Südwalds Wacht
#11
Was auch immer die Waffe, sie muss erprobt werden. Bei der Herstellung können Fehler verborgen geblieben sein, die sich nur im Gebrauch zeigen.



Ein Tag, der beginnt wie jeder andere Tag.

Aufwachen. Der kurze Moment der Desorientierung, in der ich nicht genau weiss, wo er eigentlich ist, bevor er den nunmehr intim vertrauten Dachbalken identifiziert. Daheim. Das Haus in der Bogengasse 4. Das Haus von Bürger Leuenberg, Gardist der Stadtwache. Das bin ich.

Der Schmerz ist neu und unvertraut, störend wie eine Morgenlatte, die sich auch nach dem ausgiebigsten Wasserlassen nicht trollen will und damit bereits der erste Sargnagel in der Laune des soeben Erwachten, der mühsam dem Impuls widersteht den eigenen Hals zu berühren.

"Jemand da?"
Auch das ist ein Tribut an die Gewohnheit - und die Höflichkeit, die es zu wahren gilt, bevor man mit oben erwähnter Morgenlatte umherstolpert.

Aber nun ist das Haus leer - natürlich leer - und es gibt keinen Grund für Scham oder besondere Vorsicht. Nichts, was einen Mann zwingen würde eine Hose zu tragen in seinem eigenen Heim.

Die nächste Station ist der mannshohe Spiegel, den die zeitweilige Mitbewohnerin vermutlich in der Hoffnung anschaffte, er allein würde sie auf magische Weise in eine Dame von Welt verwandeln: Ein Wunder, das bis jetzt ausgeblieben ist und auch beim Spiegeln des Mannes gibt es keine Magie zu beobachten. Dort zu sehen ist ein zwar ausgeschlafen wirkender Schwarzschopf, der noch mit dem Verschluss der Hose kämpft und schliesslich, beim Heben des Kopfes, die Halswunde offenbart. Und jene zu übersehen ist wirklich keine leichte Übung, denn sie wirkt ein wenig, als hätte ein sagenhafter Magier mit seinem Flammenschwert versucht hier eine Köpfung durchzuziehen: Der geschwärzte aufgerissene Rand zieht sich über die Kehle hinweg beinahe den halben Weg bis zu den Ohren und dabei irgendwann zu einer Ansammlung von blauen Flecken, überall rund um das, was wie ein eingebrannter Schnitt aussieht, ist die Haut gerötet und nässt, hat Blasen geschlagen, die noch lange nicht daran denken zu heilen.

Kurz und gut: Der Spiegel ist gnadenlos und beschönigt nichts von dem übelkeiterregenden Anblick, den der Mann nun in aller Sorgfalt vor sich selbst und der Welt hinter einem locker geschlungenen Halstuch versteckt.
Genügend Zeit vorausgesetzt wird das heilen.

Ob es diese Zeit geben wird, ist noch in Diskussion.

An den Gründen hat sich nichts geändert, das Bewusstsein des eigenen Unrechts ist weiterhin von beschämender Klarheit, von geradezu überwältigender Einfachheit: Er hat getötet und das aus den niedersten vorstellbaren Gründen und dafür gibt es nur eine Strafe. Unter anderen Umstände wäre er der Mann, der andere wegen solcher Verbrechen zum Schafott führt.

Aber das Herz hat den Elan verloren, es zögert und zaudert davor sich dem Offensichtlichen zu ergeben. Neben der Scham gibt es wieder Platz für anderes: Die Erinnerung an die Schönheit auf der anderen Strassenseite, eine Schönheit, die nur erobert und gepflückt werden möchte. Die Erinnerung an Bekannte und solche, die vielleicht Freunde sein könnten. Die Erinnerung an die Flammen, die einfach da waren, als der Leib sich zusammenkrümmte und alles in die Waagschale warf um nicht hinüberzugehen. Und die süße Verlockung der Ignoranz.

'Mach die Augen zu. Denke nicht darüber nach. Arbeite. Lebe. Begehre. Vergiss die tote Frau.'

Es gibt nur eine Komplikation und das ist die Wissende. Jene, die er eingeweiht hat, als er benommen vor Schwäche und Entsetzen am Boden lag. Sie weiss von seiner Sünde. Sie hat sein Leben in der Hand. Sie ist eine Gefahr. 

Der Uniform folgt die lange Klinge - ein gutes, aber schmuckloses Stück Stahl, solide aber alles andere als interessant. Ein Werkzeug zum Töten und nicht das Spielzeug eines eitlen Gecken. 

Und ein Werkzeug will gebraucht werden.
Zitieren




Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste