Journal: Jurenstunde
#5
Liebste Mutter,

Wie dir sicherlich nicht entgangen ist, habe ich seit der verpassten Hochzeit und nach dem Verlust (oder Verlegen?) meines Verlobten nicht mehr sonderlich viel Zeit gefunden, dir meine eifrigen Briefe zu schicken. Vermutlich weiß inzwischen ganz Guldenach, wie enttäuscht du von deinem einzigen Kinde warst als du hörtest dass die Enkel weiterhin ausbleiben werden, aber sieh es mir nach, denn ich bin jung, dumm und gierig.
Ich höre deine Stimme in meinem Kopfe, wenn ich über die Worte 'ich heirate einen Mann' nachdenke, und deine Worte sind in meiner Vorstellung wenig freundlich. Umso mehr hat es dich vermutlich erleichtert, dass die Hochzeit abgesagt wurde. Die Verwandtschaft jedoch habe ich behalten, liebste Mutter, und auch wenn du nicht viel von den 'manchmal langsamen Candariern' hältst, so möchte ich dir doch von dem Vermächtnis meines Verblichenen mitteilen, das mir heute in den Schoß gefallen ist.
Es ergab sich nämlich, dass ich einen deiner Wunschträume erfüllen konnte: Ich saß am Tische mit Fürsten und Baronen, speiste mit Silbergedeck von Porzellan, beschienen vom Licht verzierter güldener Kerzenhalter, und umgeben von Personen aus Rang und Abstammung.
Die Tante meines verblichenen Verlobten, eine Frau Elfriede Fuchsenfelde, die ich von jeher als "Tante Elfie" bezeichne, und die mich beinahe wie einen richtigen Neffen behandelt, kam in die Situation, gerade zwei Baronssitze in Candaria in ihre verwaltende Hand gelegt zu bekommen, und am heutigen Abend richtete sie zur Feier dieser Ehre ein Fest aus, zu dem ich geladen war.
Ich staunte jedoch nicht schlecht, als nicht nur der Edle Renar Weidenach von Südwald dort zur Türe herein spazierte, sondern gar der hochedle Fürst von Candaria, Fürst Seelinghaus von Candaria, und die Baronin von Greifanger, die Edle Louisa Bernger von Greifanger. Nicht nur saßen wir an einem Tisch, nein, die hohen Damen und Herren führten gar Gespräche mit uns! Wohlweislich habe ich deine Kinderstube nicht vergessen, liebste Mutter, und betätigte mich so gut ich konnte an den Gesprächen. Ich hoffe unserem Familiennamen eine gewisse Ehre bereitet zu haben, und konnte sogar für die Akademie der Hermetik, deren Magnifizenz Fräulein Misitia gleich neben mir saß, das eine oder andere gute Wort einlegen.
Sei es wie es sei - im Zuge dieses ausgezeichneten Banketts wurde Tante Elfie, wie sie gerne genannt werden möchte, doch tatsächlich vom Fürsten höchstselbst zur Baronin ernannt.

Lass dir dies auf der Zunge zergehen, geliebte Mutter, ich bin somit wahlverwandt mit dem Mittleren Adel Candarias!

Ich hoffe inständig, dass dich diese Entwicklung ein wenig besänftigt, und dir zeigt dass die Wahl der Männer die ich treffe, nicht nur auf einem schönen Körper und meinen jugendlichen Trieben beruht - ich scheine ein Auge dafür zu haben, wer noch etwas aus sich machen wird.
Wenn die Dinge weiterhin so gut laufen wie sie es bis jetzt taten, so werde ich wohl in meinem nächsten Brief in die Heimat gar in der Lage sein, weitere gute Nachrichten zu verkünden, die deinen Stolz auf mich erwecken sollten.

Einen respektierlichen Gruß entsende ich auch an den Herrn Vater!

Es verbleibt fromm und in bittersüßem Heimweh,

Dein geliebter Sohn
~Orestes Caetano~

PS: Entschuldige meinen Starrsinn liebste Mutter, aber ich werde weiterhin nicht nach Eheweibern Ausschau halten. Würdest du die Frauen in Löwenstein kennenlernen, hättest du mehr Verständnis dafür.
[Bild: OrestesCaetanoSignatur2017.png]
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Journal: Jurenstunde - von Orestes Caetano - 03.11.2013, 07:20
RE: Journal: Jurenstunde - von Orestes Caetano - 05.11.2013, 00:19
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RE: Journal: Jurenstunde - von Orestes Caetano - 17.04.2014, 00:45
RE: Journal: Jurenstunde - von Orestes Caetano - 17.11.2014, 00:40



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