Arx Obscura

Normale Version: Die Kunst des Lebens
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Zeiten der Trauer

Teil I

Das Flackern der Kerzen in der Kapelle ließ Ihre müden Züge noch verhärmter wirken, indem Licht und Schatten Ihr Spiel dort trieben. Die sonst so fröhlich, glänzenden Augen waren nun stumpf, während sie in Richtung des Leichnams blickte. Die Totengräber hatten Kunos Leib so einbandagiert, dass man die Körperkonturen kaum mehr erkennen konnte. Ironischerweise hatte dieser Körper eine ansehnlichere, gesündere Form als der Schneider in seinen letzten Wochen. Mit einem Zucken der Nase wurde sie sich erneut des penetranten Kräutergeruchs gewahr, der den Geruch des Todes noch zu verbergen wusste. Selbst dieser Geruch erweckte nicht das Gefühl Kuno dort vor sich liegen zu haben. Sie kannte den sauberen, frischen Geruch des Schneiders, der sich jeden Abend in Ihre Nase schlich und Tag für Tag ein Gefühl von Sicherheit vermittelte. Jetzt hingegen lag ein Körper vor Ihr, der nichts mehr mit Kuno gemein hatte.

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Sie drehte das Trauerkärtchen zwischen Ihren Fingern, um einen Blick auf das gezeichnete Antlitz Kunos werfen zu können. Ein feines Lächeln stahl sich auf Ihre Züge, als sich sein Blick dort so in der Ferne verlor. „Ich werde Dir einen Sattel anfertigen lassen, auf dem Du Dich halten kannst!“, „Eine Waldlichtung nah der Stadt, Kuno, mit der richtigen Begleitung schaffst Du das!“. Dort, wo seiner Hoffnung Grenzen gesetzt wurden, träume sie für Ihn. „Ich komme mit Dir.“, dort, wo der Realismus Ihn einholte, versuchte sie sich an Optimismus. Sanft strich sie mit den Fingerkuppen über das gezeichnete Haupthaar des Schneiders. „Oh, Kuno...“. Gemeinsam hätten sie in Ihren Augen den Machenschaften der Stadt trotzen können. Aber was war das schon, außer einer Träumerei? Die Realität sah anders aus, war härter, als sie sich hätte vorstellen können. Die schwarzen Finger der Stadt, mit all Ihren Intrigen und Lügen, hatte nicht nur Kuno fest im Griff, sondern tastete mittlerweile auch nach Ihr. Durch seinen Tod wurde sie au den Boden der Tatsachen zurückgeholt. So unsanft, dass sie beinahe vergaß, was sie Ihm geschworen hatte: Weitermachen! Bewahren, für was sie gemeinsam kämpften.

Erneut drückte sie das Kärtchen in Ihrer Hand, ehe sie sich mit einem letzten Blick auf den Toten herum wendete, um die Kapelle zu verlassen. Die zuvor noch flackernden Kerzen tauchten den Raum inzwischen nur mehr in ein fahles Licht, während die Flamme an den letzten Wachsresten zehrte. Aber auch außerhalb des Gebäudes hatte die Dämmerung bereits eingesetzt. Sie musste über eine Stunde dort bei Kuno gewesen sein, weswegen die Schritte nun umso schneller in Richtung der Stadt gesetzt wurden. Sie wollte weder Skaskar, noch Askir zeigen, wie sehr die Trauer doch Tag um Tag in Ihrem Herzen wuchs.
Nur eine Sekunde


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Die letzten Sonnenstrahlen brachen sich in den Zinnen des Wachturmes, während hin und wieder eine dunkle Wolke von der nahenden Dämmerung kündete. Die Tore waren geschlossen, die Straßen wie ausgestorben. Es schien, als würde man vor einer Geisterstadt um Einlass bitten. Kein Kinderlachen, nicht einmal das Scheppern der Wagenräder der Händler konnte man vernehmen. Einzelne Schneeflocken tänzelten auf dem steinigen Weg hinter den Stadttoren, schienen sie zu locken, ehe sie sich wirbelnd wieder in die Höhe schraubten. Und so kalt Ihre Hände inzwischen auch waren, lösten sie sich nicht von den metallenen Gitterstäben dort vor Ihr. Noch ein Blick, ein letzter Blick. Nur noch eine Sekunde, dann wollte sie umkehren. Umkehren und verzeihen.

„Sieh' mal.“, mit ausgestrecktem Finger deutete der Soldat von den Zinnen des Turmes hinab, um seinen Kameraden auf die Gestalt dort unten aufmerksam machen zu können. „Sie steht seit Stunden reglos dort unten, starrt einfach nur vor sich hin.“. Tatsächlich schien die verhüllte Person vor den Toren, eher ein Abbild Ihrer selbst zu sein, denn ein lebendes Wesen. Die kupferfarbenen Kleidungsstücke waren dreckig und feucht, vor allem am Saum des Umhanges und Mantels ließ sich verkrusteter Matsch erkennen. Die Gugel war tief in das Gesicht der Person gezogen, ließ aus dem Blickwinkel der Soldaten nicht viel mehr erkennen als den Hauch eines schmalen Gesichts. „Sollen wir uns nach Ihrem Begehr erkundigen?“, er wagte es kaum die Stimme zu erheben, aus Sorge, sie aus Ihren Gedanken zu reißen. Das Bild, das sich Ihnen dort unten präsentierte, war zu ruhig, zu hypnotisch, um es zu stören.

Ein Blitzen, weit draußen auf dem Meer. Ein Leuchtsignal, um die Schiffe trotz der inzwischen vorherrschenden Dunkelheit sicher zurück in Ihre Häfen zu weisen. Ein Licht im Süden, dass sie nun dazu veranlasste, die schmalen Finger von den eiskalten Gitterstäben zu nehmen. Sie sah Ihn nicht, dort, die Quelle weit im Süden und doch war es sein Lichtschein, der diese Regung in Ihren Körper brachte. Einzelne Flocken hatten sich inzwischen auf Ihren Schultern niedergelassen, um dort für eine Weile Ihr Dasein zu fristen und als bald einen feuchten Fleck auf dem Stoff zu hinterlassen. Erstmals seit Stunden drehte sie den Stadttoren nun den Rücken zu, um versonnen das immer wiederkehrende Lichtspiel auf der heute so glatten Meeresoberfläche zu beobachten. Nur noch eine Sekunde, dann wollte sie umkehren. Umkehren und vergessen.

„Ich glaube sie geht.“, inzwischen lehnten die beiden Soldaten ein Stück weit über der Brüstung, um das seltsame Verhalten der Person besser beobachten zu können. Nach Ihrer Drehung in südliche Richtung, konnten sie nun erstmals Ihre Züge betrachten. Gesichtszüge, geprägt von Müdigkeit und Resignation. Es war trotz des vorherrschenden Dämmerlichtes nicht zu übersehen, wie gerötet Ihre Augen und auch die Nase waren. Die ebenmäßige Haut hingegen war blass, von Erschöpfung gezeichnet. Und auch hier konnte man recht schnell den Eindruck bekommen, dass sie bereits seit einiger Zeit trotz der eisigen Kälte durch die Ländereien zog. Der aufkommende Wind zog sanft an der Gugel, ließ den schweren, gefütterten Umhang hinter den Beinen der Gestalt flattern. Noch eine Böe, dann schlossen sich den wallenden Stoffen kupferfarbene Haarsträhnen an, die ungebändigt für einen Moment durch die Abendluft getrieben wurden. „Ist das nicht die Große vom Kaufmann Kylli, eh?“, sein Kamerad bekam den Ellbogen in der Seite zu spüren, während das metallene Scheppern der einzelnen Rüstungsteile sich regelrecht bedrohlich in der vor Kälte schwirrenden Luft ausbreitete.

Und als wäre dieses Geräusch ein Zeichen gewesen, schob sie Ihre Hand in die Höhe, um sich die Gugel wieder über das Haupt zu ziehen. Ein fahriger Blick in Richtung des Wachturmes, dann riss sie sich aber auch schon los, um eiligen Schrittes die Straße zurück in Richtung Waldstück zu nehmen. Nur noch eine Sekunde in der Dunkelheit,...

...

Währenddessen bietet sich in der Altstadt Löwensteins ein sehr seltenes, regelrecht ungewohntes Bild. Die Schneiderstube zum 'Goldenen Schnitt' wirkt seit mehreren Tagen verwaist, kein Licht brennt hinter den Scheiben, kein Schatten bewegt sich tänzelnd und zuckend über die Wand. Wird man um Einlass bitten, dringen keine Schritte durch die Türe hindurch, kein Schlüssel wird im Schloss gedreht.
Ein Brief an die Familie


Je näher sie den steinernen Mauern des Lehens kam, umso langsamer wurde die Stute unter Ihr. Unbewusst zogen die schmalen Hände der Frau an den Zügeln, drosselten das Tempo des Reittieres, um den Moment länger und länger herauszuzögern. Bereits jetzt drangen die bekannten Geräusche rasselnder Rüstungen an Ihre Ohren, und hin und wieder konnte man sogar das sich brechende Licht im getragenen Metall der Grenzsoldaten erkennen. Die Tore waren wie zu erwarten verschlossen, weswegen Ihre Schritte sie so gleich in Richtung einer der Torwachen führten.

"Verzeiht. Ich hörte, dass vor wenigen Tagen Candariern erlaubt wurde, die Grenze zu passieren? Nein. Ich war bedauerlicherweise verhindert, würde mich nun aber gerne für den kommenden Tag anmelden. Kylli. Ja? Ja, die Tochter des Händlers. Genau."

Die mit dem Bürgersiegel der Stadt Löwenstein verschlossene Pergamentrolle in Ihrer Hand wird nun regelrecht behutsam in Richtung Stadttores gestreckt, um dort hoffentlich von einem inne stehenden Soldaten angenommen zu werden.

"Insofern die Möglichkeit besteht, wäre ich Euch sehr dankbar, wenn Ihr meiner Familie dieses Schreiben übermitteln könntet. Wenn Ihr sie im Haus nicht antreffen könnt, findet Ihr mindestens ein Familienmitglied mit Sicherheit am Leuchtturm."


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Zweitürmen, den 23. Wandelmond 1401

Liebe Familie,

ich bin mir nicht einmal sicher, ob dieses Schreiben Euch erreichen wird, ob Mutter in der Lage ist, Isabell vorzulesen. Und auch wenn ich mein Versprechen hiermit breche, mich nicht schriftlich, sondern nur auf persönlichem Wege bei Euch zu melden, hoffe ich, dass Ihr Euch freuen werdet und Euch die Zeit nehmen könnt meine Zeilen zu lesen.

Mir ist aktuell nicht bewusst warum und wie lange, aber offenbar wurden die Grenze nach Candaria vor einigen Tagen für wenige Stunden geöffnet. Verpflichtungen in Zweitürmen hielten mich bedauerlicherweise davon ab diese Information zeitnah zu erhalten, weswegen ich nun noch nicht bei Euch auf dem Balkon sitzen kann, um Euch über all die Neuigkeiten in Kenntniss zu setzen. Stattdessen erfuhr ich aber, dass es bald wieder soweit sein wird. Dass die Grenzen wieder offen stehen werden und es offenbar gebürtigen Candarier erlaubt sein wird, sie erneut zu passieren.

Ja, ich weiß, dass dieses Schreiben mehr Fragen aufwerfen, denn beantworten wird, aber ich möchte, dass Ihr wisst, dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde, um Euch an diesem Tag besuchen kommen zu können. Vater, ich sehe Dein Gesicht bei dieser Information regelrecht vor mir - auch mir sind zumindest ansatzweise die Umstände in Candaria bekannt, und dennoch nehme ich dies nicht als Grund, diese Möglichkeit nicht zu ergreifen. Ich bitte Dich, Vater, mache Dir keine Sorgen!

In Gedanken bei Euch


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