FSK-18 Tagebuch eines Monsters
#1
Tagebuch eines Monsters

I.                  Episode – Erwachen
II.                Episode – Instinkt
III.             Episode – Kraft
IV.               Episode – Heilung
V.                  Episode - Fluch
VI.               Episode – Mond
VII.            Episode – Jagd
VIII.         Episode – Kontrolle
IX.              Episode – Silber
X.                 Episode – Alpha
XI.              Episode – Brut
XII.       Episode - Gestaltwandler




Ich bin ein Werwolf. Und damit schimpfen mich die Lebenden ein Monster. Was definiert mich als Monster? Die schwache, unterlegende Art der Menschen definiert ein Monster als Wesen, das ihnen Unerklärlich scheint und nicht kontrolliert werden kann. Es ranken sich viele Mysterien um eine Vielzahl von Monster, manches wird in Sagen erzählt, anderes lässt sich in Büchern recherchieren und manches durch Beobachtung in Erfahrung bringen. Aber dennoch bleibt immer ein unberechenbarer Bruchteil, den man lediglich durch die Erfahrung am eigenen Leib erforschen kann.
Vielleicht bin ich zu hart zu mir selbst. Es gibt Gelehrte, die uns als Wesen mit Verstand anerkennen und den menschlichen Anteil, der neben dem Fluch erhalten bleibt, in den Vordergrund stellen. Auf der anderen Seite gibt es ebenso viele Kritiker, die uns als Wesen bezeichnen, die direkt aus dem Abyss stammen. Die Bezeichnung Monster ist in dieser Hinsicht noch freundlich, wäre in ihren Augen Dämon viel passender.
Dies soll weder ein Versuch der Rechtfertigung noch der Definition sein. Ich weiß was ich bin und das soll an dieser Stelle ausreichend sein. Was ich nicht weiß ist, wie sich meine Zukunft gestaltet. Es war ein harter, steiniger Weg, um mir die Menschlichkeit und meinen Verstand zu erhalten und womöglich erleichtere ich es einer späteren Generation mit dieser Niederschrift an das essentielle Wissen zu gelangen. Außerdem hört man immer wieder Geschichten über Amnesie. Manch einer mag es Ammenmärchen nennen, aber falls ich mir eine Furcht erhalten habe, dann die zu Vergessen. Vergessen wer ich war, vergessen wie ich zu dem wurde, was ich nun bin oder vergessen, welche Entscheidungen ich zu welcher Zeit getroffen habe. Sollte der Wolf in mir je die volle Kontrolle über mein Handeln erlangen, wäre dies der handfeste Beweis, dass es einst einen Verstand in dem Monster gab.
 
I.                 Episode – Erwachen

Der Tag meiner Geburt liegt mehr als drei Jahresläufe zurück. Es war kein glorreicher Moment, sondern ein sehr düsterer. Ich erwachte in einer Höhle, fast aller Sinne beraubt, nackt, dreckbeschmiert, blind und hungrig. Es sollte eine Weile dauern, bis mir bewusst wurde, dass sich meine Sinne verschärft hatten, jedoch mein menschlicher Verstand damit überfordert war. Ich nahm Bewegungen und Geräusche in meiner Umgebung war, bevor ich etwas sehen konnte.
„Wo bin ich?“ fragt eine heisere Frauenstimme. Eine tiefe Männerstimme stößt als Antwort ein Brummen aus. Ehe ich mich versehe konzentriere ich mich auf mein Gehör und stelle fest, dass vier Personen in meiner Nähe sind, drei männlich, eine weiblich. Ich schnuppere und schmecke Frauenparfum, so intensiv, dass ich stumm würgen muss. Es sticht sogar unter dem Geruch der Höhle hervor. Geruch der Höhle? Was denke ich da? Ich verbringe mein halbes Leben in Minen und schürfe Erz, trage die Gerüche von Staub, Lehm und Erde tagtäglich nach Hause, aber nie war die Duftnote so intensiv gewesen. Ich blähe die Nasenflügel und schnupper neugierig. Mein scharfer Geruchssinn verrät mir so viel mehr, als ich es je für möglich gehalten habe. Die Personen um mich tragen verschiedene Kopfnoten, ihr ganz persönliches Parfum. Die Frau riecht nach dem Parfum – beherrscht von Vanille, Nelke und Pfirsich – der eine Mann nach Ale und Metall, der Zweite nach Holzspänen und Angst und der Letzte riecht … sauber. Erstaunlich, aber er brachte es tatsächlich zustande sauber zu riechen. So würde er später auch seinen Spitznamen von mir erhalten: Sauberwolf.
Den Menschen in meiner Umgebung ist scheinbar dasselbe Wiederfahren wie mir. Sie sind meine Leidensgenossen. Sobald ich mich auf meinen, ebenfalls einst verkümmerten Sinn Sehen konzentriere, nimmt die Höhle Gestalt an. Die Umgebung wirkt, als wären überall Feuerschalen angebracht, nur dass diese unsichtbar sind. Meine Tiefenwahrnehmung ist spektakulär. Ich erkenne jede Kante, egal in welcher Entfernung und weiß sogar über die Konsistenz der Erze Bescheid, ohne sie zu berühren oder zu schmecken. Schmecken, ernsthaft? Ich presse mein Gesicht mit unstetem Atem auf die Erde und lecke an dem Untergrund. Die parfümierte Frau gibt einen entsetzten Aufschrei von sich. Ich ziehe die Zunge langsam zurück und koste das staubige Aroma, während ich zu den Übrigen sehe, die mich entsetzt fokussieren.
„Hier ist keinerlei Laterne, aber ich kann alles sehen, was für ein Zauber ist das?“ fragt der saubere Hermetiker. Seine Stimme kommt mit bekannt vor, ich habe ihn schonmal gesehen. Rasch flitzt mein Blick über die anderen. Ich kenne sie alle, ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Verdammten.
„Ihr!“ kreischt die parfümierte Schreiberin, als sie den bärtigen Grauwolf mit Alkoholfahne erkennt. Vermutlich waren sie vor diesem Tag verfeindet, so wie es für Löwenstein und Ravinsthal zu dem Zeitpunkt üblich ist.
„Na, Püppchen?“ grollt der alte, massige Mann zurück. Der Holzwurm hingehen gibt sich sehr still und überfordert. Er riecht weiterhin intensiv nach Furcht und Unglaube.
Dann erklingt eine tiefe, dominante Stimme, die mich und die anderen zusammenzucken lässt. Wir hatten die sechste Person weder gewittert noch gehört.
„Endlich seid ihr wach.“
Die Stimme gehört dem Wahnsinnigen – Jasander ist sein Name - wie wir im Laufe der folgenden Tage erfahren. Er ist unser Erzeuger oder behauptet zumindest es zu sein. Die Dinge die er uns näher bringt geben abwechselnd Sinn oder wirken derart verwirrend, dass sie den menschlichen Verstand überfordern.
Bereits drei Vollmonde nach unserer Geburt töten wir ihn gemeinsam.
Bis zu dem Zeitpunkt war nicht genug Zeit, um uns ausreichend zu schulen und mit Wissen zu versorgen. Aber es ist ohnehin ratsamer sich selbst zu bilden, anstatt die Theorien eines Frevlers zu glauben. Zweifellos war er der älteste Werwolf und es stand außer Frage, dass er unsere Gruppe an Welpen gewandelt hat. Jedoch war ungewiss was Jasander’s Intentionen waren. Wollte er uns benutzten? Wollte er uns für seine Machenschaften opfern? Sollten wir seine Untergebenen sein? Um uns zu unterwerfen waren unsere eigenen Monsterhälften zu stur, kräftig und unabhängig. Ich wählte meinen eigenen Weg und der Rest folgte mir. Wir wurden ein Rudel, herumstreunende Wölfe, ohne festen Zusammenhalt aber mit demselben Ziel. Wir schätzten einander nicht, aber konnten unsere Gemeinsamkeiten nicht verhehlen.

[Bild: ar8jr3f6.png]
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Tagebuch eines Monsters - von Narbenauge - 22.03.2020, 10:44
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