FSK-18 Tagebuch
#12
Das war beileibe nicht der erste Tote, den ich zu Gesicht bekommen hatte und es würde auch nicht der Letzte sein. Und normalerweise hätte ich nicht zu viele Gedanken daran verschwendet unter welchen Umständen der Kerl das Zeitliche gesegnet hatte.
Aber ich schlief schlecht in jener Nacht, wälzte mich in unruhigen Träumen hin und her, bis das erste Licht des Tages mir einen Vorwand gab um aufzustehen.

Und dann machte ich mich daran den armen Burschen zu begraben.

Das war leichter ausgedacht als tatsächlich durchgeführt, denn die wenige Erde die die Regenfälle nicht von den Steinen gespült hatte, war kaum der Rede wert. Andererseits hatte ich mehr als genug Steine losgeschlagen und der mit Katzengold vermischte Schutt würde einen netten kleinen Hügel abgeben. Also sammelte ich zusammen, was ich am Tag zuvor aus den Wänden gebrochen hatte und dachte derweil darüber nach, ob es jemals jemanden geben würde, der mir diesen Gefallen tun würde.

Bei meinem Glück würde ich wohl viel eher als zerstückelte Leiche in der Kanalisation Löwensteins enden, eine Beute für die Ratten, die sich um meine Knochen balgen und hoffentlich an einem ausgestreckten Mittelfinger ersticken würden. Oder es würde mich hier draussen bei einem plötzlich Einbruch erwischen: Ein rascher Tod unter ein paar Tonnen niederfahrenden Gesteins würde immernoch besser sein, als langsam zu ersticken oder zu verhungern in der völligen Finsternis wie es dem hier passiert sein musste.

Oder auch nicht.

Ich hatte ganz natürlich angenommen, dass es sich bei dem Toten um einen glücklosen Bergmann gehandelt hatte, aber als ich ihn nun erstmals näher in Augenschein nahm, wurde mir klar, dass ich mich darin geirrt hatte: Was von der Kleidung übrig geblieben war, machte den Eindruck eines gewissen Wohlstandes, gepaart mit jener Unpraktischkeit, die sich kein echter Arbeiter antun würde. Meinen scharfen Sinnen entgingen auch nicht die subtileren Anzeichen: Keine Werkzeuge in Sichtweise, stattdessen einiges an Schreibkram, Beutel mit irgendwelchen verfaulten Hinterlassenschaften. Und das gewaltige Loch in der Brust, wo die Rippen nach aussen gesprengt worden waren. Nach aussen. Mhm.

Ansonsten war der Rippenkäfig weitgehend unversehrt, es war also nicht möglich, dass ihm eine Felsnadel durch den Rücken und dann die Brust gefahren war. Und eine Waffe die durch die Eingeweide eindrang, sich nach oben bog und mit solcher Gewalt durch das Brustbein wieder ans Tageslicht kam, konnte wohl nicht einmal Meister Eisenschlag erschaffen. Etwas mit flexiblen Klapphaken konnte dazu vielleicht in der Lage sein - aber ich wollte mir die Kraft nicht vorstellen die für dieses Resultat nötig war. Andererseits beflügelte mich die Vorstellung genau so ein Ding zu bauen und an einem der Ganter auszuprobieren.

Diesen erhebenden Gedanken gab ich mich einige Minuten hin, bevor ich all das mit einem Achselzucken beerdigte: Der Bursche war tot und das schon seit langer Zeit. Und sobald er erst einmal unter den Steinen lag, würden sich diese Fragen nicht mehr stellen. Kurzentschlossen fügte ich dem Steinhaufen auch seine Hinterlassenschaften hinzu: Mit den vergammelten Beuteln liess sich nichts mehr anfangen, mit dem völlig verrosteten Dolch genausowenig. Und wofür die Glasscherbe gut sein sollte, fiel mir mit aller Anstrengung nicht ein. Weg damit.

Nur bei zwei Dingen zögerte ich und entschloss mich dann das Erbe des Verblichenen anzutreten: Ein Notizbüchlein voller unleserlichen Gekrakels, das ich irgendwelchen leichtgläubigen Forschern vielleicht für ein paar Schillinge verkaufen konnte. Und eine einzelne ungeprägte Silbermünze, die ich einschmelzen und meinem geringen Vorrat an Edelmetall hinzufügen würde.

Als ich den letzten Stein auf dem Grab auftürmte, spürte ich eine gewisse verlegene Ratlosigkeit: Plötzlich fühlte ich mich .. verpflichtet ihm ein paar Worte als Geleit auf eine schon längst beendete Reise mitzugeben.

"Du warst sicherlich ein armes Schwein. Zumindest bist du wie eines gestorben. Möge Galates dich zurück auf den Weg bringen, wenn er es nicht schon längst getan hat. Ach beim Abgrund - wahrscheinlich wurde ein Teil von dir schon längst wiedergeboren und ist erneut gestorben. Aber falls wir uns mal sehen: Ich habe was gut bei dir."

Mhm. Vielleicht nicht ganz so .. hübsch wie bei anderen Grablegungen. Aber ganz ehrlich: Besser als das worauf ich hoffen konnte.
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Tagebuch - von Durias Zobel - 07.05.2013, 19:33
Am Anfang - von Durias Zobel - 07.05.2013, 19:41
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