FSK-18 Der Sturmrufer
#12
Die Nacht hatte Eisenheim wieder in die Stille geführt, in die Geiselhaft der dunklen Kälte, die mit jeder Winternacht stärker wurde. Und Skaskar hatte beschlossen, zu dem Treffen mit Frye weder ungerüstet noch ohne Pelz auf dem Stahl zu erscheinen. Wie sich herausstellen sollte, tat er gut daran.

Als er am Bergpfad ankam, wartete sie bereits, hockte auf einem Steinvorsprung und betrachtete ihn wieder als sei er nicht mehr als ein Welpe, der weder die Augen geöffnet, noch richtig laufen gelernt hatte. In diesem Urteil lag endlose Selbstsicherheit, aber auch eine seltsame Form der Hingabe, der Hinwendung. Wäre nicht ihr angespannter, athletischer Körper nicht weniger als eine Verheißung gewesen, in einem Kampf auf Leben und Tod erobert zu werden, hätte man den Blick beinahe als mütterlich bezeichnen können. Dieses Wort jedoch lag dem Streiter fern, sondern er hätte es am ehesten mit einem wölfischen Blick vergleichen, dem Wechselspiel zwischen dem Lauern auf eine Beute und dem aufmerksamen Beobachten dessen, was der eigene Wurf macht. Als die beiden, wortlos aber mit einer Verbundenheit, als hätten sie sich nie im Mahlstrom der Vergangenheit verloren, den schützenden Bereich des Dorfes verlassen hatten, kam keinem von beiden für Stunden ein Wort über die Lippen.

Sie wanderten hinaus in die Romantik einer Wildnis, die anderen nur wie grausame Kälte und eine Welt voller Entbehrungen vorkommen musste. Eine karge Ödnis, aus Schnee, Eis und Stein geschmiedet, in der kein Platz für Schwäche oder Mildtätigkeit war. Das gemeinsame Entsagen der Zivilisation im Schutze der Nacht schmiedete mit jedem Schritt, mit dem sie sich von der letzten menschlichen Siedlung dieses Gebirges entfernten, ein Band welches stärker als alles war, was Worte ausdrücken könnten. Tatsächlich hatte Skaskar den stillen Verdacht, dass es dieses Band schon immer – irgendwo unter all den halbgelehrten Wahrheiten einer neuen Welt – gegeben hatte und Frye es nur zum richtigen Zeitpunkt geschafft hatte, ihm das andere Ende dieser Seilschaft unter Zweien zu geben.

Die weiße und graue Welt, die sich um sie herum erstreckte, wurde lediglich vom vollen, am Himmel stehenden Mond in silbernes Licht getaucht, ein Licht, unter dem die beiden – der Streiter und die Jägerin, wanderten, bis sie schließlich vor einer steilen Felswand stehen blieb und in das lichtlose Dunkel einer Höhle hineinblicke. Skaskar hatte trotz aller Liebe, die er für diese raue und harte Welt empfand, die Kälte in seinen Gliedern hochsteigen gespürt. Sie begann, nach seinem Körper zu greifen und das Leben darin, in eisige Starre zu wandeln. Dennoch hatte er keinen Ton des Wehklages über seine Lippen gebracht – hier gab es keinen Platz für Schwäche, keinen Platz für Wünsche. Nur das, was man nicht hatte und das man sich schlicht und ergreifend aus Notwendigkeit nahm und vereinnahmte. Frye entzündete eine Fackel und die ferne, um den Kopf der Fackel kreisende Wärme, schien Skaskar magisch anzuziehen und führte ihm vor Augen, wie sehr er die Zehrungen seines Körpers ignoriert und sie als Schwäche abgetan hatte. Die Sucht nach Wärme, das Lechzen danach, seinen Körper aus dem eisigen Griff der Ödnis zu befreien, war in wenigen Momenten so stark geworden, dass er fürchtete, er würde sich die Fackel greifen und sie verschlingen müssen, nur um diesem Gefühl nachzugeben.

Die Jägerin sah den Streiter an, wie die gleichsam liebende und strafende Mutter. Das perfekte Gleichnis einer Henkerin, die zugleich Leben schenken konnte. „Dies .. ist deine Prüfung Skaskar.“ sagte sie nur schlicht, als sie die Fackel in die Dunkelheit der Höhle schleuderte. Der Lichtschein durchtrennte die Dunkelheit wie ein brennendes Schwert das weiche Fleisch eines Ketzers und verschwand schliesslich darin, nur einen matten Schein seiner selbst zurücklassend. Skaskar verstand nicht gleich, was Frye mit den Worten bezweckte – was der Sinn des ganzen war. Er begann erst zu begreifen, als er ein Rumpeln und Grollen im Inneren der Höhle hörte. Es klang weder begeistert, noch wirklich friedfertig. Vor allem aber, klang es wild, ungezähmt und gefährlich. Als sich die riesige, ausgewachsene, pelzige Gestalt eines vollkommen aufgescheuchten Höhlenbären um die Ecke der Höhle schob, erledigten sich auf einen Schlag alle Überlegungen, alle Gedanken, daran, was Frye mit ihren Worten gemeint hatte. Das Überleben trat in den Vordergrund, denn beide wussten, dass das Tier sie nicht nur als Eindringling wahrnahm, sondern dass es sie möglicherweise auch gleich mit einer im Winter so seltenen Mahlzeit verbinden würde. Einen Bären im Winterschlaf stören – eine Idee über die man sich vielleicht später noch austauschen würde müssen.

Der Bär hingegen schien nur Skaskar im Blickfeld zu haben, Frye hatte sich zurückgezogen. Nicht einmal der Streiter konnte sie gleich ausmachen, während Schild und Rabenschnabel in seine Hände glitten. Das Tier trabte heran, wollte offenbar aus reiner Wut und vermutlich auch aus der Schwäche der Jahreszeit heraus den Kampf nicht länger ausdehnen als nötig. Skaskar stemmte seine Füße in den Boden, der Schild hob sich, die Schlaghand holte aus. Atemstille. Nur das riesige, fellbewehrte Monstrum, welches sich ihm einer Todeswalze gleich, entgegenschob. Nur noch Reaktion, Überleben. Kurz vor dem Krieger stemmte sich das Tier aufbäumend, bedrohlich, in die Höhe, entblößte Krallen und Hauer, denen Skaskar zutraute, selbst den schweren Stahl seiner Rüstung zu durchdringen. Warten. Das Tier erhob sich weiter über ihn, wie ein grausamer König, der einen Aufstand in seinem Reich niederschlägt. Warten. Noch nicht. Der höchste Punkt seiner Herrlichkeit war erreicht, die Krallen begannen sich mit dem Körper zu senken, wollten die vermeintlich einfache Beute über sich begraben, ehe der stählerne Körper des Kriegers sich mit einem Ruck aus der Kälte, der Starre löste und sich in einer durch sein Gewicht getragenen Bewegung aus dem Fallbeil aus Krallen und Fangzähnen zog, nur um die Spitze des Rabenschnabels von unten in die Seite des Tieres zu treiben.

Die Kraft des gesamten Arms lag in diesem Schlag, jeder Muskel war darauf ausgerichtet, die Stahlspitze in den Körper dieser fleischgewordenen Naturgewalt zu treiben, während heißer Atem Mund und Nase verließen, sich freistießen von der Unbeweglichkeit, die er sich selber zugemutet hatte. Der Schnabel drang tief in das Fleisch der Raubkreatur ein und ein umso wilderes Brüllen des Bären quittierte das Missfallen über das Aufbegehren derer, die sein Reich, seine Wildnis betreten hatten. Die Waffe riss Blut und Fleisch mit sich, als der Krieger erneut auszuholen und das Tier zu seinen Hinterläufen zu umrunden begann. Diese Bewegung jedoch, wurde zu lang und zu zögerlich ausgeführt. Durch die klaffende Wunde nur tiefer in das Wechselspiel aus Kampf und Wut hinabgezogen, bäumte sich das Tier nicht nur zur Seite hin auf, sondern konnte sich in wesentlich kürzerer Zeit als von Skaskar gedacht wieder vor ihn ausrichten. Die Pranken begannen bereits unablässig nach ihm zu Schlagen und das Schaben der klingengleichen Krallen war ein tosendes Versprechen von Tod und Gier nach dem Fleisch, dem Wesen, welches in einen Stahlpanzer gehüllt, unrechtmässig in das Reich des Bären eingedrungen war. Die Last des Tieres auf dem Schild begann den Krieger zurückweichen zu lassen, die Öffnungen zu einem Gegenschlag zum Versiegen zu bringen und den beinahe insgeheim bejubelten Erstschlag zu einem Kinderschritt auf einem Weg zwischen Kontinenten verkommen zu lassen.

Mit dem Schild als einziger Barriere zwischen ihm und dem Bären, begann mit jedem weiteren Prankenschlag ein Gefühl in ihm aufzufallen, welches er schon lange nicht mehr so deutlich empfunden hatte wie in diesem Augenblick: Todesangst. Das Gefühl, keine Öffnung zu finden, irgendwann aber ermüdet die Deckung fallen lassen zu müssen und dann schlicht und ergreifend zwischen den Klauen des Bären lebendig geschreddert zu werden, setzte sich wie ein Dolch in seinen Rücken und ließ die Angst wie ein Schatten über den Geist des Kriegers fallen. Der Bär hingegen, kannte weder Furcht, noch den Drang Zurückzuweichen. Er verteidigte schlicht, was er als sein angenommen hatte. Beneidenswert.

Mit diesem letzten Gedanken fiel auch der Vorhang für Skaskar, als ein Splittern im Holz des Schildes dessen Brechen ankündigte und das Tier den Krieger in unglaublicher Geschwindigkeit unter sich begrub. Der Schnee schloss sich wie ein kalter Mantel seitlich um ihn, während über ihm nur Schwärze und Zorn regierten, dessen Auswirkungen er wirkungslos mit den gepanzerten Armen von sich zu stemmen versuchte. Die Luft begann unter dem Druck des Tieres und seines Rüstzeugs mit jeder Anstrengung weniger zu werden, steigerte die Todesangst nur weiter und ließ Schwärze in den Blick des Kriegers treten. Während der Bär noch, vollkommen wild geworden, versuchte einen Weg in das innere von Skaskar zu finden und der heiße Atem des Tieres, gepaart mit dessen Speichel auf den Streiter hinabregneten, war da nur das sonst so Stolz getragene Lebenslicht, welches langsam zu einem Flackern verkam. Luft. Er brauchte Luft. Diese enge. Er starb. Skaskar war sich sicher, dies war die letzte Prüfung seines Landes.

Nur aus den Augenwinkeln glaubte er einen Schatten wahrzunehmen, der um ihn herumtanzte, wie ein gieriger Bote des Todes, der seine Seele bald von seinem Leib lösen und in ihre Bestandteile nach Arkadien zurücksenden würde, in das Reich seiner Götter. Doch hatte dieser Gedanke nichts Tröstendes, nichts Vollendetes – es war zu früh. Bevor Skaskar in der Lage war zu begreifen, dass der tanzende Schatten nicht weniger als der Körper seiner Begleiterin gewesen war, schlossen sich die Augen und er kehrte in eine tiefe Schwärze ein, unwissend, dass dies nicht das Ende, sondern der Beginn einer langen Reise sein würde.

[Bild: 7b1d18f89f.jpg]
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