Halblicht
#2
Vor der Blutkonklave im Jahre 1403 hatte es eine Gewissheit gegeben, die in seinen Augen unumstößlich war: Das Armenviertel war sein. Er teilte die Hoheit darüber mit niemandem. - Und dann hatte die lieb gewonnene Ansammlung von Zelten und windschiefen Holzhütten ganz einfach Feuer gefangen. Das die Bleichen dafür die Verantwortung trugen konnte kein recht denkender Mensch bezweifeln. Der heilige Zorn hatte ihn gepackt und er hatte gegen die Zahnmonster gefochten wie nie zuvor gegen einen Gegner. Jetzt ging es offenbar in deren Heimat und so gebot es das Recht, das er zurück gab, was man ihm angetan hatte: So die Spiegelwelt brennen konnte würde er sie brennen sehen.

Die Silberpaste konnte dabei nur der erste Schritt sein. Mit gewöhnlichen Waffen war nur gegen einzelne Gegner Schaden zu verursachen, aber was, wenn die Visionen nicht übertrieben waren? Was, wenn man sich wirklich einer Horde gegenüber sah, denen mit Schwertern und Bolzen nicht beizukommen war? Sicher, er hatte Brandflaschen zur Verfügung, aber die waren schwer herzustellen und zudem in Innenräumen schierer Selbstmord.

Warum nicht weiter denken? Warum nicht die Kraft des Silbers auf eine Sprengbombe übertragen?

Zuerst hatte er seine sämtlichen Mittel mobilisiert. Binnen kürzester Zeit war ein passendes Gebäude im Armenviertel gefunden. Er hatte Regale aufgestellt, Schutzhelme besorgt, Lederwämse bereit gelegt und sogar ein Wasserfass angeschafft, um einen möglichen Brand zu löschen, der auf den ebenfalls aufgestellten Werkbänken entstehen konnte. Eine alchemistische Grundausrüstung hatte ebenso Platz gefunden wie ein umfangreicher Satz Feinwerkzeuge. Wenn man an Sprengflaschen arbeitete, dann war Fingerspitzengefühl vonnöten und dafür brauchte es ordentliches Werkzeug. Er hatte sich nicht lumpen lassen.

Danach hatte er sich mit der weitaus schwierigeren Frage beschäftigt, die Sprengflaschen zu versilbern. Ihm war dabei durchaus bekannt, dass es häufig Teile und Bruchstücke der Metallflasche waren, die den Opfern einer solchen Waffe den Tod brachten und so hatte er bereits damit begonnen, Schillinge mit einem Hammer platt zu klopfen und zu zerschneiden, um sie auf eine Flasche zu kleben, als ihm - so dachte er - eine bessere Idee kam. Er zog sich seine Handschuhe über und machte sich auf den Weg, um ein paar Besorgungen zu erledigen.

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Er hatte lange und gründlich darüber nachgedacht und jetzt, da er die Waffe in der Hand hielt, gab es kein Zurück mehr. "Glaub mir, das hier tut mir sehr viel mehr weh als dir, mein Junge. Aber ich brauche dein Silber." sprach er mit einem schmerzlichen Ausdruck auf den Zügen, als er mit dem Knüppel ausholte. Sekunden später erklang das Klirren von Glas im Armenviertel. 

Spiegel waren stets seine Freunde gewesen. Dabei war er nicht etwa eitel, er fand sie nur besonders praktisch. War es, um um Ecken zu spähen oder den Sitz eines falschen Schnurrbartes zu korrigieren: Für einen Dieb lohnte es sich bereits früh in der Karriere, in einen Handspiegel zu investieren. Das hatte auch er getan. Später waren dann weitere Spiegel dazu gekommen und andere zerbrochen und schließlich, zu seinem letzten Geburtstag, hatte man ihm ein besonders formschönes (und vor allem großes) Exemplar - einen Standspiegel - geschenkt. Das der nun sein Ende ausgerechnet auf seiner Werkbank fand hatte er indes nicht erwartet, doch verzweifelte Zeiten forderten wohl verzweifelte Methoden. Er hatte einen weiteren Geistesblitz gehabt, und für den brauchte es eben Spiegelscherben. Da mussten persönliche Gefühle in den Hintergrund treten. Es galt, Spiegel mit Spiegeln zu bekämpfen.

Scherbe um Scherbe hatte er den zerbrochenen Spiegel in den Mörser befördert und mit viel Geduld waren aus großen Scherben kleine geworden. Danach hatte er einen Leinenbeutel  zur Hand genommen, eine Handvoll des gewonnenen Materials hinein gegeben und eine kleine Sprengflasche ins Innere gestellt, ehe er mit Scherben aufgefüllt hatte. Zum Schluss hatte er den Beutel unterhalb des Halses der Sprengflasche zugebunden und dann in Leim, ehe alles auf ein Trockengestell gewandert war.

Er wusste nicht, ob das ganze die Mühe wert gewesen war. Er wusste nicht einmal, ob der Hauch von Silber überhaupt ausreichen würde, um einem Bleichen ernstlich gefährlich zu werden. - Aber das war ihm gleich. Sein Tatendrang war gestillt und er fühlte sich vorbereitet. So sehr das im Angesicht der bevorstehenden Aufgabe überhaupt möglich war. Musste nur noch ein passender Name für die völlig sichere Konstruktion her. Nach reiflichem Überlegen erschien ihm nur ein einziger Name angemessen:

Schillings Silbersturm
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Halblicht - von Shin - 08.09.2017, 14:44
Silbersturm - von Shin - 10.09.2017, 16:47



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