Arx Obscura

Normale Version: Von den Göttern verlassen
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Das Donnern des Wasserfalls übertönte jegliches Geräusch in der Umgebung. Winzige Wassertröpfchen sprangen fröhlich durch die Luft, glitzerten ein letztes Mal in der Sonne, ehe sie darnieder gingen.
Emily genoss den feinen Nebel, der sich auf ihr Gesicht ergoss. Er kühlte die längst verheilten Wunden auf ihrem Gesicht, die sich in feinen Linien wohl ewig darauf abzeichnen würden. Manchmal brannten sie, als hätten die Rosen sie erst ganz frisch mit blutigem Stift in ihre Haut geritzt. Aber es war wohl viel eher das Brennen auf der Seele, welches sie spürte. Der Gedanke von den echten Eltern abgegeben geworden zu sein.

Sie schloss die Augen und ließ sich auf die Knie nieder. Wie so oft, wenn sie an einem wunderschönen Quell, einem langsam dahinströmendem Fluss oder der Urgewalt eines Wasserfalls vorbeikam, stimmte sie ihr Lied an. Ihre klare Stimme schallte glockenhell über die umliegende Weide. Wäre sie nicht von den Wassermassen übertönt geworden, so manch ein Landwirt in der Nähe wäre wohl verzückt gewesen.

So sang sie für sich allein. Für ihren Glauben, um Stärke bittend gegen die schrecklichen Bilder in ihrem Kopf, die sie in vielen ruhigen Momenten heimsuchten. Erinnerungen, alte und jüngste. Erst vor kurzem war eine neue dazugekommen. Aber sein Beistand hatte ihr bisher immer geholfen, die Angst vertrieben.


Herr der Flüsse,
Herr der See,
heut steh‘ ich hier und erfleh,
deine Gnade, deinen Schutz,
wenn ich manchmal der Strömung trotz,
überqueren muss manch tiefen Fluss.



„Aryn!“
Das Messer zuckte nach unten, zielte auf den Hals seines Opfers. Ein Tumult wurde laut und sie stürzte nach hinten zu Boden. Starke Hände griffen nach ihr und zogen sie wieder in die Höhe. Es wäre wohl besser gewesen unten zu bleiben, das blutige Schauspiel nicht zu beobachten.
Der Täter sank zusammen unter den Stichen mehrerer Messer, überall Blut, Blut, … Blut. Üble Galle stieg in Emilys Hals auf. Sie versuchte zu atmen, durchzuatmen, das Gefühl zu überdecken. Aber es wurde nur noch stärker, quälte sich ihren Hals hinaus.
Sie stürmte hinaus, prallte gegen die steinerne Balustrade und spie es hinaus. Ein gewaltiger Strom aus Blut ergoss sich aus ihrem Mund, vermischte sich mit dem reißenden Strom des Wassers.


Emily presste die Augen so fest zusammen, wie sie konnte. Nur mit Mühe presste sie das Lied weiter hervor. Es war, als würden die Bilder ihre Kehle zuschnüren, aber sie musste stärker sein, Herr über ihre Gedanken werden.


Leit‘ meinen Schritt von Stein zu Stein,
ich ergeb‘ mich deiner Güte, will eins mit dir sein.



Eins mit dir … eins mit dem Meer. Der Strom des Flusses wurde stärker. Wellen schlugen gegen die gewaltigen Mauern. Der Boden unter ihr begann zu schaukeln, während sie aus dem Fenster des Schiffs sah. Ihr Magen schlug Purzelbäume, während ein Ruck sie fast aus dem Bett warf.
Die Tür wurde aufgerissen und schlug donnernd gegen die Kabinenwand. Ihr Ziehvater stand klatschnass, mit geradezu irrem Blick, in der Tür.
„Hinaus mit euch, rasch!“
Panik überkam Emily und sie rüttelte an ihrer Schwester. Sie wollte nicht aufwachen, blieb einfach liegen. Irgendetwas stimmte hier nicht, das war falsch, so falsch!
„Hilf mir, Papa wir müssen sie hier rausholen!“
Von oben ertönten die Schreie der Matrosen, das hektische Durcheinander, der Versuch, das taumelnde Schiff unter Kontrolle zu bringen. Mit der Kraft der Verzweiflung zog sie Mireille aus dem Bett. Ihr Körper schien plötzlich Tonnen zu wiegen. Sie schrie nach Hilfe, aber ihr versagte die Stimme. Von ihrem Vater keine Spur mehr. Emily hatte keine Wahl, als sie Stück für Stück nach oben zu ziehen.


Sie versuchte die verzerrte Erinnerung zu verdrängen, schüttelte den Kopf, schrie ihr Stoßgebet an Chronos regelrecht hinaus. Ein Wind kam auf und zerzauste ihr Haar, versuchte ihre Worte zu verwehen, aber er motivierte sie nur noch umso lauter zu werden.


Herr der Flüsse,
Herr der Gischt,
bitte vergiss mein Flehen nicht.
Ich mach Schritt um Schritt hinein,
durch des Lebens schwere Pein.
Wie das Wasser umgibt mich der Fluss,
des Lebens Qual, des ständ‘gen Verdruss.
Bleib an meiner Seite, steh zu mir treu,
wie auch ich bekräftig‘ meinen Schwur erneut.



Endlich hatte sie die Takelage erreicht. Welle um Welle schlug über die Reling und durchnässte sie binnen Sekunden. Ein Brescher drohte sie und Mireille von Bord zu werfen. Ihre Muskeln schienen zu explodieren, als sie es bewerkstelligte sich und Mireille festzuhalten.
Endlich hatte sie ihre Stimme wiedergefunden.
„Vater! Wo bist du?!“, schrie sie so laut sie konnte, aber der Sturm schluckte jeglichen Laut.
Ein gewaltiger Ruck, gefolgt von einem Aufächzen des Schiffbauchs schleuderte sie von den Beinen. Mireille schlitterte aus ihren Armen über das Deck.
„Mireille!“ Ihre Stimme überschlug sich fast in schierer Verzweiflung.
Ein Blitz erhellte den Himmel. Da stand Marcus an der Reling. Seelenruhig, als könnte das Unwetter ihm nichts anhaben. Er hielt ihr die Arme offen, wie zu einer Umarmung. Sie schüttelte den Kopf und deutete auf ihre Schwester, die sie nicht zu erreichen vermochte. Sie lief zu ihr, aber die Distanz wurde einfach nicht geringer. Es schien, als würde sich das gesamte Schiff in die Länge ziehen.
„Marcus! Bitte, hilf meiner Schwester!“, flehte sie, aber es schien als würde er sie nicht hören. Nur ein Lächeln, das ständige Lächeln, das sie nun regelrecht wütend machte.


Eine Träne rann Emilys Wange hinab. Der schrecklichste Tag ihres Lebens drohte sie zu übermannen. Beinahe wäre sie nicht mehr in der Lage dazu gewesen weiterzumachen.


Herr der Flüsse,
Herr der Gezeiten,
lass mich auf meinem Pfad nie rückwärts schreiten.
Auch wenn ich weit fort von der Heimat muss,
hinabfahre einen weiten Fluss.
Lass mich nie an Heimweh leiden,
immer nur nach vorne schreiten.
Ich komm zurück, bleib meinem Delta treu,
doch lass mich erkunden so manches Gewässer neu.



Mireille drohte endgültig von Deck zu rutschen. Noch immer keinerlei Regung. Emily fürchtete fast, sie könnte tot sein. Mit einem beherzten Hechtsprung überwand sie den Abstand und klammerte sich an ihr fest. Ein weiteres Bersten hinter ihr ließ sie umfahren. Ein Riss bildete sich knarzend in der Mitte des Schiffs. Weit entfernt konnte sie ihren Vater ausmachen. Er befand sich auf der Seite des Schiffes, die vom Meer drohte verschluckt zu werden.
„Papa, nein! Komm zu uns!“ Flehend streckte sie die Hand nach ihm aus, während sie mit dem anderen Arm Mireille festhielt. Doch er rührte sich nicht, stand nur stoisch da und wartete regelrecht darauf, dass die Fluten ihn verschlangen.
Emily robbte in seine Richtung. Ihr Körper protestierte, sie hatte keine Kraft mehr. Eine eisige Kälte suchte den Weg zu ihrem Herzen und drohte sie zu lähmen.
„Lass es gut sein“, erscholl eine vertraute Stimme neben ihr.
„Mireille!“ Endlich war sie bei Bewusstsein. „Wir müssen ihm helfen!“
Ihr Blick war kalt, als kenne sie sie gar nicht. Sie schüttelte nur den Kopf. Wie bei einem Kind, welches etwas völlig Dummes sagte.
„Vergeb’ne Liebesmüh, er ist verloren, genau wie wir.“
„Nein! Nein, sag das nicht!“
Die eine Hälfte des Schiffes sank endgültig nach unten und katapultierte den Bug nach oben. Emily hielt Mireille fest, aber die Wucht war zu groß und riss sie auseinander. Sie tauchte schier unendlich tief in die Kälte ein. Der Aufprall presste ihr die Luft aus den Lungen und hätte ihr fast das Bewusstsein genommen.
Sofort versuchte sie mit kräftigen Schwimmbewegungen nach oben zu kommen, aber es schien unendlich weit entfernt. Mehrere Stimmen, teils überlagert, unverständlich, teils ganz klar drangen an ihr Ohr, pochten auf ihr Bewusstsein.
„ihr habt uns den Regen gebracht!“
„Ihr müsst die Kinder Chronos selbst sein!“
„Die Töchter des Ozeans!“
„Bis zur nächsten Sonnenwende musst du dir die Schicksalsgötter weisen lassen, die Schicksalsgötter weisen lassen … weisen lassen …“
Sie hatte es nicht getan! Der Gedanke schoss ihr wie ein glühender Draht in ihr Bewusstsein, ließ sie den Mund öffnen und Wasser einatmen. Verzweifelt ruderte sie weiter mit den Armen, doch Schwäche befiel sie, unendliche Schwäche …
Sie sank zurück, ihre Muskeln erschlafften, die Oberfläche schien noch so weit entfernt.
Über sich sah sie ihn, den gebeugten alten Mann, ihre Rettung. Sie streckte die Hand nach ihm aus, bittend, flehend, aber dieses Mal ignorierte er sie. Dunkelheit umgab sie je tiefer sie sank und genauso verdunkelte sich ihr Bewusstsein immer weiter. Sie nahm einen letzten Atemzug und füllte ihre Lungen mit Wasser.


Emily riss den Mund auf, atmete, keuchte, sog gierig die klare Luft in sich ein. Ihre Stimme war nur noch ein Wispern, als sie das Gebet beendete.


Denn wohin auch immer mich führt die Bewegung,
ich bleib ja doch in deiner Strömung.



Hatte er sie verlassen? War er erzürnt?
Sie hatte ihr Versprechen vernachlässigt, keinen Druiden gesucht. Ihre Trauer über den Verlust ihrer Eltern war zu stark gewesen, der Kampf um das nackte Überleben zu fordernd.
Emilys Blick wanderte zu Boden, wo noch der Bogen lag, der auf seine Vollendung wartete. Er würde noch ein wenig warten müssen – es war Zeit ihre Pflicht zu erfüllen, einen Druiden zu finden.
Emily wickelte die Bandage um den, von einer tiefen Schnittwunde verletzten, Arm und zog sie fest. Ein leises Brummen von Marcus folgte, deutete Schmerzen dabei an, die er gekonnt unterdrückte. Räuber … Mörder … Diebe … Abschaum der Gesellschaft hatten ihm das angetan. Mit stummen Tränen in den Augen wusch sie die Platzwunde auf seiner Schläfe.
Tag für Tag stellte er sich diesen Gestalten, ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben. Sie deckte die Wunde mit einem Knäuel Verbandszeug ab und fixierte das Ganze mit einem weiteren, stramm anliegenden, Verband.
Es war genug, endgültig genug.
“Du solltest weniger Angst haben.“ Magdas Worte trommelten wie eine Marschkapelle auf ihre Gedanken ein.
Endlich schlief er ein, schloss die vom Kampf gezeichneten Augen. Sein Atem wurde regelmäßiger, er wirkte friedlich. Derweil begannen die Flammen in Emilys Seele höher und höher zu schlagen. Das Gesindel, Typen wie Gustav mussten bezahlen. Nie mehr sollte jemand Marcus derartig verletzen.

Nodon, führe meinen gerechten Zorn,
gegen das Böse, in welcher Form,
auch immer es mir entgegentritt.
Begleite mich auf Schritt und Tritt.


Der Bogen war bis zum Anschlag gespannt. Doch sie zögerte noch ihn abzufeuern. Der Kraftaufwand, die Sehne in dieser Position zu halten, trieb ihr den Schweiß aus den Poren.
Es waren Verbrecher, Diebesgesindel, welches da schmatzend um das Lagerfeuer saß. Weder Mitleid, noch Angst waren hier angesagt. Kalte Entschlossenheit führte ihren Finger. Sie hatten keinen Richtspruch verdient, nur den Henker. Sie würde ihr Henker sein.
„Der nächste Bissen wird dein letzter sein.“
Der Pfeil verließ die Sehne mit einem lauten Zischen. Wie ein Greif, der sich auf seine Beute stürzt, raste er heran. Der Mann wusste nicht wie ihm geschah, als er herzhaft von seinem gebratenem Wild abbeißen wollte und ihn das Geschoss in den Hinterkopf traf. Die Wucht des Aufpralls trieb die metallverstärkte Spitze aus seinem Gesicht wieder heraus. Das Blut schoss wie ein explodierendes Pulverfass in alle Richtungen und ließ das Feuer gefährlich aufzischen.

Lass nicht zu, dass Freunde fallen,
hilf mir, tu mir den Gefallen.
Führe meinen Bogen gut,
lass nicht fallen meinen Mut.


Die anderen beiden waren blitzartig auf den Beinen. Ihre Bierkrüge fielen ihnen aus der Hand. Sie stolperten wie Kleinkinder übereinander, suchten ihre Waffen, während sie Ausschau nach dem Angreifer hielten. Emily hatte schon den zweiten Pfeil aufgelegt, während sie sich in die Deckung des Gebüschs begeben hatte. Sie schnellte nach oben, zielte wenige Sekunden.
„Du wirst keiner Frau mehr etwas zu Leide tun.“ Er sah aus wie Gustav, was ihren Zorn nur noch weiter antrieb. Sicher war er ein genauso perverses Schwein.
Ein markerschütternder Schrei, ehe der zweite Räuber in die Knie ging. Der Pfeil war in die empfindliche Stelle zwischen seinen Beinen eingedrungen. Emily lächelte kalt und beeilte sich nachzuladen. Nun hatte man sie entdeckt, jede Sekunde zählte. Sie zog gleich zwei Pfeile aus dem Köcher, verwahrte den ersten zwischen ihren Lippen und legte den zweiten sofort auf die Sehne. Der letzte Räuber rannte wie toll auf sie zu, schwang sein blutiges Messer.
Früher hätte sie das aus dem Konzept gebracht, sie in ihrer Entscheidung wanken lassen. Aber diese Zeiten waren vorbei. Nur noch kalte Entschlossenheit hatte ihre Gedanken im Griff. Er bewegte sich zu schnell, als das sie genau zielen konnte, also feuerte sie auf seinen Brustbereich.
Sie konnte die Furcht für den Bruchteil einer Sekunde in seinen Augen aufblitzen sehen. Es befriedigte ihre kalte Gier nach seinem Blut über alle Maßen. Mit rasantem Tempo schlug Metall auf Stoff, durchdrang ihn mühelos und bohrte sich in warmes Fleisch. Der Schuss ließ ihn zurückprallen, aber die Wut des Mannes war scheinbar größer als der Schmerz. Nur noch wenige Meter trennten sie. Keine Zeit die Sehne voll durchzuspannen. Sie zog den Pfeil rasch aus ihrem Mund, riss sich die Lippen damit auf. Der kurze Schmerz trieb das Adrenalin nur noch schneller durch ihre Adern. Die Zeit schien langsamer zu laufen. Er rannte nun merklich langsamer auf sie zu, sein Atem ging schwer. Doch genauso quälend langsam schien sich ihr Arm nur Millimeter um Millimeter zu bewegen.
Endlich lag der Pfeil auf der Sehne. Keine Zeit darüber nachzudenken. Sie feuerte … und traf. Der Rückschlag ließ ihn fast einen Salto schlagend zu Boden fliegen. Emily genoss einen Moment zu lange den regelrechten Sprühregen aus Blut, welcher seinen Sturz begleitete.
Der zweite Räuber hatte sich scheinbar von seiner Kastration erholt und warf sich in vollem Lauf gegen sie. Sie überschlugen sich mehrmals, ehe er auf ihr zum Stillstand kam. Sein Gewicht drückte ihr die Luft aus den Lungen und der alkoholgetränkte Atem nahm ihr die Sinne.

Halt mit fester Hand mein Schwert,
treib es in des Feindes Herd.
Lass Blut aus ihren Leibern sprießen,
bis gestillt ist, der Durst am Vergießen.


Ein brutaler Schlag auf ihr Gesicht drohte ihr die Sinne zu nehmen. Er erhob sich ein Stück weit, holte mit einem dünnen Messer aus. Emily konzentrierte sich, musste den richtigen Moment abwarten. Gerade als er hinabstoßen wollte, nutzte sie sein Vorwärtsmoment und drückte ihre Hüfte blitzartig nach oben. Durch seinen eigenen Schwung mitbeflügelt, rollte der Räuber ungewollt über sie hinüber. Emily wollte ihm keine Zeit lassen, sich von der Verwunderung zu erholen. Sie riss den Dolch aus der Lederscheide an ihrer Seite und rollte sich herum, gelangte flink auf die Knie.
Der Räuber drehte ihr gerade sein bärtiges Gesicht zu, da war sie schon neben ihm. Ihr Dolch stach erbarmungslos in seine Seite und ließ ihn wie einen gequälten Hund aufjaulen. Er drehte sich ein Stück, um seinerseits zurückzuschlagen. Zwar war Emily ihm kraftmäßig wohl unterlegen, aber das machte sie mit ihrer Schnelligkeit wett. Noch während seine Klinge auf sie zuraste, stach sie ihm die ihrige in den Arm. Reflexartig zog er diesen zurück. Sein Schmerzensschrei war voller Agonie und einer unbeschreiblichen Wut auf die junge Frau.
Mit einem kraftvollen Satz sprang sie auf und jagte den Dolch nach vorne. Mühelos fand der Stahl den Weg zwischen seinen Rippen hindurch. Sie ließ ihn gar nicht dazu kommen sich zu wehren. Stach wieder und wieder zu. Jedes Mal, wenn sie die Klinge hinauszog, spritzte Blut aus seinen Wunden, benetzte ihr Gesicht und ihr Haar, aber sie ließ sich nicht beirren. Selbst als er keine Regung mehr zeigte, entließ sie all ihren Zorn weiter an ihm. Berserkerartig stieß sie wieder und wieder zu, bis ihr Verstand langsam wieder Herr über ihre Sinne wurde.
Mit bebendem Körper richtete sie sich auf, strich sich die Haare, welche ihr wild ins Gesicht hingen zurück und betrachtete ihr Werk. Sie verdrängte ihre Schuldgefühle gekonnt mit dem Bild ihres verwundeten Geliebten. Es konnte gar nicht genug Blut fließen, um sein Leid wett zu machen.
Sie richtete ihr Augenmerk auf einen Baum nahe des Lagers, zog einen Pfeil und spannte die Sehne durch. Regelrechte Wutlinien brannten sich auf ihr Antlitz, ließen die verheilten Narben erneut wie Feuer lodern. Als wäre der Baum ihr Erzfeind, flog der Pfeil unheilverkündet in dessen Richtung und durchstieß krachend die Rinde.
„Gustav, du bist der Nächste.“
Heute schienen ihr die Götter ausnahmsweise einmal gewogen zu sein.