Hammer und Amboss - Aus dem Leben eines Schmiedes
#41
Forschung: Verzierter Rundschild aus Rabenstahl

Nur weil die Plattenrüstung soweit vollständig ist, bedeutet es nicht, dass sich der Meisterschmied auf die faule Haut legt. Zu seinem Nachteil hat er sich für das nächste Werkstück eine Hilfe besorgt, die übermotiviert scheint. So kommt es, dass er bereits wenige Tage, nachdem er sich ausgiebig mit der Halsberge beschäftigt hat, mit jungfräulichen Barren Rabenstahl an die Esse begibt.
Es war die richtige Intuition, vor ein paar Tagen zur Götteresse zu gehen und seinen Bestand aufzustocken. Jetzt steht er vor der großzügigen Esse in der Burgschmiede, denn dort ist er ungestört. Zwar erhoffte er sich an einem Tag der Sonne, vor dem großen Mondwächterfest keinen Störung, selbst in der öffentlichen Schmiede, aber Kordian hatte ihn eines Besseren belehrt. Warum schlafen die Rabensteiner nicht aus? Demnach hat er sich sicherheitshalber in den Burghof verkrochen, wo er sich auf die Arbeit konzentrieren kann.
Für die Verzierungen des Rundschilds wollte er ursprünglich Ghalen ermutigen, ihm zu helfen. Aber die Götter haben ihm die Hilfe wohl nicht vergönnt. Anouk ist damit nicht unbedingt seine zweite Wahl, denn ähnlich wie der Stichmaler sind ihr Verzierungen nicht fremd. Als Kind der Dracheninsel, sollte sie häufig mit verzierten Schilden in Kontakt gekommen sein. Zwar sind diese aus Holz und meist mit Haut oder Stoff bespannt und bemalt, aber die Kreativität für einen entsprechenden Entwurf ist die gleiche. Die Umsetzung aufs Metall ist seine Aufgabe.
Immerhin hat er, mit einer Geweihten des Rabenkreises, keinerlei Bedenken, dass Lugh das Motiv nicht zusagen könnte. Runenkunde war nie seine Stärke und er weiß nicht, ob er die Bedeutung der Verzierung nachvollziehen kann, aber mit Anouk's Hilfe würde er sicherlich der Bedeutung auf den Grund gehen. Er sträubt sich vehement dagegen Zeichen, Symbole oder Runen auf einem Schild zu vereweigen, deren Bedeutung er nicht kennt. Bleibt nur zu hoffen, dass Anouk bereit ist, ihm diese zu erläutern.
Während sich Anouk an den Entwurf für die Verzierung macht, widmet sich der Schmied dem Schild an sich. Es ist nicht der erste Metallschild, den er fertigt und die Form ist ihm mehr als geläufig. Er hat sich für die Form des Schilds entschieden, da der Rundschild seit Jahren zur Ausrüstung der Ravinsthaler Gardisten zählt. Die verzierte Variante macht mehr her, erzählt eine zusätzliche Botschaft und ist darüber hinaus der Verkaufsschlager unter den Schilden. Außerdem hat der Rundschild eine gute Größe, gut in der Handhabung, mit einem guten Gewicht und nicht annähernd so klobig wie ein Nortgard oder Turmschild. Zumal es ihm wiederstreben würde, einen Nortgardschild aus Rabenstahl zu schmieden. Zumindest nicht, solange ihm die Wahl bleibt.

Ähnlich wie bei einem Plattenteil formt er eine gleichmäßige Platte aus Rabenstahl, mit einer Materialstärke von 1/3 Fingerbreite. Mit einem Schrotgesenk für den Amboss entfernt er überragendes, vorher erhitztes Metall, um dem Schild eine grob runde Form zu verleihen. Auf gleiche Weise treibt er eine Aussparung in die Mitte des Schildes, um später einen Buckler auf nieten zu können. Mithilfe eines kugelförmigen Aufsatzes für eines der vierkantigen Ambosslöcher sowie dem Ambosshorn gibt er dem Schild eine leicht schüsselähnlich gebogene Form. Diese stellt sicher, dass sich der Schild an den Arm des Trägers anschmiegt, hält seitlich gezielte Hiebe ab und lässt ausreichend Platz für eine Halterung an der Innenseite des Schildes.
Damit belässt es der Schmied vorerst bei der Vorarbeit an dem Werkstück, solange er nicht weiß, welche Verzierung Anouk vorschwebt. Es wäre nur verschwendete Zeit, die er im Moment absolut nicht aufbringen kann, wenn er sich nun in Arbeiten vertieft, die von der groben Vorarbeit abweichen. Also landet der Schildrohling in einer der Truhen und der Schmied gönnt sich noch etwas Ruhe vor dem rauschenden Fest am Abend.
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#42
Am Tag nach dem Fest des wallenden Blutes setzte sich Anouk an den Tisch in ihrem Haus und begann mit den ersten Skizzen. Sie zeichnete mit Kohlestift auf einfachem Hadernpapier. Die Arbeit ging ihr leicht von der Hand, denn sie hatte am Vortag gücklicherweise nicht allzuviel getrunken. Dennoch zerknüllte sie ihre ersten Skizzen und warf die Papierknäuel achtlos in die Ecke. Die dritte Skizze erschien ihr schließlich akzeptabel.

Anouk betrachtete die Zeichnung nachdenklich. Sie hatte sich bei dem Muster an den Schilden der galatischen Krieger orientiert. Die Krieger verwendeten zwar vornehmlich Langschilde, aber die galatischen Knotenmuster konnte sie leicht an die Form des Rundschilds anpassen. Ihre Finger vergruben sich in ihrem schwarzen Haarschopf, als sie den Kohlestift erneut ansetzte und in die vier Zwischenräume Runen einzeichnete. Sie verwendete dafür die Ogham-Zeichen FEARN und NUIN, jeweils doppelt und sich gegenüberliegend. Nun war sie zufrieden.

Die faltete das Papier zwei Mal und schrieb eine kurze Nachricht auf die Rückseite. Dann machte sie sich auf den Weg ins Dorf, um das Papier unter der Tür der Schmiede durchzuschieben. Auf der Rückseite ist folgende, kurze Nachricht zu lesen:


Ich habe die Skize fertig. Die Zeichen erkläre ich dir, wenn wir uns sehen. Ich hoffe, es gefält dir.

Anouk

[Bild: Skizze-Rundschild-Rabenstahl.png]
[Bild: Anouk-Signatur.png]
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#43
Forschung: Verzierter Rundschild aus Rabenstahl – Fertigung

Anouk's Skizze für den verzierten Rundschild war einiges: Überraschend, überfordernd, eindrucksvoll und erstaunlich künstlerisch. Er hatte der runenkundigen, kreativen Galatierin einiges zu getraut, aber die Skizze übersteigerte seine Erwartungen. Die Stilisierung würde die Götter sicherlich Zufrieden stellen, jedoch scheitert es jetzt vielmehr an Aki's Fähigkeiten. Er war noch nie ein Freund von Feinarbeiten bei Metall – abgesehen von Körperschmuck – und die großen Hände stellten sich dabei eher als behindernd heraus. Ganz zu schweigen von seinen Schwierigkeiten, dauerhaft seine Körperkraft zu drosseln. Längere Zeit an einer Verzierung oder Feinarbeit zu sitzen, ohne schwere, kraftzehrende Hammerschläge, treibt ihn in den Wahnsinn.
Entsprechend lange liegt der Rundschild in der Schmiede und die Arbeiten daran gehen nur schleppend voran. Für gewöhnlich muss er sich zwingen nachts Schlaf zu finden oder sich Abwechslung zu gönnen, wenn er an einem Werkstück arbeitet. Es gibt nichts, das einen Handwerker mehr lebendig macht, als Fortschritt, der durch die eigenen Hände und Fähigkeiten voran schreitet. Seine Ungeduld und Entschlossenheit sorgen dafür, dass es ihm manchmal nicht rasch genug gehen kann, zumindest für gewöhnlich. Anders ist es bei dem Rundschild.
Zusammen mit Anouk hat er den ersten keltischen Knoten am Schildrand ins Metall geschlagen und die Verzierung in Form von aufgenietetem, gebogenem Blech angebracht. Die Geweihte lies sich sogar überreden, probeweise den Hammer zu schwingen. Damit war grundsätzlich ein Viertel der Verzierung geschaffen und die weiteren, symmetrischen Ausarbeitungen nur Wiederholungen der ersten Übung. Vorrausgesetzt der hünenhafte Schmied könnte sich dazu durchringen, an die Arbeit zu gehen und sie nicht nach einem Stundenlauf wieder weg zu legen. Es musste eine andere, ablenkende und möglichst stupide Arbeit her, die seine Kraftreserven aufbraucht, um seinen Kopf für die Feinarbeit frei zu bekommen. Zu seinem Glück erhielt er eine recht ungewöhnliche Anfrage aus Hohenquell. So kommt es, dass er abwechselnd an einem langen, zusammensteckbaren Kupfermast und dem verzierten Rundschild arbeitet. Die Abwechslung trägt Früchte und der Schild nimmt langsam Gestalt an.
Mithilfe eines Rundgesenks, einem Aufsatz für das Ambossloch, welches eine gleichmäßige Kuhle aufweist, schlägt er rillenhafte Vertiefungen in das glühende Metall. Die Sicken werden mit einem gleichnamigen Hammer geklopft, der zu einer schlanken Finne zuläuft. Entsprechend arbeitet er die Knotenformen in den Schild, auf die Rückseite hämmernd und unsaubere Kratzer im Metall hinterlassend, die jedoch auf der Vorderseite nicht mehr zu erahnen sind, sondern lediglich schöne, ebenmäßig glatte Erhöhungen erzeugen. Die Knoten, die – wie Anouk ihm erklärt hat – aus einem einzigen Band bestehen, das immer und immer wieder dreiecksförmige Schlaufen wirft und unter sich selbst hindurch schlingt, hat der Schmied auf der Schildunterseite vorgezeichnet. Er verfolgt die Linien, jedoch die Stellen aussparend, an denen das Band mit sich selbst überlappt. Dort arbeitet er die Übergänge - exakt Anouk's Skizze folgend - genauer aus, sodass eine plastische Wirkung erzielt wird. Mithilfe eines flach zulaufenden Meisels arbeitet er an manchen Stellen Übergänge nach, um scharfe, erkennbare Kanten zu erhalten.
Um die Formation der Knoten herum, die wie ein Baum von der Schildmitte entstehen, werden dünne Blechstreifen mit gekonnten Hammerschlägen zurecht gebogen, bis sie der Schildkrümmung entsprechen. Sie umgarnen die Knoten, am Schildrand entlang verlaufend, um sich zum Schildbuckel hin zu bündeln. Anouk hatte selbst auf dem Schildbuckel jene Knoten angedacht, aber es gibt keine vernünftige Variante, um das umzusetzen. Der selbstgeschmiedete Schildbuckel wird mehrmals über einer aufsteckbaren Ambossfaust gebogen, um eine gleichmäßige Rundung zu erhalten. Wenn er in den topfförmigen, glatt geschliffenen Buckel jedoch Vertiefungen wie am Rundschild selbst einarbeiten will, läuft er Gefahr, die perfekte Form zu verdellen. Ein Fehler und die Arbeit wäre dahin und sogut wie nicht auszubessern. Entsprechend haben sich die beiden gegen die Verzierung am Buckel entschieden, immerhin sind die Stilisierungen am Schild selbst mehr als ausreichend.
Das Blech wird ebenso wie der Schildbuckel am Rundschild festgenietet. Gleichzeitig nutzt er die Nieten, welche in diesem Fall symmetrisch und geordnet angebracht sind, um die Position der Halteriemen festzulegen. So helfen ihm die bestehenden Bohrungen und er muss keine zusätzlichen Nieten anbringen, welche das Gesamtbild stören.
Tage später betrachtet der Schmied beim abschließenden Schleifen und Polieren der Oberfläche, kritisch sein Werk. Er denkt an die Bedeutungen, welche den Knoten und Runen anhaften und Anouk's Worte klingen in seinem Kopf nach.

Die Besonderheit an diesen Knoten ist, dass sie so ineinander verschlungen sind, dass daraus eine unendliche Linie entsteht.
Diese Muster hier sind Dreiecksknoten - sie stehen für die Dreieinigkeit, die im Mondwächterglauben eine ganz besondere Bedeutung hat.
Leben, Tod, Wiedergeburt
Faun, Flor, Fing
Äther, Assam, Schattenreich

Die Runen hier sind Ogham-Zeichen. Ogham ist eine Schrift, die die Driuden benutzen.
Die Rune mit den drei Stäben heißt FEARN. Sie steht für Schutz, Entschlossenheit und Verteidigung.
Sie wird auch als Nodons' Rune bezeichnet.

Die Rune mit den fünf Stäben heißt NUIN. Sie steht für Stärke, Direktheit und Mut.
Sie wird auch als Gwynn's Rune bezeichnet.

Letzlich obliegt es aber Anouk – und da folgt er dem Vorbild seiner letzten Forschungen – zu entscheiden, welchen Göttern sie das Werkstück und somit den ersten verzierten Rundschild aus Rabenstahl opfern. Er ist sich sicher, dass sie die richtige Wahl treffen wird und auch die passende Stätte aussucht.
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#44
Der Zwischenfall mit dem Riesen, bei dem sich Anouk eine Verletzung am Fuß zuzog, hatte dafür gesorgt, dass einige Tage vergingen, ehe sie sich erneut mit dem Schmied treffen konnte. Die Tage der Müßigkeit waren Anouk sehr willkommen, denn so hatte sie genug Zeit, um nachzudenken. Für sie stand außer Frage, wem sie den Rundschild opfern würden, aber der Ort bereitete ihr Kopfzerbrechen. Es sollte ein Schrein sein, an dem sie den beiden Göttern - Nodons und Gwynn - besonders nah sein konnten.

Mit ihren Gedanken im Gepäck zog sie los zur Schmiede, wo Aki sie bereits erwartete. Als sie den Schild sah, staunte sie. Der Schmied hatte ihre Skizze in allen Details umgesetzt - mit Ausnahme des Schildbuckels. Es hatte ihn sicherlich einige Tage gekostet, den Schild zur Vollendung zu bringen. Sie stellte sich vor, wie der Hüne mit verbissener Miene am Amboss stand und den Hammer in das Metall trieb, dabei nur einen Bruchteil seiner Kraft aufwendend. Es war bewundernswert, dass der Schmied das nötige Geschick für diese Feinarbeit aufbrachte, die einem Feinschmied in nichts nachstand - zumindest aus ihrer Sicht.

Anouk wechselte ein paar Worte mit Aki, ehe die beiden mit dem Rundschild in Richtung Dorfausgang loszogen. Sie verließen die Stadt und nahmen die Straße, die nach Westen führte. Das Ziel ihrer kurzen Reise waren die Hügelgräber kurz vor der Passwacht. Die Hügelgräber galten seit dem Vorfall im Jahr 1356 als verflucht, aber das hielt die Druidenschülerin nicht davon ab, sich genau diesen Ort für die Opferung auszusuchen - im Gegenteil. An diesem Ort starben viele tapfere Wächter im Kampf gegen ein unbekanntes Unheil. Hier an dieser Stelle würde Nodons mit Speer und Schild über die Verstorbenen wachen, da war sich Anouk sicher.

Gwynns Nähe hingegen war ihnen gewiss, je näher sie dem Grab von Lorenus Drachentod kamen. Es heißt, der Großhäuptling sei zu Lebzeiten einer der größten Krieger gewesen, der sowohl mit der Waffe in der Hand kämpfte, als auch die Kunst der Magie beherrschte. Wo genau sich dieses Grab befand, war ungewiss. Der Zugang zu dem weitläufigen Höhlensystem unter der Erde war zudem seit geraumer Zeit versperrt - begraben unter einem Felsrutsch.

Die Präsenz der beiden Götter war spürbar, als sie die Hügelgräber erreichten. Hier schlichen gelegentlich Räuber herum, die sich von den Legenden über die großzügigen Grabbeigaben anlocken ließen, doch an diesem Abend war es ruhig und kein Sterblicher würde sie bei ihrem Vorhaben stören. Ob die Götter ihre Ankunft bereits erwartet hatten? Eine kühle Brise aus Richtung des Gebirges wehte den beiden entgegen und der modrig, feuchte Geruch von Erde und Moos stieg in ihre Nasen.

Der verwitterte Altar tronte auf der Anhöhe, die sie bestiegen und wartete nur darauf, ihre Opfergabe anzunehmen. Der Schmied löste den Schild von seinem Rücken und näherte sich langsam, um jenes kunstvoll gearbeitete Stück vorsichtig auf die Steinplatte zu betten. Als das geschehen war, nahm der Wind jäh zu und der abrupte Abfall der Temperatur ließ Anouk erschaudern. Akis Worte an die Götter wurden vom Wind verschluckt und davongetragen.

Anouk erhob die Stimme und sprach gegen den Wind an, der ihr die Tränen in die Augenwinkel trieb. Sie richtete ihre Worte an Nodons und Gwynn gleichermaßen und erbat um Schutz und Stärke für all jene, die den alten Glauben mit erhobener Waffe verteidigen. Als ihre Worte verstummten, sah sie zu den schwarzen Wolken hinauf in verzog in düsterer Vorahnung das Gesicht.

Wir sollten hier verschwinden ..., sagte sie und gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg. Den Schild überließen sie dem kurz darauf beginnenden Regenguss, der nur ein Vorbote Taranis' Zorns sein sollte.
[Bild: Anouk-Signatur.png]
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#45
Kordian ist das, was man sich unter einem Musterschüler vorstellt. Zwar hat er seine spitzbübische Ader an sich und ist durchaus schlagfertig, aber jederzeit bedacht darauf, eine manierliche Grenze einzuhalten. Entsprechend wundert es Aki nicht, dass der Vorzeigekrieger einmal wieder vor seinem Laden campiert. Da Kordian nie vorbei kommt, um über die Götter und Amhran zu reden, schätzt der Schmied, dass Arbeit auf ihn zu kommt. Nur kann er nicht absehen, worum es sich handelt, denn die mattschwarze Platte am großgewachsenen Körper wirkt gut gepflegt und einwandfrei.

Das Mitbringsel beschert Aki eine schlafarme Nacht und zieht ihn selbst vom Sermo frühzeitig fort, um das anvertraute Anschauungsstück nicht zu lange in seinem Besitz zu behalten. Zuerst skizziert er möglichst plastisch die Form und Kontur der erhaltenen Waffe und notiert die Eckdaten. Eine genauere Ausführung bringt er möglichst ausführlich zu Papier, obwohl er wahrhaftig kein Verfechter von Berichten ist.


[Bild: 5ptme7o5.png]




Bericht zum Indharimer Sichelschwert

Aussehen:
Die sichelförmige Klinge, die sich am ehesten mit einem Krummsäbel vergleichen lässt, besitzt einen verhältnismäßig langen Griff. Der Griff nimmt ein Drittel der Waffe ein, während die Klinge etwa zwei Drittel misst. Der Griff besteht aus sattem, goldbraunen Akazienholz, welches unregelmäßige, enge Maserung besitzt. Diverse Fellstücke und Lederriemen zieren den Übergang zwischen Griff und Klinge.

Eigenschaften:
Die konvex geschliffene Klinge, sowie die Verbreiterung in Richtung Griff, lässt vermuten, dass die Waffe ähnlich einer Axt eingesetzt wird. Dennoch ist die Waffe als Stichwaffe nicht zu unterschätzen. Das sichelförmige Ende kann verheerende Wunden anrichten, die entsprechend der Klingenbiegung streuen. Außerdem vermag der Gegner mit der leichten Hakenform die Klinge eines Angreifers abzufangen, sie abzulenken oder sich gar damit zu verhaken.
Der verschmiedete Stahl ist kohlenstoffärmer als Stahl aus Amhran. Die leicht hellere, gräuliche Färbung des Stahls weist auserdem darauf hin, dass er einen gewissen Sandgehalt aufweist. Zwar wird in Amhran ebenfalls auf Quarzsand zurück gegriffen, um Federstahl zu schmelzen, der bekanntermaßen elastischer und leichter als handelsüblicher Stahl ist, jedoch scheint der verwendete Sand der Indharimer grobkörniger zu sein.
Einerseits sorgt die Verarbeitung für weniger Gewicht, Wendigkeit und Flexibilität der Waffe, jedoch besitzt der porenhafte Stahl weniger Stabilität. Entsprechend dazu ist die Schneide mit sandsteinhaltigem Stein geschliffen.
Die geringen Einbußen an Härte und Stabilität schaffen jedoch eine hervorragende Vorraussetzung für das Auftragen von Gift und anderen Substanzen, da die Porenstruktur die Substanz förmlich aufsaugt. Die leicht poröse Struktur lässt auch darauf schließen, dass in Indharim vermutlich Salzwasser zum Abschrecken des Stahls verwendet wird, der ebenfalls die Stabilität der Legierung beeinflusst.

Für den Griff wird Akazienholz verwendet. Angeblich ist das Holz härter als Eiche und dennoch biegsam. Das Holz weist eine gute Beständigkeit gegenüber der Witterung auf und zeigt, selbst nach langem Kontakt mit Wind und Wetter, kaum Alterungsspuren. Der Griff der Waffe wurde mit Hartwachs behandelt, welches sozusagen als eine Art Imprägnierung wirkt.

[Bild: 11841851913_d50da765ef_o.gif]
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#46
Am Abend, als der Großteil Rabensteins bereits im Feierabend angekommen ist und sich nur der Adel Amhrans für eine gesellige Disskussionsrunde trifft, wird ein hochmotivierter Knirps beim örtlichen Schmied abgeliefert. Annähernd so nah an der Verwaltung, dass die von Stand die Arbeit hören, stürzt sich der hünenhafte Handwerker mit dem siebenjährigen Sohn von Cahira und Kyron in eine späte Lehrstunde. Eigentlich war es nicht Aki's Absicht, noch eine größere Baustelle anzufangen, aber als Lionel mit großen Augen den Tresen inspiziert, bleibt ihm nicht viel anderes übrig.
»Bis später, ihr zwei!«, flötet Cahira noch, doch die beiden antworten bereits mit einem abgelenkten Brummeln.
»Was machst du dah?«, erkundigt sich Lionel und legt die Finger an das Werkstück, ungeachtet des Ruß und der Ölspuren, welche die Arbeit mit sich bringt.
Die agilen Finger des Jungen ziehen an dem Lamellenharnisch, welcher teils aus Blech, teils aus Leder besteht. Die unterschiedlichen Materialien sind mit Löchern versehen und werden mithilfe von stabilen aber flexiblen Flechtriemen zusammen gefügt.
»Schonmal gesehen, was deine Mutter zum Jagen trägt?«
Der Junge nickt eifrig und tapst suchend durch den Ladenbereich, bis er eine fertige Lamellenhose erspäht. Mit dem Finger deutet er darauf und sieht dabei über die Schulter, um sich Aki's Aufmerksamkeit gewiss zu sein. Dann kehrt er mit raschen Schritten zum Arbeitsplatz zurück.
»Aye, 's nennt sich Lamelle. Da ich viel Leder verwende, ist sie deutlich leichter als eine Platte. Also wählt man so ne Rüstung, wenn man noch wendig sein will, oder nicht so stark ist.«
»Für wen ist die?«, hakt Cahira's Junge neugierig nach und berührt die Metallplatten.
»'S nen Geheimnis.«
Der Junge bläst die Backen auf und sieht schmollend zu dem Schmied hoch, der eines der rechteckigen Blechplättchen nimmt und damit vor Lionel in die Hocke geht.
»Warum ist das so schmutzig?«
»Das ist kein Schmutz und auch kein Ruß. 'S nennt sich Götterstahl und die mattschwarze Farbe ist die Besonderheit.«
»Götterstahl?«, murmelt der Junge ehrfürchtig, was ihn nicht daran hindert, dass der Mund aufklappt.
»Aye, ich schmelze es in Lugh's Esse an einem besonderen Ort. Nur wenige besitzen das Wissen es zu verarbeiten.«
»Ich möchte es auch probieren!«, verkündet Lionel und schnappt Aki das Metallplättchen aus der Hand. Es wird umso eingehender inspiziert, als hätte sich ein vermutet rußiges Stück Blech in einen glänzenden Edelstein verwandelt. »Was machst du nun damit?«
Der Hüne atmet ergeben aus und schafft etwas Platz auf dem Thresen. Dort legt er einen einigermaßen sauberen Lappen aus und setzt Lionel auf die Arbeitsfläche.
»Wenn du mir hilfst und geduldig bist, zeig ich's dir, Nel.«
Aki wuschelt dem Burschen mit der rußigen Pranke durch die Haare, aber der grinst nur, als erwarte er in ein Geheimnis eingewiesen zu werden. Tatsächlich ist es nicht einmal eine Lüge. Unter Lionel's Blick, der vor kindlicher Neugierde strotzt, rückt Aki das Körbchen mit einigen mattschwarzen Plättchen zurecht. Lionel weitet die Augen und fährt mit den Fingern durch die Plättchen.
»Bist du schonmal beim Toben hingefallen und hast nen Loch in deine Hose gerissen?«, brummelt Aki erkundigend, während er eine Rolle mit Flechtriemen zurecht drapiert und einige Streifen Arbeitsleder in Form schneidet. Lionel nickt leicht ertappt. »Und was tut deine Mutter dann?«
»Sie stopft das Loch!«, antwortet der Junge schlau.
»Nur was, wenn das Loch zu groß ist?«
Lionel sieht prüfend an seinen Hosenbeinen hinunter und wiegt den Kopf unwissend. Dann wandert der klarblaue Blick weiter zu Aki's Hosen, die einiges an Ausbesserungsarbeit vorzuweisen haben. Eine Kinderhand tappt nach Aki's Knie.
»So?«
»Aye, dann nimmt sie etwas neues Leder oder Stoff und näht es fest, sodass das Loch verschlossen ist. Sonst zieht's im Winter rein, eh?«
Der Junge grinst wieder, als glaube er Aki nehme ihn auf den Arm.
»Die Vorgehensweise ist garnich so verschieden. Wir fädeln die Metallplättchen auf und dort, wo Lücken sind, verbinden wir sie mit Leder. Ebenso an den Kanten, damit es nicht an der Haut scheuert.« Er nimmt eines der Plättchen zur Hand und fährt mit der Kante sachte über Lionel's Handrücken. »Zwar schleif ich sie ab, damit die Kanten nicht mehr scharf sind, aber angenehm ist es trotzdem nicht auf der Haut, selbst wenn man ein Hemd drunter trägt.«
Der Bursche nickt verständig und zupft am Flechtriemen. »Ich möchte fädeln!«
»Ich zeigs dir einmal und dann bist du an der Reihe.«
»Aber...!«, wiederspricht der ungeduldige Junge, wird aber von einem strengen Blick zurecht gewiesen.
»Nichts aber. Du erinnerst dich doch, was das ist.« Aki schnippt gegen eines der Plättchen aus Rabenstahl.
»Götterstahl!«
»Und unsere Arbeit muss den Göttern gefallen. Sonst war's das für mich mit dem Götterstahl. Mit der Gunst der Götter spaßt man nicht.«
»Nagut..«, gibt sich Lionel geschlagen und rutscht auf seinem zurechtgemachten Platz zurecht. Dann späht er dem Schmied auf die Finger, während er die erste Reihe geschickt zusammen knüpft. Anschließend ist Lionel an der Reihe. Der Junge streckt die Zunge heraus und berührt mit der Spitze den Mundwinkel, während er konzentriert fädelt. Aki lässt ihn ein paar Plättchen fädeln, bevor er ihn auf einen Fehler hinweist. Ohne Tadel weist er den Jungen darauf hin, dass er die Reihen vergleichen soll. Nach einem knappen, aber nicht demotivierten »Oh« korrigiert der Bursche sein Werk. Gewiss dauert die Reihe eine kleine Ewigkeit und der Mentor muss anschließend die Riemen anständig nachziehen, aber der Junge ist dermaßen in die Aufgabe vertieft, dass sich Aki unmöglich einmischen kann. Die Zeit vergeht wie im Flug und, als sich ein Ende des Adelstreffen ankündigt und die Mutter naht, zieht Lionel kurz eine Schmolllippe. Aber die Ernüchterung ist nur von kurzer Dauer, denn die Beanspruchung des Geistes und die Herausforderung für die Fingerfertigkeit des Jungen, gemischt mit der Wärme der Esse, hat dafür gesorgt, dass Lionel herzhaft gähnt, sobald es an der Türe klopft.
Selbstzufrieden eilt Lionel zur Mutter und erklärt ihr brühwarm und vermutlich unzusammenhängend, was er vollbracht hat. Als Cahira zu Aki hinüber sieht, zuckt der nur die Schultern. Anstatt eines Abschiedes, stößt er letztendlich ein Pfeiffen aus, das den Burschen nochmals zurück eilen lässt.
»Hast du nicht was vergessen, Nel?«
Der Junge kennt die Prozedur und hält still, als ihm die Hände und die Backen von Ruß gesäubert werden. Anschließend umarmt er die Hüfte des Schmiedes und eilt zurück zu seiner Mutter. Jedoch nicht ohne ein Plättchen Götterstahl, das ihm noch im letzten Augenblick als Andenken in die Hand gedrückt wurde.
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#47
Forschung: Kettenhemd aus Rabenstahl – Vorbereitung

Er flucht laut, als er sich mit dem Blech über die Handinnenfläche fährt. Das Leder der abgetragenen Fingerlinge gibt nach und er fährt mit der scharfen Kante über Verband und Haut. Weshalb trifft man immer wieder auf die selbe Stelle, wenn man sich verletzt hat? Was haben sich die Götter dabei gedacht? Mit einem Knurren wirft er das Blech auf den Thresen und starrt auf den schmutzigen Verband hinab, der sich zart rot einfärbt. Auch das noch. Gefällt dir mein heutiges Werk etwa nicht, Lugh? Möchtest du etwas anderes sehen?

Seufzend setzt er sich auf seinen Arbeitshocker und befreit die Hand von dem Stück Stoff. Die Wundränder waren eben dabei sich zu beruhigen und wollten sich einander annähern, wie ein streng zusammen gepresster Mund. Jetzt klaffen sie wieder auseinander. Dann auch noch die rechte Hand. Er kann sich Orestes Worte förmlich in den Kopf rufen »Du solltest die Hand schonen! Übertrage deinem Lehrling die dringlichen Arbeiten.«

Er hätte es getan, wenn ihm Leon denn die Tage unter die Augen gekommen wäre. Aber ihm kann er keinen Vorwurf machen. Die jungen Früchtchen wachsen in die Richtung, wie es ihnen gefällt und wo die Sonne scheint. Der Schmied tunkt einen halbwegs sauberen Lappen in den Eimer neben der Werkbank und wickelt das kühlende Stück Stoff wieder um die eigene Pranke. Mithilfe der Zähne setzt er einen Knoten und hält sich so das Blut vom Leib und vertreibt das dumpfe Pochen.

Jetzt, da er schonmal sitzt, kann er einen Blick in sein zerfleddertes Notizbuch werfen. Vielleicht findet sich eine weniger anspruchsvolle Aufgabe. Aus alter Gewohnheit will er die Seite mit der umgeknickten Ecke – einer eindeutigen Markierung – weiter blättern, als er inne hält. Seit Mondläufen drückt er sich schon davor und vielleicht ist heute der Tag. Dort hat er notiert, dass Kordian sich ein Kettenhemd aus Rabenstahl wünscht.

Warum benötigt der Krieger ein Kettenhemd aus dem Götterstahl, wenn er bereits einen Plattenharnisch daraus hat, der Teils mit Ringgliedern ergänzt ist? Aber gut, Kordian ist ein Ritter und er wird schon seine Gründe haben, sollte man zumindest hoffen. Die Frage ist nur, ob der Soldat überhaupt weiß, wie viele Arbeitsstunden in einem solchen Hemd stecken? Jeder Ring will mit vier seiner Nachbarn verbunden werden, wobei die Kombination nicht wahllos sein darf. Jedes Stück, zum Ring gebogenen Draht hat seine eigene Position. Zusammengefügt mit tausenden, gar zehntausenden seiner Brüder ergibt es ein Kettenhemd. Entsprechend viele Stunden benötigt das Flechtwerk. Ganz zu schweigen davon, dass die Arbeit alles andere als Abwechslung verspricht.

Gut, am Kragen und unter den Armen wird ein anderes Flechtschema zu Rate gezogen, aber abgesehen davon ist es gleichmäßiges Knüpfen von Reihe zu Reihe. Am Anfang mag die Arbeit meditativ und gar anspruchsvoll sein, aber sobald man seinen Rhythmus gefunden hat, ist es eintönig. Im Gegensatz zu einer Platte, für die maßgenau das Blech geschnitten, gebogen und zusammen genietet wird, reicht für ein Kettenhemd die Körperlänge und die Schulterweite.

Vielleicht ist es an der Zeit dem Sehnen nachzugeben. Aber nicht, ohne dass sich der Krieger selbst daran beteiligt. Aki packt eine Kiste mit einem Kettenhemd aus Stahl, sowie einigen Ringteilen aus selbigem Material und legt einen knapp beschriebenen und entsprechend kritzeligen Fetzen Pergament bei, ehe er die klimpernde Sendung nach Candaria an die Front schickt.



Lugh‘s Segen Kordian,

wenn du noch an dem Gedanken eines Kettenhemdes aus Götterstahl fest hältst, benötige ich deine Bereitschaft mir ein zweites Mal zu helfen. Ich hab dir ein Kettenhemd aus einfachem Stahl mit geschickt. Studier die Knüpfstruktur und fertige ein paar Reihen aus den beigelegten Ringen an. Ganz gleich ob du erfolgreich oder nicht bist, sollst du den Aufwand einschätzen können und verstehen, woraus ein solches Hemd besteht. Ich lass demnächst für weitere Schritte nach dir schicken.

[Bild: 2y3wsty8.gif]

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#48
Abermals zogen die Augen des Kriegers über die mitgeschickten Zeilen aus Rabenstein. "Den Aufwand einschätzen können, mh?", irgendwo zwischen Erheiterung und Resignation schwingend schüttelte der groß gewachsene Mann seinen Kopf als er das Schreiben beiseite legte und das mitgelieferte Kettenhemd auf dem Tisch ausbreitete. Die Falten mit der Hand glättend begutachtete er beim difusen Schein von zwei Öllampen die Arbeit aus nächster Nähe. "Flachringe also.. hm hm" murmerlte der Hüne mit gefurchter Stirn. Kurz darauf sah man den Mann gen Schmiede aufbrechen. Ob die fleissigen candarischen Arbeiter angetan waren von dem Besuch des Ritters, so kurz vor dem wohlverdienten Feierabend, oder es nur die Standesgemäße Höflichkeit war die sie nicken und lächeln lies wird man wohl nie erfahren. Kordian war es zumindest egal als er schon kurze Zeit später mit einem Jutebeutel voll Werkzeug sich wieder gen Korrespondenzhaus aufmachte. Immerhin hatten sich die Schmiedearbeiter ein paar Münzen verdient und das Versprechen das Werkzeug im laufe des kommenden Tages zurück zu erhalten.

Bewaffnet mit Zangen und einer Flasche einheimischen Obstbrandes lies sich der Mann am Fenster nieder. Es verging fast ein ganzer Stundenlauf bevor er die Zangen überhaupt erst in die Hand nahm. Konzentriert und Aufmerksam hatte er verschiedene Muster aus den Flachringen vor sich ausgebreitet. Vier zu Eins war der Standart der Ihm vom Rabensteiner Schmied zur Anschauung mitgeschickt wurde. Natürlich bot sich auch für ein dickeres Geflecht die Möglichkeit von Sechs Ringen an, doch würde das die ganze Angelegenheit nicht zu Steif und Sperrig machen? Letzendlich lag der Vorteil eines Kettenhemdes in der Beweglichkeit, was würde einem das stabilere Geflecht bringen wenn man hinterher das fertige Werk wie einen Harnisch in der Ecke abstellen konnte weil es zu Eng gewoben ist?

Es dauert nicht lange bis er zu dem Schluss kam das einige Fragen an die Handwerker nützlich gewesen wären, anstatt sich einfach nur das Werkzeug zu besorgen und loszulegen. Die Frage der Vernietung drängte sich förmlich auf, würde man diese nach jeder Paarung der Ringe anbringen, oder erst bei einem vollständigen Werk zum Schluss einfügen? So oder so, zu dieser Nachtschlafenszeit würde ihm keiner die Fragen beantworten. Und ein letzter Funken Anstand war ihm zumindest verblieben, die Männer hatten hart gearbeitet den Tag über, vermutlich nahmen sie gerade Platz in ihren Häusern um sich das verdiente Abendessen auftischen zu lassen, jetzt noch mit Fragen über solche belanglose Themen vom Essen abgehalten zu werden würde sich keiner Wünschen.

So kam es das er beschloss sich erstmal auf das Flechten der Ringe zu beschränken, Morgen war auch noch ein Tag und er würde seine Antworten bekommen.
Lernen durch Schmerz
Motivation durch Entsetzen
Festigung durch Wiederholung
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#49
Er hätte schon längst mit der Arbeit fertig sein sollen, die ihm der Schmied aufgetragen hatte. So schwer war es ja nicht ein Kettenhemd zu kürzen. Kordian saß in der Schreibstube des Wachhauses und sah zu dem Kettengeflecht herüber, dass ausgebreitet auf dem Tisch lag. Die Zangen lagen bereits griffbereit daneben. Ringsum stapelten sich Papierberge an Berichten und die Kladden der Rekruten, manche davon wie neu, andere abgegriffen und mit Eselsohren versehen.
Drei Mal hatte er heute die Zangen in die Hand genommen, um die Arbeit endlich zu erledigen. Drei Mal wurde er gestört.

Bei der ersten Störung hatte er noch verhalten geschmunzelt, als der neue Rekrut vor ihm stand - ein junger, blasser Bursche mit sommersprossigem Gesicht - und im ernsten Tonfall nach Sattel-Auswuchtgewichten fragte. "Such den Wachhabenden. Er hat den Schlüssel für den rückwärtigen Raum, in dem die Sattel-Auswuchtgewichte gelagert sind" anwortete Kordian ebenso ernst und verkniff sich dabei mühsam ein Grinsen. Nachdem der Bursche verschwunden war, lachte er dreckig und machte sich wieder an die Arbeit. Mit zwei Zangen bewaffnet, bog er die einzelnen Stahlringe am unteren Teil des Kettenhemdes auf. Nach vierzehn Ringen klopfte es erneut an der Tür.

Er seufzte und legte die Zangen wieder beiseite. "Herein!" Eine bullige Gestalt schob sich in die Schreibstube. Es war ein Mann, der sich als Oleg vorstellte, mit stark behaarten Armen und Händen groß wie Schaufeln. Er krempelte die Ärmel seines Hemdes nach oben und stierte den Ritter aus seinen dunklen Schweinsäuglein an - offenbar war er wütend. Kordian ahnte nichts Gutes. "Was kann ich für euch tun?" Oleg gestikulierte wild und nutzte die nächsten zehn Minuten Monolog dafür, die Tischplatte und die darauf liegenden Dokumente ausgiebig mit Speichel zu einzudecken. Für einen Moment glaubte der Ritter, der Mann könne vielleicht an Tollwut leiden. Oleg erzählte, dass er am gestrigen Abend in der Taverne mit zwei ravinsthaler Gardisten Karten gespielt und dabei einen ganzen Monatslohn verloren hatte. Dabei wiederholte er beständig, was für ein unverschämtes Glück sie gehabt hätten und dass das nicht mit rechten Dingen zugegangen wäre, sie hätten ihn doch über den Tisch gezogen. Auf die Nachfrage, ob er denn irgendwelche Beweise hätte, schäumte er erneut vor Wut, sodass Kordian sich dezent zurücklehnen musste, um der Sprühfontäne zu entgehen. Wenige Momente später erschien das neugierige Gesicht eines Wachmanns im Türrahmen, der durch den lautstarken Wutausbruch des Mannes angelockt wurde. Als der Blick des Ritters ihn traf, wurde ihm schlagartig bewusst, dass er einen Fehler begangen hatte. "Wachmann, kümmert euch um das Anliegen des Mannes hier!" erklang der gnadenlose Befehl, der dem Wachmann das Entsetzen ins Gesicht trieb. Der Wachmann begleitete den wütenden Mann nach draußen. Kordian fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht und griff dann nach kurzem Zögern erneut zu den Zangen. Er bog genau zweiundzwanzig Ringe auf, als jemand gegen die Tür polterte.

"Her ..." Die Tür flog auf und ein Berg weißer Wäsche auf einem Rollwagen drapiert stand vor ihm. Der Ritter beugte sich zur Seite und versuchte daran vorbeizusehen. "Ich habe die Wäsche fertig. Wohin damit, edler Ser?" Die alte Wäscherin lächelte ihn zahnlückig an. "Die Treppen hinauf in den Schlafsaal", anwortete er knapp. "Sehr wohl, edler Ser." Der Berg weißer Wäsche setzte sich wieder in Bewegung und verschwand aus seinem Sichtfeld. "Könnten sie mir wohl helfen, edler Ser? Ich komme so schlecht die Treppen hinauf." Er seufzte erneut und erhob sich.

Alle guten Dinge sind drei und alle schlechten Dinge auch, dachte er sich, als er sich wieder am Schreibtisch niederließ. Kordian griff zu den Zangen und zählte die aufgebogenen Ringe. An für sich hatte diese Arbeit etwas von Meditation - zumindest wenn man nicht dabei gestört wurde. Nur noch sieben Ringe, dann würde er das gekürzte Kettenhemd anprobieren können. Nur noch fünf Ringe. Nur noch zwei ...

"Ich habe den Schlüssel für den rückwärtigen Raum, aber ich kann die Tür nicht finden, Ser!" Der junge Rekrut stand vor ihm und hielt eine Lederahle in den Händen.
Lernen durch Schmerz
Motivation durch Entsetzen
Festigung durch Wiederholung
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#50
Am Abend nach der gemeinsamen Arbeit an dem Kettenhemd, sowie der Anpassung auf die Körpermaße des Kriegers – mittlerweilen Ritters – holt Aki das Kettenhemd in der Wachstube ab, um sich an den Kragen zu machen. Die Reihen müssen hierbei enger geflochten werden, um sich kratzfrei an den Hals zu schmiegen. Ganz gleich, ob der Krieger ein Gambeson darunter trägt. Er hatte Kordian die Zangen geliehen, mit denen der Laie die Schürzenlänge des Kettenhemdes auf die gewünschte Länge gekürzt hat. Bevor sich Aki also dem Kragen zuwendet, wirft er einen Blick auf die unterste Reihe des Rüstungshemdes, wo ein gutes Stück an geknüpften Ringen entfernt wurde.
Nach bedachtem glatt streichen zeigt sich, dass der Ritter sich Mühe gegeben hat. Die ersten Fingerbreite gelang es ihm gut, die Ringe gleichmäßig aufzubiegen und die jeweilige Öse wieder zusammen zu fügen, sodass sich das Gebilde nicht auf trennt. Aber etwa ab der Mitte der Reihe macht sich erkennbar, dass die Kraft in den Fingern fehlt. Die Ringchen klaffen hier und da stärker auf und der Schmiedemeister muss nochmals mit den Zangen entlang arbeiten, um das Geflecht langwährend zu verschließen. Dennoch wurden die Ringchen erstaunlich gut geöffnet und wieder geschlossen und so ein gleichmäßiger Saum geschaffen.
Bis auf ein paar Ausbesserungen, die sich auf fest drücken und das Entfernen einzelner Ringchen beschränkt, ist der Abschluss des Kettenhemds somit vollbracht. Lediglich der Kragen wartet, als letzter Schritt, auf den Meister. Mit den beiden kleinen Zangen in den zu groß wirkenden Pranken greift er festes Ringchen und loses Gegenringchen und fügt sie zusammen. Anstatt einer 4:1 Verbinung greift er auf eine 6:1 zurück, was bedeutet, dass ein Ringchen nicht vier Kammeraden verbindet sondern ganze sechs, was der Struktur deutlich mehr Halt gibt. Außerdem wird damit eine höhere Krümmung der Ringreihe erreicht, was einen annähernd runden Halsausschnitt zur Folge hat. Nachdem das Kettenhemd klirrend umgedreht wurde und am Nacken die gleiche Prozedur abgeschlossen ist, streichen die rauhen Schmiedehände das Werk glatt und überprüfen die Kontaktstellen. Zum Abschluss streicht er die Ringchen über die Hand, um herauszufinden, ob kratzige Übergänge an den verschlossenen Drahtringchen vorhanden sind.
Da Aki nichts dergleichen auffällt, nickt er zufrieden mit dem Werk und wägt das gewichtige, mattschwarze Hemd in den Händen. Noch etwas Öl und das Werkstück ist bereit vor Lugh's abschätzenden Blick zu treten.
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