus beschaue ich die Aufregung dort hinten am Schmiedezelt. Wie sie mein Liebchen mit einem Seil schmücken. Es an ein Pferd binden... ein Ruck, und los rattert und klappert das massive Stück Gusseisen.
Kurz bin ich versucht meinen Posten zu verlassen, hin zu stürzen und mich auf den Amboss zu werfen damit sie ihn nicht fortbringen, aber ich unterdrücke den Instinkt. Wenn ich dort nicht schmieden darf, soll niemand es können, und siehe da... mein Wunsch wurde Wirklichkeit. Ohne den Amboss ist die Esse sinnlos, und damit der ganze Schmiedeplatz, und ich bin zufrieden.
Fühle mich mächtig.
Der Geruch von verbranntem Vogel mischt sich mit der zornigen Stimme der berittenen Frau, und wie die Menschen so sind, erhitzt sich der Streit mehr und mehr mit jedem hinzukommenden Mundwerk. Lippen tanzen unter den heftigen Worten, Schultern straffen sich, Hände greifen nach Waffen, und hätte ich nicht Sorge dass der Graue und die Rote den beiden Ambossdieben unterlegen sein könnten, ich würde mich nur zum Spaß an der Freude näher wagen, um die Verletzten zu beklauen. So aber muss ich in meinem Zwielicht hocken und beobachten, und kurze Zeit später scheinen sich die Gemüter genügend beruhigt zu haben, um den Amboss davon ziehen zu lassen, während Grau und Rot miteinander liebäugeln. Unmittelbare Gefahr hat diese Auswirkung auf den Trieb eines Menschen.
Stumm sehe ich zu, wie der Amboss gen' Stadttor klappert, durch die Wachen, durch das Haupttor, und hinaus in die Dunkelheit - morgen werden alle möglichen Gerüchte umgehen darüber, was im Armenviertel nur los gewesen sein kann, und wieso die Wachen nicht auf die Idee kamen, dieses Spektakel zu unterbrechen.
Ich folge ihnen nicht, beobachte stattdessen die fortgeführten Gespräche ums Feuer, und wende mich schließlich ab, um meinen Posten zu verlassen.
Mein neuer Freund hatte Recht, mit allem was er mir zuflüsterte. Sie sind so reaktiv, diese Geldsäcke, ich hätte es ja nie geglaubt wenn ich es nicht gerade mit eigenen Augen gesehen hätte. Wäre ich nur ein wenig nachlässiger in meinen Beobachtungen, ich hätte nie gewusst was mit dem Amboss geschehen ist.
Umso spannender wird es sein herauszufinden, was mein Opfer tun wird wenn er mich morgen wieder die kleine Schmiede beobachten sieht. Wenn er herausfindet, dass ich seine Truglist durchschaut habe, und nur darauf lauere dass er das Stück Metall wieder an seinen Platz zurück bringt.
Beinahe ist die Vorfreude ausreichend, um mich zurück zum Tor zu treiben... Aber nur beinahe.
Ich habe noch genügend Zeit bis zum Abend.