Götterreisen
#4
4. Tag - Chronos

Es war noch sehr kühl an diesem Morgen, aber sie war an ihrem Platz. Tief atmete sie die frische Waldluft ein, die einen Hauch von Salz in sich trug. Fröstelnd entledigte sie sich ihrer Kleidung nahm behutsam das Kästchen aus ihrer Tasche, in der - wie ein kleiner Schatz geborgen - die Schwanenfeder lag. Nur selten waren sie zu finden. In perfektem Schwung bog sich die Feder des Unterkleides, die kleinen, feinen Härchen zitterten im seichten Lufthauch, als sie sie heraus nahm.

Die Hände zu einer Schale geformt, in der die kostbare Feder lag, stieg sie ins kalte Wasser und watete zum Wasserfall - wie sie es in den warmen Sommertagen schon so oft getan hatte. Dort, wo das Wasser sich durch die Wirbelungen gerade wieder ein wenig beruhigt hatte, tauchte sie die Hände ins Wasser, bis der untere Teil der Feder die Wasseroberfläche berührte. Dann öffnete sie die Hände und sie trieb davon, den kleinen Fluss hinab.

Noch einen Moment blickte sie ihr nach, dann stellte sie sich vor den Wasserfall, die Arme weit geöffnet, Bauch, Hüften und Beine vom tosenden Wasser umspielt und erhob ihre Stimme zu dem rauschenden Lied des Wassers:

Chronos! Herr! Erhöre mich!
Habe Mitleid mit deiner Tochter, die gekommen ist, um Abbitte zu leisten!
Ich flehe dich an, nimm mein Opfer an und vergib mir!
Du bist der, der mein Schicksal lenkt, hilf deiner Tochter auf den rechten Weg zurück zu gelangen!
Beschütze und rette mich und meine Saat!

Sie ging noch einen halben Schritt vor, so dass das Wasser auf ihren Kopf prasseln konnte und sie fast gänzlich unter dem Vorhang verschwand, als sie etwas in das rechte Bein biss. Erschrocken zog sie es weg, verlor das Gleichgewicht und knallte mit dem Kopf unglücklich gegen einen Felsen, der neben ihr aus dem Wasser ragte. Es war, als würde sie in einen Strudel gerissen, der sie tiefer und tiefer mit sich riß, bis nur noch Schwärze sie umgab.

Ihr Körper tauchte für einen Moment leblos ins Wasser und die Strömung nahm sie mit sich, bis sie nach wenigen Augenblicken wieder an die Oberfläche kam, auf dem Rücken treibend. Und schon an der nächsten Flussbiegung spülte der Körper an das weiche Ufer des Waldes, als hätte sie jemand vorsichtig dort abgelegt.

Es dauerte nicht lange, bis sie wieder die Augen aufschlug und hustend und frierend zu sich kam. Das Bild, dass sie jemand auf sanften und doch starken Armen getragen hatte, um sie dort ans Ufer zu legen, stand ihr so klar vor Augen, dass sie sich kaum der Schmerzen der Platzwunde am Hinterkopf bewusst wurde, aus der nur noch wenig Blut sickerte.

[Bild: p99te8l8.jpg]

Erst viel später bemerkte sie, dass auch die Brandwunde auf ihrer Hand weniger schmerzte und die frische, rosige Narbe sich glatter anfühlte.
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Götterreisen - von Magdalena - 25.09.2013, 16:21
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