Von den Göttern verlassen
#2
Emily wickelte die Bandage um den, von einer tiefen Schnittwunde verletzten, Arm und zog sie fest. Ein leises Brummen von Marcus folgte, deutete Schmerzen dabei an, die er gekonnt unterdrückte. Räuber … Mörder … Diebe … Abschaum der Gesellschaft hatten ihm das angetan. Mit stummen Tränen in den Augen wusch sie die Platzwunde auf seiner Schläfe.
Tag für Tag stellte er sich diesen Gestalten, ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben. Sie deckte die Wunde mit einem Knäuel Verbandszeug ab und fixierte das Ganze mit einem weiteren, stramm anliegenden, Verband.
Es war genug, endgültig genug.
“Du solltest weniger Angst haben.“ Magdas Worte trommelten wie eine Marschkapelle auf ihre Gedanken ein.
Endlich schlief er ein, schloss die vom Kampf gezeichneten Augen. Sein Atem wurde regelmäßiger, er wirkte friedlich. Derweil begannen die Flammen in Emilys Seele höher und höher zu schlagen. Das Gesindel, Typen wie Gustav mussten bezahlen. Nie mehr sollte jemand Marcus derartig verletzen.

Nodon, führe meinen gerechten Zorn,
gegen das Böse, in welcher Form,
auch immer es mir entgegentritt.
Begleite mich auf Schritt und Tritt.


Der Bogen war bis zum Anschlag gespannt. Doch sie zögerte noch ihn abzufeuern. Der Kraftaufwand, die Sehne in dieser Position zu halten, trieb ihr den Schweiß aus den Poren.
Es waren Verbrecher, Diebesgesindel, welches da schmatzend um das Lagerfeuer saß. Weder Mitleid, noch Angst waren hier angesagt. Kalte Entschlossenheit führte ihren Finger. Sie hatten keinen Richtspruch verdient, nur den Henker. Sie würde ihr Henker sein.
„Der nächste Bissen wird dein letzter sein.“
Der Pfeil verließ die Sehne mit einem lauten Zischen. Wie ein Greif, der sich auf seine Beute stürzt, raste er heran. Der Mann wusste nicht wie ihm geschah, als er herzhaft von seinem gebratenem Wild abbeißen wollte und ihn das Geschoss in den Hinterkopf traf. Die Wucht des Aufpralls trieb die metallverstärkte Spitze aus seinem Gesicht wieder heraus. Das Blut schoss wie ein explodierendes Pulverfass in alle Richtungen und ließ das Feuer gefährlich aufzischen.

Lass nicht zu, dass Freunde fallen,
hilf mir, tu mir den Gefallen.
Führe meinen Bogen gut,
lass nicht fallen meinen Mut.


Die anderen beiden waren blitzartig auf den Beinen. Ihre Bierkrüge fielen ihnen aus der Hand. Sie stolperten wie Kleinkinder übereinander, suchten ihre Waffen, während sie Ausschau nach dem Angreifer hielten. Emily hatte schon den zweiten Pfeil aufgelegt, während sie sich in die Deckung des Gebüschs begeben hatte. Sie schnellte nach oben, zielte wenige Sekunden.
„Du wirst keiner Frau mehr etwas zu Leide tun.“ Er sah aus wie Gustav, was ihren Zorn nur noch weiter antrieb. Sicher war er ein genauso perverses Schwein.
Ein markerschütternder Schrei, ehe der zweite Räuber in die Knie ging. Der Pfeil war in die empfindliche Stelle zwischen seinen Beinen eingedrungen. Emily lächelte kalt und beeilte sich nachzuladen. Nun hatte man sie entdeckt, jede Sekunde zählte. Sie zog gleich zwei Pfeile aus dem Köcher, verwahrte den ersten zwischen ihren Lippen und legte den zweiten sofort auf die Sehne. Der letzte Räuber rannte wie toll auf sie zu, schwang sein blutiges Messer.
Früher hätte sie das aus dem Konzept gebracht, sie in ihrer Entscheidung wanken lassen. Aber diese Zeiten waren vorbei. Nur noch kalte Entschlossenheit hatte ihre Gedanken im Griff. Er bewegte sich zu schnell, als das sie genau zielen konnte, also feuerte sie auf seinen Brustbereich.
Sie konnte die Furcht für den Bruchteil einer Sekunde in seinen Augen aufblitzen sehen. Es befriedigte ihre kalte Gier nach seinem Blut über alle Maßen. Mit rasantem Tempo schlug Metall auf Stoff, durchdrang ihn mühelos und bohrte sich in warmes Fleisch. Der Schuss ließ ihn zurückprallen, aber die Wut des Mannes war scheinbar größer als der Schmerz. Nur noch wenige Meter trennten sie. Keine Zeit die Sehne voll durchzuspannen. Sie zog den Pfeil rasch aus ihrem Mund, riss sich die Lippen damit auf. Der kurze Schmerz trieb das Adrenalin nur noch schneller durch ihre Adern. Die Zeit schien langsamer zu laufen. Er rannte nun merklich langsamer auf sie zu, sein Atem ging schwer. Doch genauso quälend langsam schien sich ihr Arm nur Millimeter um Millimeter zu bewegen.
Endlich lag der Pfeil auf der Sehne. Keine Zeit darüber nachzudenken. Sie feuerte … und traf. Der Rückschlag ließ ihn fast einen Salto schlagend zu Boden fliegen. Emily genoss einen Moment zu lange den regelrechten Sprühregen aus Blut, welcher seinen Sturz begleitete.
Der zweite Räuber hatte sich scheinbar von seiner Kastration erholt und warf sich in vollem Lauf gegen sie. Sie überschlugen sich mehrmals, ehe er auf ihr zum Stillstand kam. Sein Gewicht drückte ihr die Luft aus den Lungen und der alkoholgetränkte Atem nahm ihr die Sinne.

Halt mit fester Hand mein Schwert,
treib es in des Feindes Herd.
Lass Blut aus ihren Leibern sprießen,
bis gestillt ist, der Durst am Vergießen.


Ein brutaler Schlag auf ihr Gesicht drohte ihr die Sinne zu nehmen. Er erhob sich ein Stück weit, holte mit einem dünnen Messer aus. Emily konzentrierte sich, musste den richtigen Moment abwarten. Gerade als er hinabstoßen wollte, nutzte sie sein Vorwärtsmoment und drückte ihre Hüfte blitzartig nach oben. Durch seinen eigenen Schwung mitbeflügelt, rollte der Räuber ungewollt über sie hinüber. Emily wollte ihm keine Zeit lassen, sich von der Verwunderung zu erholen. Sie riss den Dolch aus der Lederscheide an ihrer Seite und rollte sich herum, gelangte flink auf die Knie.
Der Räuber drehte ihr gerade sein bärtiges Gesicht zu, da war sie schon neben ihm. Ihr Dolch stach erbarmungslos in seine Seite und ließ ihn wie einen gequälten Hund aufjaulen. Er drehte sich ein Stück, um seinerseits zurückzuschlagen. Zwar war Emily ihm kraftmäßig wohl unterlegen, aber das machte sie mit ihrer Schnelligkeit wett. Noch während seine Klinge auf sie zuraste, stach sie ihm die ihrige in den Arm. Reflexartig zog er diesen zurück. Sein Schmerzensschrei war voller Agonie und einer unbeschreiblichen Wut auf die junge Frau.
Mit einem kraftvollen Satz sprang sie auf und jagte den Dolch nach vorne. Mühelos fand der Stahl den Weg zwischen seinen Rippen hindurch. Sie ließ ihn gar nicht dazu kommen sich zu wehren. Stach wieder und wieder zu. Jedes Mal, wenn sie die Klinge hinauszog, spritzte Blut aus seinen Wunden, benetzte ihr Gesicht und ihr Haar, aber sie ließ sich nicht beirren. Selbst als er keine Regung mehr zeigte, entließ sie all ihren Zorn weiter an ihm. Berserkerartig stieß sie wieder und wieder zu, bis ihr Verstand langsam wieder Herr über ihre Sinne wurde.
Mit bebendem Körper richtete sie sich auf, strich sich die Haare, welche ihr wild ins Gesicht hingen zurück und betrachtete ihr Werk. Sie verdrängte ihre Schuldgefühle gekonnt mit dem Bild ihres verwundeten Geliebten. Es konnte gar nicht genug Blut fließen, um sein Leid wett zu machen.
Sie richtete ihr Augenmerk auf einen Baum nahe des Lagers, zog einen Pfeil und spannte die Sehne durch. Regelrechte Wutlinien brannten sich auf ihr Antlitz, ließen die verheilten Narben erneut wie Feuer lodern. Als wäre der Baum ihr Erzfeind, flog der Pfeil unheilverkündet in dessen Richtung und durchstieß krachend die Rinde.
„Gustav, du bist der Nächste.“
Heute schienen ihr die Götter ausnahmsweise einmal gewogen zu sein.
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Blutjagd - von Emily Rosendorn - 10.03.2014, 11:55



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