Galatische Wurzeln
#4
Es war früher Morgen, und eiskalt. Tau hing an den Gräsern, die in der unerwarteten Frühsommerkälte traurig ihre Ähren hingen ließen, und der kurze Marsch durch die Wildwiese hatte dafür gesorgt, dass ihre Beine bis fast zu den Knien durchnässt waren. Flynn fror erbärmlich, wenn sie ehrlich war, aber noch wollte sie die Stadt nicht einfach betreten.

Da drin sind die Wahnsinnigen...

Flynn schloss schaudernd die Augen. Bisher hatte ihr Glaube ihr keine Probleme bereitet, aber das war wohl eine reine Glückswelle gewesen. Und sie hatte ja gewusst, dass die Leute hier ziemlich intolerant gegenüber anderen Religionen waren, aber wie verrückt diese Mithrasdiener sein konnten, hatte sie sich im Traum nicht ausgemalt. Und wie korrupt Macht jemanden machen konnte, der eigentlich als Vorbild für die Gesellschaft fungieren sollte, hatte sie in diesem Ausmaß auch noch nicht erlebt.
Es schien fast so, als sei eine rote Kutte Grund genug für die Diener des Königs, lieber weg zu sehen, als sich mit den hysterischen Drohungen von Novizen herumschlagen zu müssen. Das Problem daran war allerdings jenes, dass sich zumindest für Flynn nun die Frage stellte, wieviel Respekt und Gesetzestreue ein Machtapparat verlangen durfte, der sich auf der einen Seite Ordnung und Recht auf die Flaggen schrieb, und auf der anderen Seite eine Sonderbehandlung bei Delikten verlangte.
Die ganze Angelegenheit war skurril.
Mondwächter, die im Rabenkreis ihren Glauben stolz präsentierten, aber es nicht wagten, einem Mithrasdiener die Segnung im Namen des Sonnengottes zu verweigern.
Mithrasdiener, die Mondwächter mit Weihwasser überschütteten, wenn man sie einen Lidschlag lang aus den Augen ließ. Und schneller mit der Hand am Dolch waren, als eine rechtschaffene Person es sich vorstellen konnte.
Stadtwachen, die unter den Drohungen von Küken, Frischlingen, Novizen zusammensanken wie Salz im Wasser, anstatt Recht und Gesetz des Königs zu befolgen - Mit einer roten Robe konnte man in Löwenstein vermutlich Mord begehen, und niemand würde jemals auf die Idee kommen, etwas daran zu kritisieren, alleine schon aus Angst, der Blasphemie, Ketzerei oder Häresie beschuldigt zu werden.

Nunja, hätte sie der Novizin mit dem Wassereimer für die Beschüttungsaktion keine Ohrfeige verpasst, hätte sie diese Schattenseite der Stadt wohl nie entdeckt. Hätte weiter in der Traumwelt leben können, dass die Stadtwache ihre Arbeit für den König verrichtete, statt für die Kirche. Dort, wo Mondwächter sich nicht aus Angst vor Repressalien mit der Weihung Mithras' zwangsbeglücken ließen.

Flynn wollte eindeutig nicht zurück in diese widerliche Stadt... Aber ihr Besitz war dort drin verstaut, und ausserdem war es kalt und nass. Mit einem angewiderten Schlucken schüttelte sie sich, straffte die Schultern und stapfte los. In dem Moment wo die Grenzen wieder geöffnet wurden, würde sie dieses Lehen und seine Offizien hinter sich lassen. Und bis dahin würde sie wohl einfach einen weiten Bogen um die Rotröcke machen müssen.
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Galatische Wurzeln - von Flynn Crimthainn Ain - 23.05.2013, 14:19
RE: Galatische Wurzeln - von Flynn Crimthainn Ain - 05.06.2013, 20:02



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