Der Dolch im Herzen
#3
Das Klappern der Hufe auf dem Pflaster der Straße kündigte spät in der Nacht Besuch an der Garnison der Grauwölfe an. Die Druidin hatte sich in ihre dunkle Robe gehüllt und trug den Beutel mit Paraphernalien bei sich, bereits ahnend, dass sie ihn brauchen würde. Als sie Virginie im Krankenbett liegen sah, sollte sich ihre Vorahnung bestätigen. Während Anabella wie ein stummer Schatten neben Alec saß und durch ihre Anwesenheit Trost zu spenden versuchte, widmete sie sich der verwundeten Frau.

Virginie war in einem schlechten Zustand. Das Fieber hatte sie bereits seit Stunden gequält und ihren Leib in Krämpfen geschüttelt. Jetzt lag sie fast regungslos und mit flachem Atem in den schweißgetränkten Laken.

So ein kleiner Schnitt. Die Druidin besah sich die Wunde, die man leicht hätte übersehen können. Von dieser Stelle breitete sich langsam ein dunkler Strich unter der Haut aus. Unter dem Licht der Öllampe konnte man ihn inzwischen sehr deutlich erkennen.

Anouk war keine Heilerin im üblichen Sinn. Sie konnte zwar Wunden reinigen und verbinden - das hatte sie an der candarischen Front oft genug tun müssen - aber hier war sie überfragt. Sie wusste, dass es Heiler gab, die ihre Patienten zur Ader ließen. Konnte man das vergiftete Blut aus ihrem Körper lassen ohne Virginies Leben dabei zu gefährden? Sie verwarf den Gedanken rasch wieder und konzentrierte sich auf das, was in ihrer Macht stand zu tun. Die Einundzwanzig hatten ihr eine besondere Gabe zuteil werden lassen und verliehen Anouks Worten einen Teil ihrer göttlichen Kräfte. Flüsternd vermochte sie damit Ruhe einkehren zu lassen, brüllend ließ sie die Erde erzittern, zischend konnte dem verhassten Gegenüber stechenden Schmerz in die Rippen treiben und raunend schlossen sich Wunden unter der Berührung ihrer Hand.

Die Druidin begann zu den Göttern zu beten: Mabon, Amatheon, Morrigu. Bald war die Luft im Zimmer von einem schweren, süßlichen Duft erfüllt; verursacht durch ein glimmendes, qualmendes Salbeibündel, das sie zur Räucherung umhergeschwenkt und dann auf einer Tonschale abgelegt hatte. Virginie wurde behutsam entkleidet und dann ebenso behutsam wie respektvoll mit einem Lappen und lauwarmen Wasser aus einer bronzenen Schüssel gewaschen. All das geschah unter den beständig intonierten Machtworten Anouks, die ihre Aufmerksamkeit gänzlich der verwundeten Frau widmete und offenbar nicht einmal bemerkte, wie Anabella in den frühen Morgenstunden verschwand, um später mit einer Mabonsblüte zurückzukehren.

Ein Windstoß durch das geöffnete Fenster bließ die Öllampe aus. Den Anwesenden entging dieses winzige, scheinbar unwichtige Detail zwischen Hoffnung und Bangen, doch Anouk war eine Vatin und hatte ein Gespür für jene Zeichen entwickelt. Für sie waren die Zeichen subtile Hinweise auf Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges. Ein unwohles Gefühl überkam sie. Sie behielt ihre Erkenntnis für sich und verschwand am Vormittag des nächsten Tages mit dem Versprechen, dass sie bald wiederkommen würde.
[Bild: Anouk-Signatur.png]
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Der Dolch im Herzen - von Alec Burgwardt - 21.05.2019, 23:23
RE: Der Dolch im Herzen - von Anabella - 22.05.2019, 00:21
RE: Der Dolch im Herzen - von Anouk - 22.05.2019, 12:20
RE: Der Dolch im Herzen - von Alec Burgwardt - 05.06.2019, 19:00
RE: Der Dolch im Herzen - von Anabella - 05.06.2019, 23:56
RE: Der Dolch im Herzen - von Anjalii - 06.06.2019, 11:46
RE: Der Dolch im Herzen - von Alec Burgwardt - 06.06.2019, 20:19
RE: Der Dolch im Herzen - von Alec Burgwardt - 03.07.2019, 22:29



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