"In der Fremde"
#5
Zu Beginn des fünften Jahres fernab meiner Heimat holte mich das Pech endgültig ein.
Hatte ich mich bislang als Harpunier an Bord von Walfängern oder als Vollmatrose auf Fisch-Kuttern und Handels-Schiffen durchschlagen können - in schlechten Zeiten ergänzt durch Arbeit in den Docks und gelegentlichen Schmuggel - war es damit Ende 1399 vorbei.
Reederei um Reederei, Kontor um Kontor hatten mit den Jahren zugemacht, waren Opfer des Krieges und der schlechten Konjunktur geworden. Zuerst gab es nur weniger Schiffe, kein großes Problem, man fand einfach nicht jede Saison einen Kapitän, der einen anheuern ließ. Einfach ab zu den Docks oder mit den Jungs aus dem alten Hafen ein paar krumme Dinger drehen...
Ende 1399 allerdings gab es nicht mal mehr ein verdammtes Schiff, das ausgelaufen wäre; mal abgesehen von den ganzen beschlagnahmten Kähnen für die Quarantäne-Insel.
Damit war für mich das einfache, aber einträgliche Leben im Neuen Hafen vorbei, keine Arbeit, die Bude auch schnell weg, als kein Geld mer 'rein kam.
Im alten Hafen bei den Jungs fand ich wie davor schon immer einen sicheren Hafen. Galatiern war man hier zwar auch misstrauisch, aber letzten Endes waren sie alle arme Hunde - hier galt man genauso viel, wie jeder andere auch, solange man den richtigen Leuten Respekt zollte.
Freilich war es kein Zustand, dem ich auf Dauer fröhnen wollte. Schmuggel war noch saisonaler und unregelmäßiger, wie die Seefahrt an sich. Davon konnte man nicht leben - nicht mit dem Kram, an den ich heran kam. Zumal zu Jahresbeginn 1400 meine kleine Schwester Arys auf einmal auf der Matte stand, mitten in der Spelunke "Zum baumelnden Wachmann"!
Wie enttäuscht sie doch war, mich ohne eine müde Münze in den Taschen, ohne Dach über dem Kopf und arbeitslos anzutreffen!
Kein Wunder, war sie doch noch auf dem Stand der mündlichen Erzählungen, die ich einem befreundeten Bootsmann mit nach Svesur gegeben hatte. Aber das lag nun ein halbes Jahr zurück! Da hatte sich viel geändert...

So kam es letztlich aus vielerlei Gründen, die ich nicht alle aufzählen will, dass ich wieder ordentliche Arbeit suchte.
Wenn man schon nicht auf See anheuern konnte, dann an Land.
Die Stadtwache suchte zu diesen Tagen voller Hexenkeuche, Arbeitslosigkeit, Hunger und Not neue Leute. Waren von Keuche und Desertion, sicher auch abgestochenen Männern knapp an Mannschaften.
Frischfleisch... durch den nächstbesten Orkan gejagt in einfachen Jollen. Aber das war mir in dem Moment egal.
Arbeit war Arbeit.

Die ersten Wochen waren übel.
Der Stadrat tagte zu der Zeit nicht, wie er es nun wieder tut. Die feinen Herren hatten sich hinter dicken Mauern verschatzt, da sie vor Hexenkeuche und Unruhen die Hosen gestrichen voll hatten. Die Folge war, dass die Stadtwache keine Gelder mehr bekam, keine Ausrüstung, keinen Sold, keine Verpflegung. Wir, Rekruten der ersten Stunde, mussten für unser eigenes Wohl sorgen, wie Landratten unvorbereitet in den Sturm geworfen.
Nicht alle standen diese Strapazen durch. Viele Kameraden der ersten Tage verließen die Truppe, einige nahmen sogar Geld aus der Kasse mit sich. Schlimme Tage waren das.
Doch die, die blieben wuchsen zusammen, sahen sich zusehends als eine Wachtruppe. Ich begann mich, dort heimisch zu fühlen, wie bei den arbeitslosen Seeleuten, Halunken und Raubeinen im alten Hafen. Denn auch hier erlebte ich selten Repressionen wegen meiner Herkunft oder meines Glaubens. In der Stadtwache zählte nur der Mann zur Linken und zur Rechten.
Als ehemaliger Schmuggler mochte ich vieles nicht so eng sehen, wie manch anderer.. das Recht war dehnbar. Jedoch gab es Grenzen. Viele Kerle, die meinten, Ärger machen zu wollen landeten da im Pranger, wurden verprügelt und getreten oder in den Kerker geworfen - zimperlich gingen wir nicht mit denen um, die uns die Wachgänge versalzten!
Freunde machten wir uns damit gewiss nicht überall... aber den Norden der Stadt, alter Hafen und Armenviertel, waren unbekanntes Land für uns. Anweisung von ganz oben: Der Norden ist tabu.
Und wenn ich erhlich bin - das war gut so.
Es war nicht nur der reinste Hexenkessel... sondern auch eine Art von Heiligtum für mich. Eine Gratwanderung, die ich bereitwillig ging. Auf Wache für Ordnung sorgen, nach Feierabend in den billigen Kneipen im Norden der Stadt trinken und ausspannen, ohne gleich ein Vermögen ausgeben zu müssen, wie in den Tavernen der Altstadt.

Als Galatier mochte man hier fremd sein. Es gab jedoch genug, denen das reichlich egal war, wenn man erst mit ihnen beisammen stand.
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"In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 05.05.2013, 14:09
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 08.05.2013, 17:30
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 31.05.2013, 17:58
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RE: "In der Fremde" - von Lysander O'Domhnaill - 28.06.2013, 16:50
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RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 10.07.2013, 21:31
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RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 11.09.2013, 23:28
RE: "In der Fremde" - von Ailís Maguire - 12.09.2013, 10:42
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RE: "In der Fremde" - von Baghatur - 03.01.2014, 21:36
RE: "In der Fremde" - von Lysander O'Domhnaill - 04.01.2014, 18:25



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