FSK-18 Die Kunst des Lebens
#1
Zeiten der Trauer

Teil I

Das Flackern der Kerzen in der Kapelle ließ Ihre müden Züge noch verhärmter wirken, indem Licht und Schatten Ihr Spiel dort trieben. Die sonst so fröhlich, glänzenden Augen waren nun stumpf, während sie in Richtung des Leichnams blickte. Die Totengräber hatten Kunos Leib so einbandagiert, dass man die Körperkonturen kaum mehr erkennen konnte. Ironischerweise hatte dieser Körper eine ansehnlichere, gesündere Form als der Schneider in seinen letzten Wochen. Mit einem Zucken der Nase wurde sie sich erneut des penetranten Kräutergeruchs gewahr, der den Geruch des Todes noch zu verbergen wusste. Selbst dieser Geruch erweckte nicht das Gefühl Kuno dort vor sich liegen zu haben. Sie kannte den sauberen, frischen Geruch des Schneiders, der sich jeden Abend in Ihre Nase schlich und Tag für Tag ein Gefühl von Sicherheit vermittelte. Jetzt hingegen lag ein Körper vor Ihr, der nichts mehr mit Kuno gemein hatte.

[Bild: ivwh.png]

Sie drehte das Trauerkärtchen zwischen Ihren Fingern, um einen Blick auf das gezeichnete Antlitz Kunos werfen zu können. Ein feines Lächeln stahl sich auf Ihre Züge, als sich sein Blick dort so in der Ferne verlor. „Ich werde Dir einen Sattel anfertigen lassen, auf dem Du Dich halten kannst!“, „Eine Waldlichtung nah der Stadt, Kuno, mit der richtigen Begleitung schaffst Du das!“. Dort, wo seiner Hoffnung Grenzen gesetzt wurden, träume sie für Ihn. „Ich komme mit Dir.“, dort, wo der Realismus Ihn einholte, versuchte sie sich an Optimismus. Sanft strich sie mit den Fingerkuppen über das gezeichnete Haupthaar des Schneiders. „Oh, Kuno...“. Gemeinsam hätten sie in Ihren Augen den Machenschaften der Stadt trotzen können. Aber was war das schon, außer einer Träumerei? Die Realität sah anders aus, war härter, als sie sich hätte vorstellen können. Die schwarzen Finger der Stadt, mit all Ihren Intrigen und Lügen, hatte nicht nur Kuno fest im Griff, sondern tastete mittlerweile auch nach Ihr. Durch seinen Tod wurde sie au den Boden der Tatsachen zurückgeholt. So unsanft, dass sie beinahe vergaß, was sie Ihm geschworen hatte: Weitermachen! Bewahren, für was sie gemeinsam kämpften.

Erneut drückte sie das Kärtchen in Ihrer Hand, ehe sie sich mit einem letzten Blick auf den Toten herum wendete, um die Kapelle zu verlassen. Die zuvor noch flackernden Kerzen tauchten den Raum inzwischen nur mehr in ein fahles Licht, während die Flamme an den letzten Wachsresten zehrte. Aber auch außerhalb des Gebäudes hatte die Dämmerung bereits eingesetzt. Sie musste über eine Stunde dort bei Kuno gewesen sein, weswegen die Schritte nun umso schneller in Richtung der Stadt gesetzt wurden. Sie wollte weder Skaskar, noch Askir zeigen, wie sehr die Trauer doch Tag um Tag in Ihrem Herzen wuchs.
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Die Kunst des Lebens - von Kristin Mia Kylli - 01.09.2013, 18:21



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