Hammer und Amboss - Aus dem Leben eines Schmiedes
#44
Der Zwischenfall mit dem Riesen, bei dem sich Anouk eine Verletzung am Fuß zuzog, hatte dafür gesorgt, dass einige Tage vergingen, ehe sie sich erneut mit dem Schmied treffen konnte. Die Tage der Müßigkeit waren Anouk sehr willkommen, denn so hatte sie genug Zeit, um nachzudenken. Für sie stand außer Frage, wem sie den Rundschild opfern würden, aber der Ort bereitete ihr Kopfzerbrechen. Es sollte ein Schrein sein, an dem sie den beiden Göttern - Nodons und Gwynn - besonders nah sein konnten.

Mit ihren Gedanken im Gepäck zog sie los zur Schmiede, wo Aki sie bereits erwartete. Als sie den Schild sah, staunte sie. Der Schmied hatte ihre Skizze in allen Details umgesetzt - mit Ausnahme des Schildbuckels. Es hatte ihn sicherlich einige Tage gekostet, den Schild zur Vollendung zu bringen. Sie stellte sich vor, wie der Hüne mit verbissener Miene am Amboss stand und den Hammer in das Metall trieb, dabei nur einen Bruchteil seiner Kraft aufwendend. Es war bewundernswert, dass der Schmied das nötige Geschick für diese Feinarbeit aufbrachte, die einem Feinschmied in nichts nachstand - zumindest aus ihrer Sicht.

Anouk wechselte ein paar Worte mit Aki, ehe die beiden mit dem Rundschild in Richtung Dorfausgang loszogen. Sie verließen die Stadt und nahmen die Straße, die nach Westen führte. Das Ziel ihrer kurzen Reise waren die Hügelgräber kurz vor der Passwacht. Die Hügelgräber galten seit dem Vorfall im Jahr 1356 als verflucht, aber das hielt die Druidenschülerin nicht davon ab, sich genau diesen Ort für die Opferung auszusuchen - im Gegenteil. An diesem Ort starben viele tapfere Wächter im Kampf gegen ein unbekanntes Unheil. Hier an dieser Stelle würde Nodons mit Speer und Schild über die Verstorbenen wachen, da war sich Anouk sicher.

Gwynns Nähe hingegen war ihnen gewiss, je näher sie dem Grab von Lorenus Drachentod kamen. Es heißt, der Großhäuptling sei zu Lebzeiten einer der größten Krieger gewesen, der sowohl mit der Waffe in der Hand kämpfte, als auch die Kunst der Magie beherrschte. Wo genau sich dieses Grab befand, war ungewiss. Der Zugang zu dem weitläufigen Höhlensystem unter der Erde war zudem seit geraumer Zeit versperrt - begraben unter einem Felsrutsch.

Die Präsenz der beiden Götter war spürbar, als sie die Hügelgräber erreichten. Hier schlichen gelegentlich Räuber herum, die sich von den Legenden über die großzügigen Grabbeigaben anlocken ließen, doch an diesem Abend war es ruhig und kein Sterblicher würde sie bei ihrem Vorhaben stören. Ob die Götter ihre Ankunft bereits erwartet hatten? Eine kühle Brise aus Richtung des Gebirges wehte den beiden entgegen und der modrig, feuchte Geruch von Erde und Moos stieg in ihre Nasen.

Der verwitterte Altar tronte auf der Anhöhe, die sie bestiegen und wartete nur darauf, ihre Opfergabe anzunehmen. Der Schmied löste den Schild von seinem Rücken und näherte sich langsam, um jenes kunstvoll gearbeitete Stück vorsichtig auf die Steinplatte zu betten. Als das geschehen war, nahm der Wind jäh zu und der abrupte Abfall der Temperatur ließ Anouk erschaudern. Akis Worte an die Götter wurden vom Wind verschluckt und davongetragen.

Anouk erhob die Stimme und sprach gegen den Wind an, der ihr die Tränen in die Augenwinkel trieb. Sie richtete ihre Worte an Nodons und Gwynn gleichermaßen und erbat um Schutz und Stärke für all jene, die den alten Glauben mit erhobener Waffe verteidigen. Als ihre Worte verstummten, sah sie zu den schwarzen Wolken hinauf in verzog in düsterer Vorahnung das Gesicht.

Wir sollten hier verschwinden ..., sagte sie und gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg. Den Schild überließen sie dem kurz darauf beginnenden Regenguss, der nur ein Vorbote Taranis' Zorns sein sollte.
[Bild: Anouk-Signatur.png]
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RE: Hammer und Amboss - Aus dem Leben eines Schmiedes - von Anouk - 11.07.2017, 22:30



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