Der Dolch im Herzen
#4
Warten und Tod

Er war kaum noch Mensch. Er aß seit Tagen nichts mehr und trank nur das Nötigste, die Haare hingen ihm fettig und strähnig vom Haupt und der zerzottete Bart hätte dringend einer Rasur bedurft. Der Geruch der ihn umgab ließ Zweifel daran entstehen, wer von den beiden, Alec oder Virginie gerade im Sterben lag. Es hatte alles keinen Sinn mehr - seit Anouk vor einigen Tagen da gewesen war und er sie angefleht hatte ein Ritual zu vollziehen um die Götter dazu zu bewegen sein Leben zu nehmen im Tausch gegen Virginies und die Druidin erwidert hatte, dass die Götter bereits entschieden hatten, dass Virginie sterben sollte - seitdem war alles sinnlos. Etwas in ihm war bei den Worten der Druidin gestorben und seitdem vegetierte er nur noch vor sich hin. Er tat kaum noch etwas, außer sich um die Kranke zu kümmern und war wie die Fiebernde selbst mehr Teil eines Deliriums als der wirklichen Welt.

Es war Nacht. Draußen vor der kleinen Hütte, die das junge Paar sich als Liebesnest ausgesucht hatte heulte ein Thalwolf, unbeachtet von ihren Bewohnern. Ein zunehmender Sichelmond spendete der Nacht spärliches Licht. Die besorgten Besucher und Helfer, die sich die letzten Wochen über fast täglich die Klinke in die Hand gegeben hatten, um über Virginie - und wohl auch über Alec - waren bereits in den eigenen Betten. Ein Kauz schuhute kurz und einsam, dann war wieder Stille.

Alec starrte mit roten, blutunterlaufenen Augen zu seiner Liebsten. Ihre Brust hob und senkte sich unendlich langsam und erschöpft. Ihr lieblicher Leib war mittlerweile fast verzehrt von dem Wundfieber, das seit Wochen in ihren Adern brannte und an dem sie vermutlich längst gestorben wäre, hätten sich nicht die heilkundigen Hände von Marie und Anouk die letzten Tage um sie gekümmert. Die Brust hob sich, senkte sich und dann.... nichts. Der Mann, der mittlerweile mehr mit einem jener faulenden Untoten gemein hatte, die die ehemalige Festung des candarischen Fürsten bevölkerten, als mit jenem selbstbewussten, gepflegten Streiter, der er noch vor einigen Wochen gewesen war, starrte, blinzelte und starrte erneut, ehe ein kaum menschlicher Laut sich seiner Kehle entrang, voller Verzweiflung und Schmerz. Er konnte keine Tränen mehr vergießen, dafür war sein Leib zu ausgedörrt, also faltete er die Hände der Toten und küsste ihre spröden, noch warmen Lippen ein letztes Mal ehe er sich erhob.

Dann durchschnitt ein wütender, gequälter Schrei die Nacht, der so laut war, dass die Vögel, die in den umliegenden Bäumen geschlafen hatten erschrocken aufstoben. Er griff nach seinem Schwert und richtete die Spitze auf seine Brust, bereit sich hinein zu stürzen und dem Elend ein Ende zu machen. Seine Brust hob und senkte sich schwer, doch schließlich schrie er erneut zornig auf und rammte das Schwert bis zum Heft durch eine der Bohlen der Eingangstüre. Der nächste Besucher würde also wohl von einer blanken Schwertklinge auf Brusthöhe begrüßt werden. Sollte er es dennoch wagen die Tür zu öffnen, so wird er Alec in einer Ecke sitzend finden, der Leib seiner Liebsten liegt noch im Bett...
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Der Dolch im Herzen - von Alec Burgwardt - 21.05.2019, 23:23
RE: Der Dolch im Herzen - von Anabella - 22.05.2019, 00:21
RE: Der Dolch im Herzen - von Anouk - 22.05.2019, 12:20
RE: Der Dolch im Herzen - von Alec Burgwardt - 05.06.2019, 19:00
RE: Der Dolch im Herzen - von Anabella - 05.06.2019, 23:56
RE: Der Dolch im Herzen - von Anjalii - 06.06.2019, 11:46
RE: Der Dolch im Herzen - von Alec Burgwardt - 06.06.2019, 20:19
RE: Der Dolch im Herzen - von Alec Burgwardt - 03.07.2019, 22:29



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