FSK-18 Der Sturmrufer
#11
Die ersten Tage seit Skaskars Rückkehr waren zu Wochen geworden. Wochen, in denen eine Normalität einkehrte, die seine Zeit in Servano wie einen fernen Traum erscheinen ließ. Vergangene Freundschaften verblassten im Nebel dieser Traumwelt, die immer stetiger dem Hier und Jetzt wich. Gemeinhin bewunderte man im Eisenheim – ganz im Einklang mit der öffentlichen Meinung über das Volk Nortgards – die Art von Krieger, die Skaskar mittlerweile geworden war: Waffenstarrend, unbeugsam, diszipliniert.

Er hatte noch keine Aufgabe gefunden, wohl aber viele Männer, die sich nur allzu gern auf einen Kampf einließen – sei es nur der Übung wegen. Ein reduziertes Leben, allerdings eines, dass ihm die Rückkehr in seine Heimat erleichtert hatte. Selten jedoch, wurde diese Eintracht davon überschattet, dass Skaskar von einem Gefühl eingeholt wurde, als sei etwas Unerledigtes übrig. Etwas, dass ihn dazu brachte die Nächte oft an einem der Fenster des Langhauses der Sturmschlags zu verbringen und zu beobachten wie Frye, den Geist, wie sie mittlerweile von vielen genannt wurde, die Nacht zum Ein- und Ausgehen im Eisenheim nutzte. Sie mied die Bewohner ihrer einstigen Heimat so gut sie konnte und schien sich komplett aus dessen Leben zurückgezogen zu haben. In dieser Nacht erwartete Skaskar den Geist erneut – den Schatten eines Menschen, der mit mechanischer Konstanz beinahe immer zum gleichen Augenblick an dem Fenster vorbeiflug um sich die Wildnis erneut Untertan zu machen.

Doch der Moment verstrich, der Augenblick der Spannung blieb aus und beinahe hatte sich der Streiter erhoben, als ihn doch etwas zurückhielt und in die Dunkelheit blicken ließ. Das Gefühl beobachtet zu werden, stieg in ihm auf, ohne dass er es an etwas bestimmtem festmachen konnte. Es war vergleichbar mit dem Gefühl, dass man an engen Treppenaufgängen oder in verwinkelten Gassen hat, wenn man alleine unterwegs ist: Dieser Drang sich stetig umsehen zu müssen. Dieses alarmierte Gefühl im Körper, als könnte jeden Augenblick der eigene Schatten nach der Kehle greifen.

Skaskar reagierte drauf, wie man eben reagieren konnte: Er sah sich im großen Raum um, in dessen Leere nur Skaskars Kerze sich der langen Dunkelheit der Nacht entgegenstellte. Es waren diese Momente, die dem Krieger so zuwider waren, wie dem Bauern die ausbleibende Ernte: Irgendwo lauerte etwas, vielleicht ein Feind. Und er konnte nur abwarten und sich sehenden Auges angreifen lassen – konnte kein Licht dorthin bringen, wo es den Lauerer aus seiner Dunkelheit gerissen hätte.

Das Gefühl wurde indes stärker, je länger er seinen Rücken dem Fenster zuwandte, als könnte er beinahe körperlich einen Dolch fühlen, der an seinem Rücken wie eine Drohung und ein Versprechen zugleich entlangstrich. Vorsichtig, als könnte jede Bewegung sein Lebenslicht aushauchen, wenn sie nur zu rasch ausgeführt wurde, drehte sich der Sturmschlag erneut zum Fenster und sah auf den ersten Blick nichts. Die Momente jedoch, die hiernach verstrichen, ließen Unschlüssigkeit aufkeimen. Unschlüssigkeit ob es wirklich nur die Dunkelheit war, die sich über das schlafende Dorf gelegt hatte oder ob der Eindruck eines aufblitzenden Augenpaares im Schutz einer Hauswand tatsächlich auf ihn gerichtet waren. Der Mensch, dem sie gehörten, musste unendlich klein sein – oder knien, wenn es tatsächlich Augen waren.

Kampfeslust und Herausforderung sorgten dafür, dass die folgende Entscheidung schneller gefällt wurde, als der Streiter Risiken abwägen konnte: Er ging so schnell er konnte zur Tür, trat heraus und suchte die Stelle, an der er die Augen – zumindest dachte er das – gesehen hatte. Dort jedoch angekommen, fand niemanden. Zumindest niemanden der noch da war, denn die Spuren im Schnee deuteten auf eine Person hin, die hier gewesen war. Obwohl Skaskar der leichte Schneefall erst jetzt richtig auffiel und sich die Spuren langsam wieder zu schließen begannen, ließen die Spuren nur einen Schluss zu. Eine Person war hier gewesen – er hatte sich nicht geirrt und er war beobachtet worden. Seine Heimat, sein Eisenheim, das Dorf in dem er aufgewachsen wurde, war jedoch kein Ort an dem derlei üblich war – es sei denn es war wieder sein Schatten, sein Geist, die unerreichbare Frye gewesen. Die kleinen Spuren unterstrichen das, wenngleich der Krieger sich nicht vorstellen konnte, was sie damit bezwecken konnte. Was auch immer sie hier getan hatte, es gefiel Skaskar nicht und er beschloss sich wieder in die schützende Wärme und das Licht seines Hauses zurückzuziehen. Der Kopf war aufgrund des mittlerweile stärkenden Schneefalls leicht abgesenkt und er beschleunigte seine Schritte um zur Tür zu kommen.

Schnelle, eilige Schritte führten den Krieger zurück zu seinem Haus, dessen Tür er beinahe schon geöffnet hatte, als aus der Dunkelheit mehrere, schnelle Schläge den Krieger an die Tür drückten. Instinktiv versuchte der Körper des Streiters sich zusammenzuziehen und anzuspannen, um sich zu schützen, während Skaskar das einzige tun konnte, was er in diesen Situationen gelernt hatte: Dorthin sehen woher die Attacken kamen und kämpfen. Die Irritation jedoch, in das Gesicht der Frau zu blicken, die für viele im Eisenheim mehr als nur unnahbar gewesen war, gab ihr genügend Raum, um seine Versuch einer Defensive bereits im Keim zu ersticken. Polternd überwältigte die Frau den Krieger so leichtfertig und so schnell, dass seine Gedanken selbst im Kampf noch immer Mühe hatten, sich auf die neue Situation einzustellen. Er konnte spüren, wie er sie – im Drang sich zu befreien mehrfach traf und wie sich seine Fäuste schwer in ihr Gesicht und ihren Körper gruben, sie diesen Körper jedoch einfach ignorierte und ihn nach und nach vollständig zu überwältigen begann.

Die Dunkelheit half nicht dabei zu erkennen, was sie tat, doch hatte Skaskar das Gefühl, zusehends in einen Schraubstock zu geraten. Die lebendige Wärme der Frau umschlang den Körper und nahm ihm nach und nach, gleich einer Würgeschlange, jede Bewegungsfreiheit. Diese unbändige Dominanz mit der sie vorging ohne dabei nachzudenken, sondern ihn einfach, einem unausgesprochenen Urteil gleich, vereinnahmte, raubte ihm auch den letzten Rest seiner Kraft, seines Kampfeswillens. Auf dem Boden liegend, von der Frau über ihm vollständig in Griffen gefesselt, die er weder kannte, noch sie vermutlich nachvollziehen konnte, konnte er nicht mehr als sich ihrem Blick auszuliefern.

Der hingegen, wirkte nicht zornig oder mordlüstern, wie er es erwartet hatte, sondern verwirrt und betroffen. Die Überraschung stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben, über das – oder denjenigen – den sie hier erlegt hatte. „Frye..“ machte Skaskar den gepressten Versuch, sich ihr zu entwinden, was lediglich dazu führte, dass der Druck stärker wurde und sie ihn, mit Verzweiflung und offener Überforderung in ihrer Stimme anherrschte:“Nicht reden..!“ Skaskar musste sie angesehen haben, als verlangte sie unmögliches von ihm, wenngleich er es nicht wagte, sich der Aufforderung zu widersetzen. So lagen sie dort und Momente der Stille gingen ins Land, in der die Betroffenheit und die Verwirrung einem erforschenden Blick und einer faszinierten Neugier wichen. Er spürte die Wärme ihres Handrückens, wie sie damit an seiner Wange entlangstrich und dabei seinen Namen aussprach, einem Hauch gleich, den sie dem schmalen Wind auftrug, welcher durch das Dorf hindurchwehte und den Schnee weiter dorthin trug. Nun, da sie seinen Namen ausgesprochen hatte und wieder Stille einkehrte, begann ein kurzes Lächeln die so vielschichtige Mimik der Frau zu überkommen und sich der Griff um ihn langsam zu lösen, dem sich der Streiter unmittelbar entriss und seine Freiheit zurückerlangte, wie ein um Luft schnappender Ertrinkender.

„Morgen Nacht, am Fuß des Pfades, der auf die Zwillinge führt.“ sagte sie daraufhin nur, als sie ohne ein weiteres Wort in die Nacht entschwand und den Krieger geheimnisvoll mit mehr Fragen zurückließ, als er in dieser Nacht und auch lange danach noch hätte fragen können. Vor allem waren es Fragen, die ihm im Eisenheim niemand beantworten konnte – also war bereits sicher wo Skaskar sich in der kommenden Nacht befinden würde und hoffte, dass ihn der Griff dieser Frau nicht in einen Abgrund reißen würde, aus dem es kein Entkommen mehr gab.

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#12
Die Nacht hatte Eisenheim wieder in die Stille geführt, in die Geiselhaft der dunklen Kälte, die mit jeder Winternacht stärker wurde. Und Skaskar hatte beschlossen, zu dem Treffen mit Frye weder ungerüstet noch ohne Pelz auf dem Stahl zu erscheinen. Wie sich herausstellen sollte, tat er gut daran.

Als er am Bergpfad ankam, wartete sie bereits, hockte auf einem Steinvorsprung und betrachtete ihn wieder als sei er nicht mehr als ein Welpe, der weder die Augen geöffnet, noch richtig laufen gelernt hatte. In diesem Urteil lag endlose Selbstsicherheit, aber auch eine seltsame Form der Hingabe, der Hinwendung. Wäre nicht ihr angespannter, athletischer Körper nicht weniger als eine Verheißung gewesen, in einem Kampf auf Leben und Tod erobert zu werden, hätte man den Blick beinahe als mütterlich bezeichnen können. Dieses Wort jedoch lag dem Streiter fern, sondern er hätte es am ehesten mit einem wölfischen Blick vergleichen, dem Wechselspiel zwischen dem Lauern auf eine Beute und dem aufmerksamen Beobachten dessen, was der eigene Wurf macht. Als die beiden, wortlos aber mit einer Verbundenheit, als hätten sie sich nie im Mahlstrom der Vergangenheit verloren, den schützenden Bereich des Dorfes verlassen hatten, kam keinem von beiden für Stunden ein Wort über die Lippen.

Sie wanderten hinaus in die Romantik einer Wildnis, die anderen nur wie grausame Kälte und eine Welt voller Entbehrungen vorkommen musste. Eine karge Ödnis, aus Schnee, Eis und Stein geschmiedet, in der kein Platz für Schwäche oder Mildtätigkeit war. Das gemeinsame Entsagen der Zivilisation im Schutze der Nacht schmiedete mit jedem Schritt, mit dem sie sich von der letzten menschlichen Siedlung dieses Gebirges entfernten, ein Band welches stärker als alles war, was Worte ausdrücken könnten. Tatsächlich hatte Skaskar den stillen Verdacht, dass es dieses Band schon immer – irgendwo unter all den halbgelehrten Wahrheiten einer neuen Welt – gegeben hatte und Frye es nur zum richtigen Zeitpunkt geschafft hatte, ihm das andere Ende dieser Seilschaft unter Zweien zu geben.

Die weiße und graue Welt, die sich um sie herum erstreckte, wurde lediglich vom vollen, am Himmel stehenden Mond in silbernes Licht getaucht, ein Licht, unter dem die beiden – der Streiter und die Jägerin, wanderten, bis sie schließlich vor einer steilen Felswand stehen blieb und in das lichtlose Dunkel einer Höhle hineinblicke. Skaskar hatte trotz aller Liebe, die er für diese raue und harte Welt empfand, die Kälte in seinen Gliedern hochsteigen gespürt. Sie begann, nach seinem Körper zu greifen und das Leben darin, in eisige Starre zu wandeln. Dennoch hatte er keinen Ton des Wehklages über seine Lippen gebracht – hier gab es keinen Platz für Schwäche, keinen Platz für Wünsche. Nur das, was man nicht hatte und das man sich schlicht und ergreifend aus Notwendigkeit nahm und vereinnahmte. Frye entzündete eine Fackel und die ferne, um den Kopf der Fackel kreisende Wärme, schien Skaskar magisch anzuziehen und führte ihm vor Augen, wie sehr er die Zehrungen seines Körpers ignoriert und sie als Schwäche abgetan hatte. Die Sucht nach Wärme, das Lechzen danach, seinen Körper aus dem eisigen Griff der Ödnis zu befreien, war in wenigen Momenten so stark geworden, dass er fürchtete, er würde sich die Fackel greifen und sie verschlingen müssen, nur um diesem Gefühl nachzugeben.

Die Jägerin sah den Streiter an, wie die gleichsam liebende und strafende Mutter. Das perfekte Gleichnis einer Henkerin, die zugleich Leben schenken konnte. „Dies .. ist deine Prüfung Skaskar.“ sagte sie nur schlicht, als sie die Fackel in die Dunkelheit der Höhle schleuderte. Der Lichtschein durchtrennte die Dunkelheit wie ein brennendes Schwert das weiche Fleisch eines Ketzers und verschwand schliesslich darin, nur einen matten Schein seiner selbst zurücklassend. Skaskar verstand nicht gleich, was Frye mit den Worten bezweckte – was der Sinn des ganzen war. Er begann erst zu begreifen, als er ein Rumpeln und Grollen im Inneren der Höhle hörte. Es klang weder begeistert, noch wirklich friedfertig. Vor allem aber, klang es wild, ungezähmt und gefährlich. Als sich die riesige, ausgewachsene, pelzige Gestalt eines vollkommen aufgescheuchten Höhlenbären um die Ecke der Höhle schob, erledigten sich auf einen Schlag alle Überlegungen, alle Gedanken, daran, was Frye mit ihren Worten gemeint hatte. Das Überleben trat in den Vordergrund, denn beide wussten, dass das Tier sie nicht nur als Eindringling wahrnahm, sondern dass es sie möglicherweise auch gleich mit einer im Winter so seltenen Mahlzeit verbinden würde. Einen Bären im Winterschlaf stören – eine Idee über die man sich vielleicht später noch austauschen würde müssen.

Der Bär hingegen schien nur Skaskar im Blickfeld zu haben, Frye hatte sich zurückgezogen. Nicht einmal der Streiter konnte sie gleich ausmachen, während Schild und Rabenschnabel in seine Hände glitten. Das Tier trabte heran, wollte offenbar aus reiner Wut und vermutlich auch aus der Schwäche der Jahreszeit heraus den Kampf nicht länger ausdehnen als nötig. Skaskar stemmte seine Füße in den Boden, der Schild hob sich, die Schlaghand holte aus. Atemstille. Nur das riesige, fellbewehrte Monstrum, welches sich ihm einer Todeswalze gleich, entgegenschob. Nur noch Reaktion, Überleben. Kurz vor dem Krieger stemmte sich das Tier aufbäumend, bedrohlich, in die Höhe, entblößte Krallen und Hauer, denen Skaskar zutraute, selbst den schweren Stahl seiner Rüstung zu durchdringen. Warten. Das Tier erhob sich weiter über ihn, wie ein grausamer König, der einen Aufstand in seinem Reich niederschlägt. Warten. Noch nicht. Der höchste Punkt seiner Herrlichkeit war erreicht, die Krallen begannen sich mit dem Körper zu senken, wollten die vermeintlich einfache Beute über sich begraben, ehe der stählerne Körper des Kriegers sich mit einem Ruck aus der Kälte, der Starre löste und sich in einer durch sein Gewicht getragenen Bewegung aus dem Fallbeil aus Krallen und Fangzähnen zog, nur um die Spitze des Rabenschnabels von unten in die Seite des Tieres zu treiben.

Die Kraft des gesamten Arms lag in diesem Schlag, jeder Muskel war darauf ausgerichtet, die Stahlspitze in den Körper dieser fleischgewordenen Naturgewalt zu treiben, während heißer Atem Mund und Nase verließen, sich freistießen von der Unbeweglichkeit, die er sich selber zugemutet hatte. Der Schnabel drang tief in das Fleisch der Raubkreatur ein und ein umso wilderes Brüllen des Bären quittierte das Missfallen über das Aufbegehren derer, die sein Reich, seine Wildnis betreten hatten. Die Waffe riss Blut und Fleisch mit sich, als der Krieger erneut auszuholen und das Tier zu seinen Hinterläufen zu umrunden begann. Diese Bewegung jedoch, wurde zu lang und zu zögerlich ausgeführt. Durch die klaffende Wunde nur tiefer in das Wechselspiel aus Kampf und Wut hinabgezogen, bäumte sich das Tier nicht nur zur Seite hin auf, sondern konnte sich in wesentlich kürzerer Zeit als von Skaskar gedacht wieder vor ihn ausrichten. Die Pranken begannen bereits unablässig nach ihm zu Schlagen und das Schaben der klingengleichen Krallen war ein tosendes Versprechen von Tod und Gier nach dem Fleisch, dem Wesen, welches in einen Stahlpanzer gehüllt, unrechtmässig in das Reich des Bären eingedrungen war. Die Last des Tieres auf dem Schild begann den Krieger zurückweichen zu lassen, die Öffnungen zu einem Gegenschlag zum Versiegen zu bringen und den beinahe insgeheim bejubelten Erstschlag zu einem Kinderschritt auf einem Weg zwischen Kontinenten verkommen zu lassen.

Mit dem Schild als einziger Barriere zwischen ihm und dem Bären, begann mit jedem weiteren Prankenschlag ein Gefühl in ihm aufzufallen, welches er schon lange nicht mehr so deutlich empfunden hatte wie in diesem Augenblick: Todesangst. Das Gefühl, keine Öffnung zu finden, irgendwann aber ermüdet die Deckung fallen lassen zu müssen und dann schlicht und ergreifend zwischen den Klauen des Bären lebendig geschreddert zu werden, setzte sich wie ein Dolch in seinen Rücken und ließ die Angst wie ein Schatten über den Geist des Kriegers fallen. Der Bär hingegen, kannte weder Furcht, noch den Drang Zurückzuweichen. Er verteidigte schlicht, was er als sein angenommen hatte. Beneidenswert.

Mit diesem letzten Gedanken fiel auch der Vorhang für Skaskar, als ein Splittern im Holz des Schildes dessen Brechen ankündigte und das Tier den Krieger in unglaublicher Geschwindigkeit unter sich begrub. Der Schnee schloss sich wie ein kalter Mantel seitlich um ihn, während über ihm nur Schwärze und Zorn regierten, dessen Auswirkungen er wirkungslos mit den gepanzerten Armen von sich zu stemmen versuchte. Die Luft begann unter dem Druck des Tieres und seines Rüstzeugs mit jeder Anstrengung weniger zu werden, steigerte die Todesangst nur weiter und ließ Schwärze in den Blick des Kriegers treten. Während der Bär noch, vollkommen wild geworden, versuchte einen Weg in das innere von Skaskar zu finden und der heiße Atem des Tieres, gepaart mit dessen Speichel auf den Streiter hinabregneten, war da nur das sonst so Stolz getragene Lebenslicht, welches langsam zu einem Flackern verkam. Luft. Er brauchte Luft. Diese enge. Er starb. Skaskar war sich sicher, dies war die letzte Prüfung seines Landes.

Nur aus den Augenwinkeln glaubte er einen Schatten wahrzunehmen, der um ihn herumtanzte, wie ein gieriger Bote des Todes, der seine Seele bald von seinem Leib lösen und in ihre Bestandteile nach Arkadien zurücksenden würde, in das Reich seiner Götter. Doch hatte dieser Gedanke nichts Tröstendes, nichts Vollendetes – es war zu früh. Bevor Skaskar in der Lage war zu begreifen, dass der tanzende Schatten nicht weniger als der Körper seiner Begleiterin gewesen war, schlossen sich die Augen und er kehrte in eine tiefe Schwärze ein, unwissend, dass dies nicht das Ende, sondern der Beginn einer langen Reise sein würde.

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#13
Das Erwachen schien noch ein ferner Gedanke zu sein, an den sich sein Körper erst wieder gewöhnen musste, als immer wiederkehrende Lichtreflexe der Augenlider und das Gefühl von Wärme auf seinem Körper immer stärker in das Innere seines Körpers durchdrangen und in der Leere an dem Geist des Kriegers zerrten. Zurück an die Oberfläche. Das was geschehen war, schien so unerreichbar fern, dass Skaskar Mühe hatte, sich auch nur ansatzweise daran zu erinnern, was ihn in diese Situation – ja welche Situation eigentlich? - gebracht hatte.

Seine Augen weigerten sich beharrlich, sich ganz zu öffnen und gaben bei jedem zittrigen Versuch die mit titanischen Gewichten beschwerten Lider zu öffnen einen verschwommenen Blick auf eine menschliche Silhouette an einem Feuer preis. Sonst: Dunkelheit. Sein Körper fühlte sich kraftlos und schwach an und einige Stellen seines Körpers fühlten sich wärmer und klebriger an als der Rest. Nur langsam folgte der Geist diesen Feststellungen, diesen Fakten der Welt, in die er erst langsam zurückkehrte. Wann immer die kraftlosen, ziellosen Gesten des Streiters nun versuchten, nach seinem Körper zu greifen, ihn forschend zu betasten, um ein Gefühl für die Wirklichkeit zu bekommen in der er sich befand, griff eine aus der ferne herbeigeeilte, schmale und filigrane Hand nach der seinen. Die Hand war warm und führte seine Hände stets wieder sanft aber zielsicher an die Seite seines Körpers, wobei Skaskar manchmal glaubte, einen sanften Druck ihrer Finger zu spüren, wenn er mit seiner Hand die unbekannten Finger zu greifen versuchte. Ihre Finger. Die Finger einer Frau. Die Erkenntnis ließ den Geist ein Stück weiter Richtung Wirklichkeit rucken. Frye. Der Bär. Ein Kampf. Und dann die Schwärze. Keine Luft. Und bevor Skaskar Sturmschlag merkte, dass ihn das Zusammenführen dieser Fetzen seiner Erinnerung zu viel Kraft kostete, hatte sich sein Geist wieder zurückgezogen und schaltete den Körper ordnungsgemäß erneut in einen Zustand des Tiefschlafs.

Das nächste mal als sein Körper beschloss, einen erneuten Versuch in die Welt des Wachseins zu wagen, begannen seine Lider seinen Aufforderungen schneller zu folgen und auch sein Kopf schien nun erstmals wieder seinen Befehlen zu gehorchen. Sonst jedoch noch immer weitgehend in einem Körper gefangen, der sich anfühlte, als würde er den Aufforderungen des Kopfes erst Lidschläge später nachkommen, richtete sich der Blick auf die noch immer am Feuer sitzende Gestalt. Auf die Silhouette. Frye.

„Willkommen zurück, Winterwolf.“ rollten die Worte schicksalshaft und gepaart mit einem spöttischen Unterton über ihre Lippen. Er hatte so viele Fragen an sie, die Jägerin, doch der Name, den sie ihm soeben gegeben hatte, entflammte Erinnerungen aus der Asche seiner Vergangenheit, dass er für einen Moment keine andere Möglichkeit hatte, als sich den vor seinem geistigen Auge vorbeiziehenden Bildern zuzuwenden, die wie Peitschenhiebe auf ihn einprasselten und ihn auch in der Realität zusammenzucken ließen.Wie jung sie zu dieser Zeit gewesen sein mochten. Und welche Wünsche und Schwüre, die nur die naiven Köpfe von endlos selbstüberzeugten Nortgardern schmieden konnten, sie in diesen Tagen geleitet hatten. Winterwolf. Das war ihr Name für ihn gewesen, geschuldet der trivialen Tatsache dass es das erste Tier gewesen war, welches sie zusammen gejagt und erlegt hatten. Es hatte seine Stärke darin bewiesen, dass die Jäger am Ende selber zur Beute werden sollten, weil sie zu unvorsichtig waren und Frye beinahe umgekommen war, bevor Skaskar den starken, alten Wolf töten konnte. Selbst Jahre später mutete es wie eine der ultimativen Prüfungen ihres Lehens an, wenngleich diese etwas Verbindendes für beide hatte. Sie hatte von ihrem eigenen Versagen gelernt und seither jede freie Minute in das Vorhaben gesteckt, nie wieder jemandes Beute zu sein und gleichzeitig versucht, niemals ihrem Jagdgefährten, Skaskar, in etwas nachzustehen. Sie beide stachelten einander an, forderten einander heraus und umschlichen einander wie zwei Raubtiere, deren Band mit jeder erfolgreichen Jagd nur stärker wurde.

Er war ihr Winterwolf gewesen. Die Erinnerung hatte etwas beruhigendes, wenngleich es auch im selben Moment die Brücke zurück in die Realität war. In die Höhle, in der Frye ihn noch immer beobachtete und erst nachdem sie das Aufdämmern der Erinnerung in seinem Blick gesehen hatte, mit ernstem und geradezu prophetischem Unterton erneut zu sprechen anhob:“Ich wusste, wenn die weite Welt dich ersteinmal im Griff haben würde, würdest Du mich vielleicht vergessen Skaskar. Aber ich hätte niemals gedacht, dass Du Deinen wahren Namen und den Namen Deiner Waffe vergisst. Das ist würdelos.“ Ihre Stimme ließ trotz der harten Worte Betroffenheit erkennen, als empfände sie so etwas wie Mitgefühl, bevor sie weitersprach. „Mein Skaskar, der Skaskar vor dieser unseeligen Reise nach Servano, mein Winterwolf, hätte diesen vom Winter geschwächten Bären mit bloßen Händen gewürgt und ihm anschließend mit der Faust den Brustkorb zerissen um sein Herz zu greifen und von seinem Blut zu trinken. Aber Du, Skaskar, bist weich geworden. Du hast Dich von den Flachländern und ihrer Bequemlichkeit verlocken lassen und taugst zu nicht mehr als Ablenkung.“

Man hätte vermuten können, dass Skaskar sich rechtfertigen, sich verteidigen wollte, aber dazu war er zum einen zu schwach, zum anderen brachte ihn jedes Wort zurück in die Welt, in der sie und er damals gelebt hatten. Wenn man davon ausging, dass ein Nortgarder nicht nur stolz und diszipliniert kämpfen konnte und daran auch noch Gefallen fand, waren die beiden stets noch eine Spur weiter gegangen. Angestachelt durch die Geschichten, in denen Nortgard noch ein freies Land, das Zentrum des alten Ulgard Reiches und somit Quelle für viele Sagen und Mythen war, deren Echtheit bestenfalls angezweifelt werden konnte, hatten sich die beiden, im Bestreben einander stets herauszufordern in den wenigen angeblichen Fakten verloren, die keiner der heute noch lebte, jedoch abstreiten wollte: Die Ulgard waren ein Kriegervolk. Mächtig im Kampf und unbeugsam, den alten Göttern treu ergeben. Sie raubten und nahmen sich, was sich erbeuten ließ und ergingen sich in der Hauptsache im Recht des Stärkeren. Es war ein erstrebenswerter Kontrast zu dem Nortgard der jüngsten Vergangenheit, welches, gebeutelt von der Abhängigkeit zu Silendir und unter dem Verbot eigener Armeen leidend, erst mit der neuen Fürstin endlich einen Hoffnungsschimmer zurück zur Eigenständigkeit erkennen ließ. Die Tatsache, dass die neue Herrscherin Nortgards mit vielen alten Ge- und Verboten, vor allem aber mit der Krone in Widerstreit lag, hatte den beiden nur noch mehr Auftrieb gegeben. Die alten Wege – nicht nur die der Götter – sondern die des Ulgard-Imperiums waren das Erbe jedes wahren Nortgarders und in diesem Fanal von Fanatismus und gegenseitiger Herausforderung waren sie aneinander entflammt.

„Als Du nicht wiederkamst, Skaskar, dachten sie alle dass ich mich aus Liebe zu Dir zurückgezogen hätte.“ Sie spuckte aus. „Ich wusste, wenn Du länger in den schwachen Lehen bleibst, wirst auch Du Dich irgendwann der Schwäche nicht mehr verschließen können. Sie ist wie die Keuche. Schleichend, unsichtbar, todbringend.“ Der Blick der Jägerin blieb an den Flammen hängen, ehe sie ihre Stimme senkte und in einem prophetischen Tonfall weitersprach, dem man ohne Mühe auch hätte abnehmen können, dass die Worte genauso auch für sie selbst galten. „Ich habe Dir ein Geschenk gemacht, Winterwolf. Ich habe die Schuld für mein Leben nicht nur zurückgezahlt, sondern auch beschlossen Dich von Deiner Schwäche durch Opfer aus Blut und Schweiß zu befreien. Wir sind gleiche Seelen unter dem Himmel unseres kalten Reiches, Skaskar und ich werde Dir helfen, zurück nach Hause zu finden. Wenn wir zusammen gejagt, getötet und gespeist haben, wirst Du Dein Erbe wieder spüren. Und du wirst es nie wieder verlieren. Vielleicht wirst du wanken, aber es wird Dich immer begleiten.“ Und düster fügte sie an:“Dafür werde ich Sorge tragen. Du bist nun an mein Leben gebunden, wie ich an Deines für eine halbe Ewigkeit gebunden war. Wir sind unzertrennlich, denn unser Erbe verbindet uns.“

Skaskar indes, blickte zu der steinernen Decke auf, die einstmals über den winterlichen Schlaf des nun toten Bären wachen sollte. Es war unzweifelhaft, dass er jedes ihrer Worte bereitwillig aufnahm, alleine schon wegen dem Kampfgeist, die sie in ihm weckten. Er hatte versagt – das hatte sie ihm nur allzu deutlich vor Augen geführt und Skaskar ließ eine derartige Scham nur ungern auf sich sitzen, vor allem nachdem die Worte, erst wie Nadelstiche, später wie Speerstöße zu dem Raubtier vorgedrungen waren, dass er in Servano stets in Ketten hatte legen lassen – allen voran den Ketten, die der Schneiderin gehörten. Frye hingegen, legte ihm keine Ketten an. Er war frei, sie machte ihn frei – wenn er auch schwach war. Ein Anfang. Nach einem langen Moment, in dem beide keinen einzigen Ton sprachen, rollten Skaskar schließlich die Worte über die Lippen, die den Schwur zwischen zwei Seelen erneuern sollte und damit der Zukunft jede Möglichkeit nahmen, irgendetwas von dem, was noch passieren sollte, zu vermeiden:“Für immer Nortgard, auf ewig Ulgard.“

Als der Krieger mit diesen Worten erneut in eine Episode des heilsamen Schlafes hinabglitt, konnte er noch sehen, wie die Züge der Jägerin ein zufriedenes Lächeln zeigten. Und gerade in dem Moment, da die Augenlider das Tor zum Licht des Lagerfeuers schlossen, konnte er in der aufkeimenden Dunkelheit erstmals wieder das Gefühl der Verbundenheit ertasten, dass ihn auf ewig an die Jägerin binden sollte.

[Bild: 182982__art-mountains-snow-cave-fire-viking_p.jpg]
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#14
Wann immer er sich im Kampf verletzte, wurde Skaskar Sturmschlag beschenkt. Nicht nur, dass sein Körper den Beweis führte, lebendig zu sein und mit jeder Faser seines Körpers durch das Aufwallen des Schmerzes seine Präsenz in das Hier und Jetzt schrie, nein. Auch der Prozess der Wundheilung noch, kam dem Krieger der Bescherung eines Fürsten gleich, der seine Untertanen mit Weisheit und Erkenntnis beschenkt. Jeder Kratzer, jede Schnittwunde war eine Lehrstunde im Makel einer sonst perfekten Choreographie im Töten, die Skaskar mahnen sollte, wo seine Grenzen liegen.

Frye hatte es vermocht, diese Grenzen nicht nur auszuloten, sondern in der Dämmerung seines eigenen Schmerzes auch die Pforte in eine tiefere Erkenntnis aufzustoßen, die alles Zukünftige überlagern sollte. Wenngleich der Krieger noch immer im Begreifen, im Erkennen war, erntete sein Leib bereitwillig die von der Jägerin geführten Früchte des Kampfes, indem der Winterwolf sich einer Bestie des Nordens nach der anderen stellte, während der Winter um sie beide seinen frostigen Griff immer stärker schloss. Mit Wohlwollen beobachtete seine Gefährtin, wie der Sohn des Nordens, wie man ihn später in den schwachen Lehen Amhrans nennen sollte, Hieb um Hieb wieder zu den Wurzeln seiner Heimat zurückfand. Skaskar hatte beim gemeinsamen Jagen und Töten immer wieder dieser passende Vergleich eines Muttertieres beschlichen, die ihrem Wurf, noch jung und unerfahren, die rechten Techniken im Stellen von Beute vermittelte und den Sprösslingen gleichermaßen die tiefere Erkenntnis über die Regeln der Natur beibrachte, zu der Stadtmenschen in aller Regel nicht mehr fähig waren: Sei stark oder ende als Beute.

Skaskar hatte mittlerweile das Gefühl dafür verloren, wie lange er und sie nun die eisige Ödnis des Nordens durchstreiften. Tage, Wochen, Monate – all' das hatte an Bedeutung verloren, wenn man sich von seiner Heimat prüfen ließ und am Ende des Tages noch lebte und sich am Lagerfeuer Geschichten alter Zeiten erzählen konnte. Eine dieser Geschichten war die Geburt von Aeiir und Iyri, von Entschlossenheit und von Treffsicherheit.

Keine Tradition des Nordreiches an sich, hatte sich doch in der Familie der Sturmschlags der Brauch gefestigt, dass eine Waffe wie der Spross von Mann und Weib, erst geboren werden musste um mit seinem Herrn eine unzertrennliche Einheit zu bilden. Und so gab es für die Sturmschlags stets einen festen Ritus aus dem Sammeln des Materials, aus dem eine Waffe später entstehen sollte, aus der Fertigung und der tatsächlichen Geburt, die das Mordwerkzeug durch den Kampf bezeugen sollte. Ein Schriftkundiger der Familie begleitete in aller Regel jeden Schritt auf diesem Weg und nachdem eine Waffe durch ihr Werden auch ihren Namen erhielt, wurde dessen Geschichte von ihrem Träger bewahrt und fortgeschrieben. Unsere Geschichte beginnt mit einer der wenigen Ausnahmen, in denen eine Sturmschlagwaffe nicht nur einen Namen erhielt und an eine Außenstehende gereicht wurde, sondern auch gleichzeitig mit einer anderen Waffe verbrüdert wurde. Während der Mann einen Rabenschnabel erhalten sollte, wie es Tradition war, wurde ein der Familie naher Bogner begleitet und betraut, für eine dem Hause nahe Frau einen Bogen zu arbeiten, der in Qualität den Stahlarbeiten der Sturmschlags in nichts nachstehen sollte.

Also machte man sich an die Arbeit. Die Chronik beider Stücke liest sich, so kann man mit Fug und Recht behaupten, wie das Entstehen von Bruder und Schwester, unzertrennlich und doch grundverschieden. Während das Erz für den Stahl des Rabenschnabels aus einer einzigen Ader geschürft wurde, die sich alleinstehend und auf sehr engem Raum durch den Berg zog, so schien sich das für den Bogen passende Holz förmlich dem betrachtenden Auge entziehen zu wollen und gleichwohl man zu diesem Zeitpunkt nicht viel aus dem Entstehen dieser eigentlich toten Gegenstände lesen konnte – zumindest sagen das Zweifler bis heute – konnten die Wahrhaften, nachdem man ihnen die Geschichte von Aeiir und Iyri erzählte, bereits hier sehen, dass mitunter die Waffen selbst vor ihrer Existenz zu wissen scheinen, wer ihr künftiger Herr sein wird.
So wird es kaum verwundern, dass der Rabenschnabel in einer einzigen Nacht und ohne eine Pause des alten Hrothgrim Sturmschlag gefertigt wurde, als sei der alte Sippenvater selbst getrieben, von den ominösen Kräften, welche die Familie ihren Sprösslingen in Stahl und Holz zudachten. Der Bogen indes, schien seinem Meister alles abzuverlangen und ihn lange und genau arbeiten zu lassen. Später würde er behaupten, es sei einer der besten Bögen gewesen, die er je gefertigt habe. Man wird jedoch vermuten dürfen, dass er das während seines Lebens diverse Male zu diversen Zeitpunkten gesagt hat, auch wenn die Arbeit dieses Urteil nicht wirklich unterstrichen hätte. In jedem Fall aber, so kann man sagen, waren die Sturmschlags und die spätere Trägerin des Bogens zufrieden mit der Arbeit.

Nachdem beide Waffen schließlich gefertigt waren, wurden die Waffenträger mit ihren Werkzeugen auf die Reise geschickt. Drei Tage im Mindesten, sollten sie eine Beute suchen, die es wert war, mit diesen Ergebnissen wahrer Handwerkskunst erlegt zu werden. Am Ende, so stellte sich heraus, sollte es der fünfte Tag sein, an dem er und sie der Fährte eines Wolfes gefolgt waren, der sich schlussendlich als gerissener aber auch weitaus überheblicher herausstellte, als er versuchte, sich die beiden Jäger als Beute zu nehmen. Im Bestreben, seiner Jagdgefährtin viele Schuss zu ermöglichen, zog der Mann, den man später als Skaskar Sturmschlag kennen sollte, immer wieder den Groll des Tieres auf sich, indem er entschlossen und furchtlos immer wieder den Kontakt zu dem garstigen Tier suchte und dabei diverse Bisse bereitwillig in Kauf nahm, bis schlussendlich ein einzelner Pfeil den Nacken des Tieres durchbohrte und sein Leben damit beendete. Der Geschichte nach, so überlieferten es die Waffenträger, war es der einzige Schuss, den Frye damals abgab und der den Wolf traf, als er auf den im Angriff befindlichen Skaskar zusprang. Ob ein Glückstreffer oder pure Übertreibung, das wird wohl außer den Waffenträgern nie mehr jemand sagen können. Die beiden hingegen, schrieben den gesamten Kampferfolg dem Vorhandensein ihrer mächtigen Waffen und der Tatsache zu, dass sie von nun für lange Zeit an sie gebunden sein würden.

So nannten sie den Rabenschnabel fortan Aeiir und den Bogen von Frye Iyri, die Waffen des Kriegers und der Jägerin, den Donner und den Blitz in den Urgewalten der Kämpfe, die sie damit noch lange Jahre nach der Waffenweihe entfesseln sollten.

Wieviele der Sturmschlagwaffen tatsächlich unter ähnlich erzählenswerten Umständen geschmiedet wurden, vermag heute kaum jemand mehr zu sagen – fest steht, dass ihren Geschichten nach, alle durch mindestens bemerkenswerte, zuweilen sogar heldenhafte Geschichten geboren wurden, welche die Familie Sturmschlag zweifelsohne zu einer Dynastie aus Helden gemacht hätte, entsprächen sie alle der Wahrheit. Aber – und vermutlich wussten dass die Träger der Waffen im Mindesten selbst – neigen sowohl Schreiber als auch die Überlebenden einer Geschichte bisweilen zu Übertreibung. Und sei es nur um die wirklich wichtigen Punkte einer Erzählung noch präsenter zu machen. In diesem Fall nämlich, war es im Grunde einerlei wieviel Wunden Skaskar erlitt, bevor die unerwähnte Schwäche in seinen Körper floss und ihn beinahe verbluten ließ und wieviele Pfeile Frye tatsächlich verschoss, bevor der eine Pfeil schließlich traf. Wichtig allerdings, blieb und würde immer bleiben, dass hier ein Band zwischen zweien gestärkt und neu geschlagen wurde, die einander nie wieder vergessen würden, selbst wenn eines Tages die Welt über ihnen im ewigen Eis Nortgards zum Stillstand kommen würde.

[Bild: eiswald-64025831-be66-4a70-a41a-2e3d0fdbf2c8.jpg]
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#15
Die Tage flossen förmlich dahin und ließen den Winter wie eine flüchtige Gezeit im Wechselspiel vom Hoch und Nieder der Jahreszeiten wirken, als des Hartung Tage sich dem Ende neigten und somit auch die dichtesten Schneestürme des Winters langsam verebbten und der klaren Sicht über das weite Land wichen. Skaskar lernte noch immer jeden Tag von Frye. Das Band seiner Heimat hatte wieder in seinem inneren zu pulsieren begonnen, wie ein zweites Herz. Das Schlagen übertönte die leere Hülle, als die er wiedergekommen war und in die er irgendwann wieder – ohne es jetzt schon zu wissen – zurückkehren würde. Bislang hatte sich der Krieger keine Gedanken mehr darüber gemacht, was aus jenen geworden war, die er zurückgelassen hatte und wenn er es heute tat, dann waren es Momente flüchtiger Verschwendung, die ihm wie etwas vorkamen, mit dem man sich selbst bei dem bloßen Gedanken daran nicht mehr beschäftigen wollte.

Frye hingegen hatte die Geschichten aus Servano und Löwenstein, dem Ursprung allen Übels, wie sie es für sich sehr treffend nannte, am Lagerfeuer wie die Erzählungen fremder Welten aufgenommen, in denen Dinge möglich sein konnten, die einem in der Heimat weder sinnvoll noch zweckdienlich erschienen. Sie beide wussten, dass auch in Nortgard die Körner in den Sanduhren seit vielen hundert Jahren anders liefen und selbst hier, in dem letzten Lehen, welches sich seine ursprüngliche Stärke bis zum Ende bewahrt hatte, bis der falsche Flammengötze Einzug gehalten und sie mit ihrer falschen Ordnung zu vergiften gesucht hatte. Das schlimme daran war, dass mitunter gute Menschen, ansonsten wahre Nortgarder, dieser widersinnigen Religion folgten und selbst Frye und Skaskar erkannt hatten, dass es wenig Sinn haben würde, offen gegen die Ordnung eines Königs zu rebellieren, der sich auf den Roten berief – denn am Ende, das musste man anerkennen, hatte er die alte Ordnung zu Fall bringen können. Dass die neue Fürstin Nortgards sich offen dagegen bekannt hatte, hatte jedoch Hoffnung aufkommen lassen. Nicht nur, dass die stolzen Männer und Frauen der Berge irgendwann ihre Unabhängigkeit wiedererhalten könnten, sondern dass auch der Einfluss des roten Giftes zurückgehen würde, weil man sich vielleicht auf die Pfade der wahren, der alten Götter besann.

Skaskar hatte dieser Tage oft die Geschichte von seinem Bruder erzählen müssen und wie sich ihm die Kräfte offenbarten, die ihn für immer an die alten Pfade banden. Frye hörte die Geschichte gerne und erklärte immer wieder, dass sie der beste Beweis dafür war, dass die Götter dem alten Blut Norgards stets wohlgesonnen sein und nicht vergessen würden, wie tapfer sie für ihr Reich und die alten Pfade stritten und es, wenn auch weniger offensichtlich, noch heute tun. Ihr Weg hatte sie beide bereits in den letzten Tagen wieder näher an Eisenheim herangeführt, wenngleich sie bis zur gemeinsamen Heimat noch viele Tagesmärsche vor sich gehabt hätten – selbst auf dem direkten Weg, den sie offensichtlich nicht nahmen. Obwohl die Schwäche der Flachländer erst aus seinen Knochen weichen musste, hatte der Streiter stets gewusst wo sie waren. Es waren an den ersten Tagen zwar nur verschwommene Erinnerungen der längst vergangenen Jugend gewesen, in denen sein Milizdienst in Eisenheim ihn nicht so oft an sein Dorf gebunden hatte, aber dennoch erinnerte er sich. So wusste er auch, dass Frye ihn zum Feld der begrabenen Seelen führte, einem Ort der, so erzählte man sich, nicht vielen unter diesem Namen bekannt war, diese wenigen dafür aber umso energischer darum stritten, ob es nun ein geweihter Ort der alten Götter oder des roten Emporkömmlings war.

Einer alten Sage nach, von der Frye und Skaskar nur mutmaßen konnten, wie weit sie überhaupt innerhalb Nortgards verbreitet war, befand sich an diesem Ort ursprünglich eine alte Stätte eines Druidenzirkels, welcher dem roten Emporkömmling zu Zeiten der Eingliederung Nortgards nicht nur mit Skepsis sondern auch offener Verachtung entgegentrat. Wenngleich es nie zu offenen, kriegerischen Auseinandersetzungen kam, die in Nortgard ohnehin zwischen den verschiedenen Lagern des Glaubens selten bis nonexistent waren, so baten sie an diesem Ort, dem Fuße eines alten Berges, von dem man sagte dass er einer der ersten war, welcher der Schöpfung entsprang, täglich darum, dass Sulis Mithras von seinem blasphemischen Thron stoßen und sich den Aspekt der Sonne und des Feuers wieder gänzlich zu eigen machen sollte. An einem schicksalshaften Abend jedoch, soll es ein einzelner Mithras-Priester gewagt haben, in den Kreis der versammelten Mondwächter zu treten und beim Antlitz seines flammenden Herrn geschworen haben, dass die Zeit der alten Götter vorüber und Mithras das einzig ware Licht gegen die Dunkelheit der Vergangenheit sei.

Bevor ein Druide reagieren konnte, so sagt man, habe der Berg selbst zu antworten begonnen, da sich sein Antlitz auftat und aus zahllosen Spalten seines steinernen Leibes Flammen und Fels emporgeschleudert wurden. Von der Macht der Naturgewalt schier überwältigt, weigerten sich sowohl Mondwächter als auch der einzelne Mithras-Priester, den Ort zu räumen, sahen sie dies doch beide als Zeichen ihres eigenen Götter- bzw. Gottvertrauens. Und während sich nach dem ersten Ausbruch noch geschmolzenes Gestein seinen Weg durch den Schnee schmolz und alle Druiden wie auch den Priester überrollte, beteten beide Gruppen inständig darum, der jeweils als Ketzer entlarvten Gegenseite das Lebenslicht auszublasen.

Ob es dieses Ereignis tatsächlich gegeben hat, vermag in der Tat keiner mehr genau zu sagen, da es weder Zeugen, noch schriftliche Überlieferungen eines solchen Ereignissen gab und man auch von keinem Zirkel berichten kann, der an jenem Ort jemals Fuß gefasst hatte. So blieb stets auch die Frage offen, wer denn in diesem Streit nun recht gehabt und wessen göttlicher Segen hier jetzt tatsächlich federführend gewesen sein mochte – wenn überhaupt. Einzig die merkwürdig schwarzen Gesteinsformationen am Berg, die auch im tiefsten Winter keinen Schnee tragen, lassen darauf schließen, dass unter dem Berg eine Hitze schlummert, für die es keine offenkundige Erklärung gibt, wenngleich Anhänger der Sage – und so auch Skaskar und Frye – davon überzeugt sind, dass es die flammenden Seelen der geopferten Druiden sind, die noch heute hier begraben sind. Sie zu entfesseln jedoch, so fürchten jene, welche diese seltene Erzählung weitertragen, würde auch ihren unbändigen Hass auf die Welt bringen, müssten sie doch sehen, dass Mithras noch immer in nahezu allen Lehen thront und seine Ordnung weiterhin als die Welt bestimmend anerkannt wird.

Als der Krieger und die Jägerin das Feld der begrabenen Seelen erreichten, trugen sie je eine tote Ziege auf den Armen, die sie dem Land entrissen hatten um ihre Leiber dem höheren Wohl der alten Pfade zu opfern. Wortlos und hinwendungsvoll ließen sie die Leiber am Hals ausbluten und auf das schwarze Gestein fließen, das sich, wie schwarze Beulen einer kranken, sterbenden Welt aus dem Schnee emporhob. Die Krankheit jedoch, da waren sich die beiden sicher, waren nicht die alten Pfade, sondern die Schwäche, die der Rote erst wieder in der Welt gestattet hatte.

„Ich weiß nicht wie Du es in diesem Blenderlehen ausgehalten hast.“ entgegnete Frye als sie das Feld auf der Suche nach einer Unterkunft wieder verließen. „Wir können froh sein, dass die Rotroben hier in Nortgard nicht so aggressiv sind, wie in Löwenstein, sonst müssten wir hier viele Friedhöfe anlegen – für Anhänger beider Glauben.“ Skaskar ließ ihre Worte in den Rücken der beiden Gefährten wandern und nahm sich betont viel Zeit für eine Antwort:“Du kennst Mithras-Anhänger, die gute Menschen sind, Frye. Genau wie ich. Beinahe jeder Bruder, den ich im Bund fand, sogar eine Erwählte des Roten, waren alles gute Menschen. Sie wurden nur in die falschen Familien geboren und haben entschieden, einer Lüge zu folgen. Wenn ihre Welt irgendwann brennt, werden sie sehen, dass ein Weg auf dem Pfad des Roten niemals ein Weg nach vorne ist. Und wenn sie das erkannt haben – wer wäre ich, ihnen die Möglichkeit zu versagen, sich vor unseren Göttern erneut zu beweisen? Sie sind wie Kinder, die noch lernen müssen, dass manche Beeren giftig sind und andere widerum sehr nahrhaft.“

Eine lange Pause folgte, wenngleich die Gesichtszüge der Jägerin, das dezente Lächeln des sonst konzentriert voranblickenden Ausdrucks, der kurze, aber vertraute Blick zur Seite, verstehen und sogar – und das war seit ihrem Aufeinandertreffen seltener – auch Erkenntnis andeuteten. Sie hatte eine andere Sicht auf die Dinge der Welt gelernt, die ihr in den Tiefen der eisigen Wildnis verborgen geblieben war und die man nur erlernen konnte, wenn man mit den Roten in ihrer Heimat getanzt hatte. „Ich hoffe, das bedeutet nicht dass du ihre Anwesenheit auf dem Antlitz unserer Heimat gutheißt, Skaskar.“ erwiederte sie schließlich, wobei der Wortlaut hörbar prüfende Töne angenommen hatte. „Sei' nicht albern.“ erwiederte Skaskar rasch. „Jeder Tag, an dem eine Rotrobe über unseren Boden schreitet, ist eine Beleidigung für die Götter, diejenigen die ihnen folgen und diejenigen, die sich der Zeit besannen, in denen Nortgard keinem König folgen musste, der in der Ferne Kriege führt. Aber wie schnell wäre mein Rabenschnabel ohne seinen Herrn, wenn ich jede Rotrobe in Hammerhall erschlagen würde, die ich sehe?“

Ein zufriedenes und ausnahmsweise ausgelassenes, leises Lachen ertönte als Frye seine Worte abnickte. Das Seelenfeld rückte mit jedem Schritt in weitere Ferne während sich die beiden Gefährten weiter scherzhaft über das Für- und Wider einer vollständigen Auslöschung jedes Mithras-Dieners in Nortgard ergingen. Einer der Vorteile, wenn man sich in einer Wildnis bewegte, sie so kalt und so lebensfeindlich war, dass man nur als jemand der dort aufgewachsen ist die Torheit besitzen konnte, sich im Winter dort hinauszuwagen, hatte hierbei mitunter auch seine Vorteile. Denn hätte ein Mithras-Diener, oder auch nur ein gesetzestreuerer Bürger diese Worte mitbekommen, so hätten die diversen, blasphemischen Äußerungen der beiden Nortgarder vermutlich Konsequenzen gehabt. Glücklicherweise, so betonten die Kreise derer, die wie die beiden Gefährten dachten, schien Mithras Licht nur dort, wo es jene gab, die seine Fackeln auch halten wollten. Das bedeutete jedoch nicht, dass die anderen Orte deshalb in Dunkelheit versanken, sondern nur dass das Licht dort nicht den Verstand der Gläubigen zu blenden versuchte.

Und obgleich dieser Tag wenige Ereignisse mit sich brachte, die später als Vorlage für weitere Legenden in den Tavernen Nortgards dienen sollten, hatte das Band des Kriegers und der Jägerin Stärkung erfahren, wenngleich beide wussten, dass sich ihre Reise – eine Pilgerfahrt durch die eisige Welt ihrer Heimat, sich langsam dem Ende neigte. Es war das diffuse Gefühl, das einen beschleicht, wenn einem bei Speis' und Trank am Feuer mit guten Freunden und vielen Geschichten klar wird, dass man diesen Moment nicht ewig wird festhalten können, diesen Moment, indem die Welt mit sich und ihren Bewohnern im Einklang scheint und dass der kommende Morgen wieder eine neue Realität bringen wird, in der jeder seine eigenen Lasten und Probleme schultern muss. Frye und Skaskar wussten, dass sie bald nach Eisenheim zurückkehren würden und keiner konnte genau abschätzen wie sie nach diesen Tagen der Einkehr mit der Welt außerhalb der frostigen Einöde umgehen würden, so verändert wie sie beide aus dieser kleinen Reise hervorgehen würden.

Dass die Reise jedoch noch einige Hürden für sie bereithalten würde, das hofften sie beide inständig. Denn noch war der Winter kalt und der Schnee beständig. Während der Weg der beiden sie also weiter durch die Landschaft ihrer Heimat auf der Suche nach einem Nachtlager führte, bemerkte keiner von beiden, nicht einmal Frye, die sonst so aufmerksame Jägerin, dass ihnen seit dem Feld der begrabenen Seelen beständig ein Begleiter auf vier Pfoten folgte und jeden ihrer Schritte aufmerksam beobachtete.

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#16
Die beiden Gefährten hatten sich entschieden, dass sie ihren Weg noch einmal verlängern würden, indem sie eine von Nortgards Bergspitzen, das Mantelauge, nicht über dessen Pass hinter sich lassen würden, sondern es auf einem weit weniger genutzten und unwegsameren Pfad umrundeten. Und was zunächst wie eine gute Idee geklungen hatte, entpuppte sich jedoch bereits nach dem ersten Tag der Wanderschaft als ein Tanz mit den Göttern.

Ein Schneesturm war aufgezogen und hatte nicht nur die weitere Kälte mit sich gebracht, sondern auch die Sichtweite gefährlich reduziert. Das Mantelauge hatte seinen Blick auf die beiden Streiter gerichtet und blies erbarmungslos auf die Nordkrieger herab, als wolle es sie für ihre Unverfrorenheit, länger als nötig in der Eiswüste des Nordens zu verweilen, strafen.

Und der Sturm hatte noch lange nicht vor, abzuklingen. Ein Heulen aus der Ferne hob an, das Lied des Windes, so wunderschön, dass schon so mancher den Tod in dem eisigen Griff eines Sturmes fand, weil der Gesang der Naturgewalt ihn förmlich paralyisierte, bis das Eis seine Glieder vollständig durchdrungen hatte. Der Himmel sang, die Krieger trotzten und in der Ferne antwortete ein vierbeiniger Verfolger dem Ruf der Schneefolter. Frye und Skaskar erstarrten auf den zweiten Ruf, das zweite Heulen aus der Welt der Lebenden, das dem Tod bezeugte, was hier zu holen war. Während so mancher in diesem Augenblick möglicherweise Panik und Todesangst verspürt hätte, blickten die beiden Krieger weder missmutig, noch angstvoll in die weiße Flut vor ihnen – nein, sie erstarrten, hoben ihre Köpfe und sahen, nach einem kurzen Blickwechsel in das weiße Treiben um sie herum. Eine Aufwogen, warm, die Sinne schärfend und die feuchten Nackenhaare aufrichtend, durchfuhr Skaskar – das Gefühl, dass einen beschleicht, wenn man von Feinden umringt ist, ohne sie zu sehen, von der Sicherheit erfasst, ein Gejagter, eine Beute zu sein. Der Blickwechsel mit Frye sagte ihm, dass sie ebenso empfand – und was wie eine todbringende Eingebung wirken musste, stärkte beide Krieger. Denn irgendwo in diesem Schneetreiben war etwas, dass man bekämpfen konnte, ganz im Gegensatz zu der sie umhüllenden Naturgewalt. In diesem Kampf, erschwert durch der Götter Willen, lag Ehre und – so die Götter auch das wollten – ein glorreicher Tod.

Sie beide rückten enger zusammen, packten einander an den Armen und suchten den Weg zur Felswand, der besten Möglichkeit auf eine Spalte oder einen Höhleneingang, der ihnen die Gelegenheit geben würde, das Unwetter zu überstehen. Kein Wort drang über die Lippen des Zweigespanns, als sie sich der Felswand näherten, der Schemen im Gestöber der weißen Gewalt sich immer deutlicher abzeichnete. Die Kälte begann bereits durch die Kleidung und an ihre Leiber zu dringen, während sich sowohl Frye als auch Skaskar immer wieder wachsam umsahen, während das Heulen sie unablässig weiter besang. Eine Todesfee in weißem Kleid lud förmlich zu einer Hochzeit, in der Leben und Tod sich vermengen und noch in der gleichen Nacht einen furchtbaren Spross zeugen würden, wenn sie nicht bald eine Möglichkeit fanden, Schutz zu suchen.

Skaskar spürte, wie Fryes Hand seinen Arm stärker umgriff, sich förmlich in ihn hineinkrallte. Sie wusste, genau wie er, dass dies ihre letzten Augenblicke miteinander sein könnten, bevor sie zu kalten Statuen im Schnee – oder Wolfsfutter – werden würden. Und doch gab es keine Angst, nicht einmal jetzt. Skaskar hatte, nachdem er die Reise im Wissen begann, dass er die Bindung zu seinen Ursprüngen verloren glaubte, wieder zurück zu seiner Heimat gefunden. Sein ganzer Leib bäumte sich unter der auf ihn eindringenden Witterung auf und konnte vor allem deutlich machen, dass er niemals kampflos aufgeben würde. Wenn er sterben würde, war er es der Wille von Göttern und Land, denen er sich, kleine sterbliche Kreatur, die er war, nicht entgegenstellen konnte.

„Wolf..!“ riss der laute, in den Wind gebellte Ruf seiner Begleiterin des Kriegers Kopf zur Seite. Frye, die selbst im dichten Schneegestöber bessere Augen bewies, war, zum Ziel eines sich schnell nähernden Schemen geworden, den Skaskar mit Mühe ebenfalls als Vierbeiner identifizierte. Es blieb nicht viel Zeit für eine Absprache oder dergleichen und da Skaskar an den Armen deutlich mehr Rüstzeug besaß als Frye, riss er sie zur Seite und brachte seinen Arm auf Höhe des auf ihn zuhechtenden Tieres. Sich selbst verfluchend, dass er zu langsam reagiert und somit nicht mehr genügend Zeit zum Ziehen einer Waffe gehabt hatte, drückte er dem Tier den Unterarm förmlich in den Kiefer. Der weißfellige und auffällig abgemagerte Vierbeiner verbiss sich sofort in den Arm des Kriegers. Die Reißzähne durchdrangen die bereits geschundene Rüstung an einigen ramponierten Stellen. Ein erneutes Aufwallen, warm und einem Weckruf gleich, schoss durch seine Glieder, von dem Arm ausgehend. Skaskar hob den Arm und damit auch den verzweifelt an seiner Beute festhaltenden Vierbeiner leicht an und brachte den Arm im Anschluss in einer starken Schleuderbewegung in Gegenrichtung – erfolglos.

Der Vierbeiner hing weiter am Arm des Kriegers, knurrte sogar noch beharrlich – ein Augenblick in dem sich der Blick des Tieres und der Blick des Kriegers trafen, zwei Kinder des Nordens, so unbeugsam wie furchtlos und absolut sicher, dass keiner von beiden nachgeben würde. Es war dieser eine Augenblick, in dem der Sturm für einen Moment vergessen geglaubt, der aufkeimende Schmerz im Arm nicht existent und die Zeit dieser Welt angehalten schien und zwei so verschiedene Kreaturen und doch verwandte Seelen einander im Kampf um das jeweils eigene Überleben begegneten, bis ein Dolch von Skaskars Seite, geführt durch seine Gefährtin, das Fell des Tieres durchdrang und es aufjaulend abspringen ließ. Seine Gefährtin griff selten in derartige Kämpfe ein und auch hier hatte sie dem Tier keine lebensbedrohliche Wunde beigebracht. Es war ein oberflächlicher Schnitt gewesen, kaum genug um die dicke Haut des Tieres tief zu durchdringen – aber möglicherweise genug, um beiden die Gelegenheit zu geben, sich in Sicherheit bringen.

Während der Wolf wieder mit dem Schneegestöber verschmolz, übernahm Frye die Führung – denn Skaskar richtete den Blick nach wie vor immer wieder in die Richtung, in die das Tier verschwunden war. Wäre es gnädiger gewesen, dem abgemagerten Wolf direkt das Lebenslicht zu nehmen? Die blutigen Rinnsale, die sich aus den kleinen, punktierten Wunden den Weg an die Luft suchten und die Haut brennen ließen, vermittelten ein Gefühl, als hätte er etwas unerledigt gelassen oder schlimmer, als hätte er zwei Dinge voneinander entfernt, die eigentlich gottgewollt zusammengeführt worden waren.

Als Skaskar seinen Blick wieder nach vorne richten wollte und die Gedanken an die kurzlebige Begegnung mit dem einsamen Jäger wieder dem Überlebenswillen Vorzug gaben, erstarrte er erneut und riss Frye einmal mehr zu sich. „Warte!“ herrschte er seine Begleiterin an, als sich der Krieger der Felswand etwas weiter näherte. Durch den dichten Mantel aus miteinander verwobenen Flocken lugte etwas, das nach Holz aussah. Mit der Hand des unverletzten Armes begann Skaskar zwischen zwei Bretter zu greifen und tatsächlich löste sich bald schon morsches Holz. Die beiden Streiter wechselten erneut und hastig Blicke, als sie begannen, den Eingang einer alten Mine freizulegen.

Das Heulen und Tosen des Sturmes ebbte zusehens ab, je weiter die beiden Wanderer in die Mine eindrangen. Bislang wirkten zumindest der Eingangsbereich und eine Abzweigung direkt dahinter stabil und trocken genug, um ihnen als Unterschlupf und Nachtlager zu dienen. Außerdem gab es auch keine Hinweise auf Bären oder sonstige Wildtiere – was angesichts des vernagelten Einganges auch ein Wunder gewesen wäre. Und die Überreste einer alten Lore enthielten sogar genug Holz, um daraus ein kleines Feuer zu entfachten, dass zumindest eine Weile etwas Wärme spenden würde.

Während Frye das Feuer entfachte, begann Skaskar auf dem improvisierten Nachtlager die Reste seines Rüstzeuges zu entfernen, die vorher seinen Arm bedeckt hatten. Der Wolf war in der Tat nicht weit durchgedrungen. Der Krieger entzweite einige Stofffetzen und wollte sich soeben daraus eine improvisierte Bandage fertigen, als sich eine Hand seiner Gefährtin auf den Unterarm legte.

„Warte.“ sprach Frye gedämpft. Die Stimme, umrahmt vom fernen Tosen des Sturms, hatte etwas ruhiges, sogar sanftes. Skaskar blickte zunächst nur auf die Hand seiner Begleiterin, ehe er die Situation in ihren Augen zu taxieren versuchte. Frye hingegen, lächelte nur auf eine so vielsagende und so weise Art und Weise, während sie sich eine durch den Sturm gelöste Strähne aus dem Gesicht strich, neben ihm auf die Knie ging und die Finger unter den verletzten Arm legte. Anschließend brachte sie ihre Lippen auf die Wunden. Zunächst sog Frye, zweckmässig und pragmatisch veranlagt, das was sich an Wolfsspeichel noch aus den Wunden gewinnen ließ und spuckte die Masse aus Blut, eigenem und Wolfsspeichel beiseite. Dennoch setzte Frye erneut an, diesmal jedoch sanfter den verletzten Arm des Kriegers mit ihren Lippen und geschlossenen Augen liebkosend, ehe sie letztere öffnete und zu Skaskar hinauf blickte, nur um kurz darauf fast schon neckisch in den Arm zu beissen und eine leichte Schmerzwoge durch seinen Körper zu senden.

Und während die Jägerin und der Krieger im Begriff waren, sich einander hinzugeben, sang der Himmel weiter unablässig sein Lied – wenngleich darin nun etwas enttäuschtes mitschwang, denn mindestens zwei Seelen waren seiner Einladung nicht gefolgt und nur eine blieb noch übrig, die auf vier Pfoten, geschwächt und verletzt dem vagen Lichtschein folgte, der durch das dichte Gestöber am Rande des Berges auszumachen war.

[Bild: snowstormaa.jpg]
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#17
"Wenn ich vergehe, will ich wieder ein Teil des Landes werden, dass mich geformt und dessen stolzer Sohn ich geworden bin. Mein Fleisch soll von meinen Knochen verwesen, wenn es nicht den hungrigen Tieren der Berge als Nahrung dient, meine Knochen sollen porös werden und sich in alle Winde zerstreuen, so dass ich eines Tages im gesamten Nordlehen verteilt bin.

Ich kehre zurück in den weiten Himmel, dessen Odem ich täglich durch meine Lungen fließen ließ.
Ich kehre zurück in die Erde, dessen Pfade mich bis in die letzten Winkel Amhrans trugen.
Und ich verlasse die Welt dazwischen, die sich die Lebenden Untertan gemacht haben, allen voran die Ulgard, deren Erbe niemals vergessen werden soll."


"Doch dieser Tag ist nicht heute." kam die Antwort seiner Gefährtin, deren nackter Leib an den des Kriegers geschmiegt war und sie aus dem Schutz und der Wärme seines Leibes heraus das prasselnde Feuer betrachtete, dass schon bald als einzige Wärmequelle versiegen würde, die sich den beiden Nortgardern in der alten Mine geboten hatte. Es hatte immerhin nicht nur dazu gereicht, sich aufzuwärmen und zu trocknen, sondern sich auch einander hinzugeben. Zwei Leiber ineinander verschlungen, hatten die Jägerin und der Krieger sich geliebt, während außerhalb der Mine ein Schneesturm seinem eigenen Land den Krieg erklärt hatte.

Es war nicht nur so, dass sich eine lange füreinander empfundene Leidenschaft entladen und die beiden zueinander geführt hatte – nein, es war vielmehr ein Bund gewesen, den beide mit dieser Nacht, mit diesem Akt fleischlicher Hingabe besiegelten und ihn wild, rau und leidenschaftlich feierten. Keine Kontur der beiden Körper, die nicht unentdeckt geblieben war, kein Muskel, kein Stück Haut, dass nicht eine Form der Liebkosung erfahren hatte. Für Skaskar und Frye war dieser Moment vermutlich der heiligste Augenblick ihrer langen Reise gewesen, die nicht erst mit dem kürzlichen Verlassen Eisenheims begonnen hatte. Keiner der beiden würde jemals aussprechen, welches tiefe Band, welche Einheit sich zwischen beiden aufgebaut hatte, denn es gab, dessen waren sie sich absolut sicher, keine Worte, die einer Beschreibung auch nur nahe gekommen wären.

Hätte man es Liebe genannt, wäre es eine Beleidigung, allenfalls der Schatten einer Facette des großen Ganzen gewesen. Nein, Skaskar und Frye, sie beide wusssten, dass sie viel mehr als nur das teilten. Es brauchte nicht mehr als die wenigen Momente, nachdem sich der Krieger in seine Gefährtin in einem Aufbäumen der Lust ergossen und die Augenblicke danach im Stillen Zwiegespräch ihrer Blicke zugebracht wurden, um einander diese Wahrheit zu schenken.

Es war wie eine Erkenntnis, die sie beide vom Anfang der Reise mit sich wie eine unsichtbare Last getragen hatten und die sich im Lösen ihrer Fesseln nun nahezu aufdrängte. Es würde der Tag kommen, da sich ihre Wege trennen würden, damit es eines Tages ein erneutes und hoffentlich finales Wiedersehen geben konnte.

Doch das waren Gedanken, die erst am nächsten Tag wieder Gewicht haben würden. Denn dieser Ort, diese Zeit, gehörte nur den beiden – den letzten selbsternannten Erben des wahren Volkes. Und während beide einander ihren Gedanken nachhingen, den Frieden und die Eintracht genießend, die so flüchtig wie das Flockenmeer des tobenden Sturmes waren, wussten sie nicht, dass ihr Begleiter auf vier Pfoten fast den Eingang der Höhle erreicht hatte.

Man mag nur vermuten, was den Wolf inmitten des Unwetters getrieben haben mochte und mit Hunger lag man vermutlich kaum falsch. Was auch immer ihn seines Rudels beraubt und ihn darben ließ, konnte man nur erahnen. Sicher jedoch war, dass die Mine für den Vierbeiner in gleichem Maße Überleben hieß, wie für die beiden Menschen, die er sich leichtsinnig als Beute auserkoren hatte. Und er würde klug genug sein, lediglich Unterschlupf an diesem Ort zu suchen, den die Menschen beherrschten, in der leisen Hoffnung, dass man ihm seinen Angriff nicht vergelten würde. Der Eingang war bereits sichtbar. Das Feuer förmlich spürbar, genau wie die Müdigkeit und die Erschöpfung. Und so kam es, dass der letzte Gedanke des einsamen Wolfes der war, dass er es fast geschafft haben würde und ein weiterer Tag gewonnen war, als eine Speerspitze den Leib des Tieres durchbohrte und ihm in wenigen Atemzügen, die nicht einmal das Aufkommen von Verwunderung und Überraschung, nicht einmal das Aufkommen von Schmerz zuließen, das Leben raubte.

"Der Weg ist frei, Euer Gnaden! Es droht keine Gefahr!" bellte eine Stimme durch das dichte Schneetreiben. Und erst langsam zeichneten sich drei rote Silhouetten ab, eine davon berobt, die anderen in schwere Mäntel und Rüstzeug gehüllt, die sich dem Eingang der Mine näherten. Einer der Krieger nahm den toten Leib des Wolfes auf und kommentierte:"Nicht viel dran, aber wird für eine Mahlzeit reichen." ehe der Tierkadaver geschultert wurde. Indes hielt die Gruppe weiter auf den Eingang der Mine zu.

Skaskar und Frye indes, hatten die Köpfe gehoben, als sie Stimmen im gedämpften Tosen des Sturmes zu vernehmen geglaubt hatten und richteten den Blick auf die Biegung, hinter der der Eingang zur Mine lag.

"Mithras bewahre, dieser Sturm war von den alten Göttern geschickt um den Herrn zu verhöhnen!" fluchte der Berobte, als er mit den beiden Sonnenlegionären die Mine betrat. "Wenigstens schickte uns der Herr euren treffsicheren Speer, so dass wir immerhin eine dürftige Mahlzeit jagen konnten, Ehrwürden Brychh." Ein milde zufriedenes Grunzen folgte von dem Krieger, der den Wolf erlegt hatte, gleich nachdem der Novize der Legion, der den Wolf schultern durfte, eifrig zur Bekräftigung der Worte genickt hatte. Erst das Tapsen nackter Füße ließ die drei Mithras-Diener den Blick in das Innere der Mine richten, wo – für die drei Männer mehr als plötzlich – ein nackter, muskulöser Nortgarder stand, der zunächst verdutzt den Blick auf die Gruppe und mit wachsendem Unbehagen auf den toten Wolf richtete.

"Bei Mithras! Bedeckt Euch, Wilder!" entfuhrt es dem Priester, während sich der ebenfalls nackte Leib von Skaskars Gefährtin hinter diesen schob und die Szenerie ebenfalls zu beobachten begann. "Und ihr Weib, erst recht! Bei Mithras, was für ein Glück dass wir Euch das Licht des Herren und vor allem die Zivilisation aus dem Herzen des Reiches bringen!"

Die ersten zwei Worte pochten wie ein Echo im Kopf des Nordmannes. "Bei Mithras!" pochte es immer wieder in Skaskars Kopf, wie ein Takt, ein Klopfen, den man nicht loswird, während er weiter gebannt auf das tote Tier starrte. "Bei Mithras!" pochte es weiter. Gefolgt von einem Kanoismus, der immer wieder "Bedeckt euch!" und "Wilder" posaunte. Ein Stimmengewirr, die für den Krieger wie Beleidigungen, ja sogar wie Frevel klangen, hier im Herzen seines Landes, dessen Kinder diese Rotröcke wie Schlachtvieh über ihrer Schulter trugen. Eine Hand des Kriegers griff hinter die Biegung, was die beiden Kämpfer alarmierte. "Haltet ein und zeigt was ihr dort habt, Nortgarder!" rief der Ältere, während der Jüngere, der Novize, den Wolf wie Beiwerk fallen ließ und eine Hand an sein Schwert legte.

Noch heute hörte Skaskar das leblose Aufklatschen des Wolfes, wenn er an diese Situation zurückdachte und wie geschändet es ihm vorgekommen war, diesen Räuber, dessen Geschichte er niemals hatte lernen können, zu diesem leblosen Haufen Fell und Fleisch reduziert zu sehen und dessen starres Augenpaar einzig noch sagen konnte:"Fast. Fast hätte ich es geschafft." Als er mit Aeiir in der Hand einen Schritt auf die Gruppe zumachte, herrschte der Legionär ihn erneut an:"Fallenlassen, Nortgarder. Oder du und dein Weib werdet hier sterben, so wahr es der Wille des Einen ist!"

Ein Knurren war zunächst die einzige Antwort des nackten Kriegers, der kurz darauf mit einem Satz auf die kleine Gruppe zusprang. Der Legionär, zweifelsohne kampferprobt, hatte den Sprung vorausgesehen und stach in Richtung des Kriegers, der zu dessen Überraschung jedoch nicht zu einem Schlag angesetzt, sondern den Speer beiseite geschlagen, nach dessen Stange gegriffen und den Krieger damit nun nah zu sich herangezogen hatte. Noch bevor dessen Novize ihm zu Hilfe eilen konnte, rammte Skaskar seinen Schädel auf den Kopf des Legionärs, so dass dieser benommen zur Seite taumelte und nicht kommen sah, dass Skaskars Rabenschnabel ihm seitlich den Schädel zertrümmerte. Als Blut und Hirnmasse seitlich aus dem Kopf des Legionärs wie aus einer geplatzten Weintraube schossen, brüllte der Krieger den beiden verbliebenen Rotroben entgegen:
"Ehre für die Stämmme, Ehre für das wahre Nortgard, nieder mit dem falschen Götzen!"

Der Priester versuchte noch, nun von Furcht übermannt, aus der Mine zu fliehen, als ihn ein Pfeil im Unterschenkel traf, der aus dem hinteren Teil der Mine an Skaskar vorbeigeflogen war. Während der Priester noch im Fallen wimmerte und sich dennoch, entschlossen, dieser Todesfalle zu entkommen, kriechend in Richtung Ausgang bewegte, stand der Novize dort: Unschlüssig, ängstlich, überfordert.

Skaskar, von einem Augenblick der Generosität übermannt, nahm den Speer des Legionärs und beendete das Hadern des Novizen, indem er den Speer einmal in einem einzigen, todbringenden Stoss durch seinen Körper trieb. So blieb dem Novizen am Ende nur die eine Option: Keuchen und dabei zusehen, wie der eigene Lebenswille mit dem wachsenden Blutmangel konkurriert und tatenlos beobachten, wie der nackte Krieger, den sie für einen unzivilisierten Wilden gehalten hatten, dem davonkriechenden Priester den Schädel einschlägt. Wieder. Und wieder. Und wieder.

Und als die letzten Augenblicke des Novizen anbrachen, hörte er das leise, beinahe liebevolle Säuseln der nackten Frau, die nun neben ihm stand und ihm beim Sterben zusah:

"Du wirst hier sterben, mein Junge. Du wirst nicht zu deiner Kirche zurückkehren, Mithras kann dir nicht helfen und wir brauchen auch keine Rotroben um unsere Fackeln zu entzünden.

Dein Fleisch soll hier verwesen, aber es soll keinem Tier als Nahrung dienen.
Deine Knochen sollen hier porös werden, aber ihre Asche nicht vom Wind davon getragen werden.
Du kehrst nicht zurück in die Himmel, die dir den Odem schenkten,
noch kehrst du zurück in die Erde, über die dich deine Füße trugen.

Denn die Welt dazwischen hat dich längst vergessen."


Dann wurde es schwarz um den Novizen.

[Bild: maya-massengrab-unibonn-500x300.jpg]
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#18
Die Sonne hatte sich bereits über den Gassen Löwensteins gezeigt und begann soeben, ihre Morgenröte abzustreifen und den sonst blauen und wolkenlosen Himmel mit ihrem Glanz kraftvoll in Szene zu setzen. Vögel zwitscherten von Dächern und Giebeln ihre Lieder und die Ratten, gierige Bewohner der nächtlichen Schatten der Hauptstadt, waren bereits in die Aborte der Kanalisation zurückgekrochen.

Während das geschäftige Treiben in der Stadt langsam einsetzte, öffnete Streiter Brychh seine Augen schlagartig als ihn das Pflichtgefühl wie eine strenge Hand aus dem Schlaf schüttelte und er sich noch im Aufwachen bereits im Bett aufgesetzt hatte. "Verdammt, die Priesterschaft wird mich öffentlich auspeitschen lassen!" fluchte der Sonnenlegionär, während die Frau neben ihm langsam zu sich kam und unter der Decke viel zu wenig Kleidung trug, um die Situation auch nur entfernt frömmig wirken zu lassen. Der Legionär indes, war beschäftigt, seinen eigenen Mangel an Kleidung zu beseitigen und hastig hinzuzufügen:"Und das nicht nur weil sie möglicherweise sehen könnten, dass ich dein Heim verlasse!" Die Frau indes, betrachtete den Krieger milde amüsiert und offenbar selbstsicher. "Sie haben es nicht gemerkt, seit du ein Novize warst, Regan. Sie werden es auch jetzt nicht merken."

Für einen Moment blickte der Kämpfer für den Zweck der Kirche konstaniert und zornig zugleich zu der Frau, mit der er eben noch die Nacht verbracht hatte, seufzte dann jedoch resignierend aus. "Wie auch immer. Zumindest werden sie mich nicht geißeln, wenn ich es noch rechtzeitig zur Kirche schaffe. Dann bleibt nämlich nur noch für die Abreise Zeit." Die blauen Augen der jungen Frau musterten den Krieger eine Weile – nicht besorgt, wohl aber mit mildem Missfallen. "Wie lange wirst du fort sein?" fragte sie schließlich. Eine Frage, die sie lange zurückgehalten hatte. Es gab zwischen ihr und Regan Brychh eine Übereinkunft, dass Kirchenangelegenheiten stets indiskutabel waren. Sie hatte nie den Mut gehabt, nach dem Grund für diese, zugegeben einseitige Vereinbarung zu fragen, vermutete aber, dass der Sonnenlegionär Mithras' Blick nicht auf Dinge richten wollte, die ihm durch die Legion verboten worden waren.

"Khristin.." kam es gequält und mahnend zugleich. "Wie lange?!" forderte sie ein. "Einige Monde vielleicht. Nortgard ist weit, aber wir werden vor dem Winter zurück sein." Ein tiefes Seufzen ihrerseits folgte nun. "Und gibt es keinen anderen, der.." "Es reicht!" schnitt Regan ihr das Wort recht bestimmt ab. "Ich bin für diese Reise ausgewählt worden und es ist eine große Ehre seine Gnaden in das Nordlehen zu begleiten. Außerdem werde ich dort wohl kaum viel zu befürchten haben. Die Nortgarder haben den Mithrasglauben gut angenommen, wie es heisst."

Damit war das Thema beendet und Schweigen setzte ein, bis Regan seine Habe zusammengesammelt hatte und im Begriff war, das Haus zu verlassen. Khristin, die Regan Brychh sogar mehr liebte als Mithras selbst, eine Tatsache die er niemals, nicht einmal ihr gegenüber offen aussprechen durfte, hatte sich mittlerweile ein Laken um die Schultern geworfen und hauchte dem Krieger noch einen Kuss auf die Lippen, bevor er das Haus verließ. "Vergiss mich nicht, stolzer Krieger." waren ihre Worte, die sie ihm stets mitgab, wenn er sie verlassen musste. "Niemals, so wahr Mithras mein Zeuge sei." antwortete er, wie er es immer tat. Dann trennten sich ihre Wege – für immer, wie sich später herausstellen sollte.

Der Legionär erreichte den Tempel der Kirche eben noch rechtzeitig und sein Novize, ein tüchtiger Bursche in dem das Feuer des Glaubens noch hell entfacht schien, hatte zu siner Zufriedenheit alle Vorbereitungen getroffen.

"Schön, dass ihr euch zu uns gesellt, Ehrwürden." mahnte die Stimme des Priesters. Eine milde Schelte, die er angesichts dessen, was ihn anderweitig erwartet hätte, gerne auf sich nahm. "Entschuldigt, euer Gnaden. Es wird nicht wieder vorkommen." "Das will ich auch hoffen. Was für ein Beispiel gebt ihr ab, wenn euer Novize pünktlicher ist, als ihr. Betet, dass Mithras euch ein besseres Zeitgefühl eingeben möge." "Natürlich, euer Gnaden." folgte die geflissentliche Antwort, wenngleich Regan insgeheim die Worte "Aufgeblasener Popanz" dachte. Von allen Priestern, die man nach Nortgard hätte entsenden können, um sich der Sache der Kirche zu versichern, hatte man ausgerechnet den jüngsten und unerfahrensten Priester ausgewählt, der dafür bei jeder Gelegenheit seine Überlegenheit in der Kirchenhierarchie durchscheinen ließ. Regan hatte mehr Prüfungen bestanden und mehr Ungläubige gerichtet, als dieser junge Mann vermutlich jemals zu Gesicht bekommen würde und dennoch gebot es das Gesetz der Legion, ihm stets Schild und Stütze zu sein.

Nachdem der Legionär die Vorbereitungen seines Novizen überprüft, die Vorräte gesichtet und alles für ausreichend befunden hatte, setzte sich der kleine Tross in Bewegung. Einzig der junge Novize war gebürtiger Nortgarder und sowohl für den Priester als auch Regan war es eine Reise in ein unbekanntes Lehen. Die direkte Nähe zu Silendir und die große Entfernung zu Löwenstein machten es jedoch umso wichtiger, von Zeit zu Zeit eine Delegation dorthin zu entsenden, die sich davon überzeugte, dass man Mithras auch im den Berglehen Amhrans nicht vergass.

Als sie die Grenze zu Hohenmarschen passierten, sah Regan bereits, dass der Priester bereits begann, sein Pferd näher an die beiden Krieger zu führen. Dieses offenkundige Zeichen von Angst, zumindest aber Unbehagen, ließ Brychh unwillkürlich milde Lächeln. "Der Panzer des Glaubens ist bisweilen doch nur dann undurchdringbar, wenn man sich im Schutz der heiligen Mutter Kirche wähnt." dachte der Streiter bei sich, gleich gefolgt von dem Gedanken, wann er begonnen hatte, so abfällig über einige Diener der Kirche zu denken. Vielleicht, so dachte Regan, war es doch wahr, was die Priester über die Hingabe zu den Weibern sagtenConfusedie lenkten ab und ließen die sonst so makellosen Streiter bisweilen Zweifel hegen, wo sie ohne sie ein standhafter Schutzschild der Kirche gewesen wären.

Vielleicht war das der Grund gewesen, warum die Wahl auf Regan und seinen Schildträger gefallen war. Vielleicht hatte Mithras in seiner unendlichen Weisheit vorausgesehen, dass der Krieger nur im fernen Norden wieder zurück zu seinem Glauben finden konnte.

Dass sie in den Schneewehen des Nordens zuerst ihre Pferde und schliesslich alle ihr Leben verlieren sollten, diese Aussicht kam keinem der drei Männer zu diesem Zeitpunkt in den Sinn. Als sie Tage später die Grenze nach Nortgard überquerten, lag Brychh noch immer im Widerstreit mit sich, ob er sich die Gedanken an seine Khristin gestatten durfte oder ob es besser für ihn und seinen Dienst an Mithras war, sie zumindest für diese Mission gänzlich zu vergessen. Doch egal wie sehr er sich anstrengte, seine eine Liebe kehrte stets in seine Gedanken zurück. Und noch bevor die Delegation der Kirche in den Sturm geraten sollte, hatte Regan entschlossen, nach Beendigung der Reise den Dienst an der Kirche niederzulegen, um die längst überfällige Entscheidung zu treffen, seine Khristin zu ehelichen.

Vielleicht würden sie einen Hof bewirtschaften, Kinder kriegen und zusammen alt werden. Ja, das waren gute Gedanken und eine Zukunft mit der er leben konnte.

Als der Schneesturm, in den die Gruppe von Mithrastreuen ein gutes Stück weiter auf ihrer Reise geraten sollte, sich verzogen hatte, verließen Skaskar und Frye die Höhle. Der Krieger hatte dem toten Wolf das Fell abgezogen und es sich um den Arm geschlagen, an dem sein Rüstzeug förmlich auseinandergefallen war. Sie beide blickten über die nun weite, weiße Ödnis, die sämtliche Spuren von Mithras-Dienern, Wölfen und Nortgardern weggewischt und mit Schneewehen bedeckt hatte. Die Welt wirkte wieder mit sich selbst im Einklang, gerade so, als hätte sie sich selbst neu geboren und lud die Sterblichen, die ihr Unwetter überstanden hatten, dazu ein, das "neue" Nortgard zu erkunden.

Nachdem sie die Überreste des Vierbeiners vor der Höhle gleich einer Opfergabe abgelegt hatten, blickte Frye über die Schulter, zurück in die alte Mine, die von Mithras-Dienern zunächst für einen Segen ihres Gottes gehalten wurde und sich recht schnell als Todesfalle entpuppt hatte. "Ich frage mich, wen sie in der Heimat zurücklassen." Nun war es Skaskar, der milde, beinahe väterlich lächelte, als hätte Frye etwas sehr naives gesagt.

"Nur Beute, Frye. Nur Beute."

[Bild: t64f089_frau-strand--meer-einsamkeit-melancholie.jpg]
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