Durch die Gosse zu den Sternen
#2
Hinter den Nebeln

Seine Brust schmerzte. Etwas saß auf ihm und schnürte seine Atmung ab.
Im Wagen war es stockdunkel… und doch sah er sich von Männern in wehenden roten Gewändern verfolgt. Rot wie Feuer… Er rannte weg, doch kam er schlecht vom Fleck. Hämische Fratzen, die anklagend den Finger auf ihn gerichtet hatten, umkreisten ihn und versperrten seinen Fluchtweg. Viele Hände packten ihn… er sah die Figuren mit Fackeln fuchteln. Plötzlich war er gefesselt und sie trugen ihn fort. Er versuchte zu schreien. Wasser plätscherte unter ihm und übertönte seine Stimme… Die Meute warf ihn ins Hafenbecken! Er konnte sich nicht wehren – und versank wie ein Stein im modrigen Nass…
Mit Entsetzen bemerkte er seine Schwester Lhaki neben sich leicht im Wasser schweben. Regungslos. Dann bildeten Ihre Züge vor seinen Augen ein fremdartiges Lächeln.
Ihr guten Götter, sie lebt noch!
Er packte sie am Handgelenk – seine Fesseln waren verschwunden – und zog sie in Richtung des gebrochen herab fallenden Lichtes. Als sie durch die Wasseroberfläche brachen, befanden sie sich nicht mehr im Hafen Löwensteins… Sie schwammen in einer milchigen See, vor ihnen baute sich eine kleine, weiße Sandinsel auf. Bis auf ein großes Kohlebecken voll mit einer öligen Flüssigkeit war die Insel leer.
Langsam wateten die beiden an Land und näherten sich dem Becken. Gerade wollte er neugierig die Finger in die Flüssigkeit tauchen, als Lhaki aufschrie. Ein Funke hatte sich auf dem Stoff vor ihrem Bauch festgesetzt… nein, er schein daraus zu entwachsen! Er wollte ihn eilig ersticken, zögerte aber zu lang. Der Funke sprang ab – und landete im Kohlebecken. Eine Flamme leckte stichartig aus dem Öl hervor. Beide starrten wie hypnotisiert in das Feuer und bemerkten nicht, wie eine groß gewachsene weibliche Gestalt, gehüllt in ein Falkenfederkleid, an das Becken herantrat. Sie strahlte eine überirdische Weisheit aus und schien mit dem Feuer zu kommunizieren, indem sie es einfach ansah und beiläufige Handbewegungen vollführte. Als sie die Stimme erhob, zuckten die Geschwister zusammen, wie bei einem Donnerschlag:
„Der Funke des Lebens, gestützt von fünf Pfeilern.“
Er sah unter das Becken und zählte fünf Steine, die ihn am Platz hielten.
„Fällt ein Pfeiler, muss die Flamme in Zerstörung vergehen. Doch durch Fünf kann die göttliche Gabe wachsen.“
In Lhakis Blick schillert es. Er will gerade ansetzen, etwas zu sagen… Da steigt aus der tanzenden Flamme eine kleine Gestalt, ein kleines Mädchen oder junge Frau.
Ah, nicht die Flamme tanzt, sondern sie! Wie in Extase hüpft sie aus dem Becken und wirbelt in einem Kleid aus Frühlingsfarben wild im Kreis herum.
Beim Zusehen befällt ihn ein Schwindel… nun dreht er sich selbst… Wirbel, Tanz, Extase…

Dann schlägt Kasimir die Augen auf und findet sich im dunklen Wagen wieder. Alles ist ruhig – und durch das kleine Loch im Vorhang blinzelt die neugeborene Sonne.

[Bild: ewf6.jpg]
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RE: Durch die Gosse zu den Sternen - von Kasimir Violca - 27.09.2013, 10:32



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