Südwalds Wacht
#9
Spoiler Triggerwarnung: Beschreibung eines Selbstmordversuchs


Schmiede dein Werkzeug gut! Mit Sorgfalt und Umsicht mag es gefertigt werden, sonst versagt es im entschiedenen Augenblick.




Was gestern noch brütende Wärme war, angereichert mit dem Versprechen auf weitere heisse Tage, ist in der Nacht abgekühlt wie eine vor der Zeit über den Bruchpunkt belastete Liebe.
Schwere Wolken hängen unheilverkündend über Löwenstein und lassen diesigen Nieselregen fallen, der sich dann und wann zu anhaltendem Regen auswächst und dann Bürger wie Freie gleichermaßen von den Strassen treibt.
Einer von Ersteren - zumindest laut der auf den heutigen Tag ausgestellten Urkunde - sitzt im Obergeschoss seines noch immer mehr als karg eingerichteten Hauses auf einem der von Ygritte besorgten und zurückgelassenen Stühle in Gesellschaft eines weiteren Stuhls, einer Flasche Schnaps und einem Strick. 

Die erste hat einen gleichberechtigten Sitzplatz auf dem anderen nach oben verlagerten Stuhl gefunden und dort bereits verdunstende Kreise klarer Flüssigkeit hinterlassen.
Der zweite ist mit einem Ende am Dachbalken festgeknüpft und die Schlinge baumelt ebenso einladend wie erwartungsvoll.

Es gibt freundlichere Einladungen, aber nicht in diesem Haus und auch wenn der getrübte Blick des Mannes immer wieder, wie in stummer Erwartung zum Fenster wandert und durch den Regenschleier hinüberblickt auf jenen Balkon auf der anderen Strassenseite, offenbart sich doch kein inspirierender Funken, keine erhellende Einsicht im beschrittenen Jammertal.

Zurecht - daran besteht für den Mann kein Zweifel.
Er hat schon früher getötet, aber das war etwas Anderes: Bezahlte Arbeit, der Einsatz gegen andere Bewaffnete, die das Risiko kannten und genau wie er darauf gewettet hatten unsterblich zu sein. 
Einer von ihnen war der Urheber der langen Narbe, die sich, vom Schlüsselbein beginnend, über die ganze Flanke bis zur Hüfte zieht, das Ergebnis einer Verwundung, die ihn schliesslich dazu brachte die Waffen zu strecken und die Söldlinge zu verlassen. 

Und nun sitzt er hier in der Gesellschaft von Flasche und Strick, unentschlossen, welchem er jetzt den Vorrang geben soll und er wählt - zuverlässig, wie immer in den letzten Stunden, die bereits bedenklich geleerte Flasche. Es ist absehbar, wann sie keine Alternative mehr darstellen wird und spätestens dann wird das Schicksal sehen wollen. Alle Karten sind gegeben. Nun bleibt die einzige Frage, wie er sie spielt.

Auch wenn die Erinnerung an die ganze Szenerie ein wenig verschwommen ist und er nicht mehr zusammenbringt, was .. anschliessend .. mit der Leiche der armen Frau passierte, weiss er gut genug, wie er das Leben aus ihr herausgedrückte und selbst jetzt, zwei Tage entfernt, erschaudert er von der schwachen Erinnerungen dieses machtvollen Gefühl: Der ungebändigte Zorn. Das ungerichtete Verlangen, die ganze gereizte Attitüde eines Hahns, der vor einem Kampf beginnt wild nach Körnern zu picken.
Vor dieser Einsicht indes gibt es kein Entrinnen: Er hat aus den niedersten Gründen, die man sich vorstellen kann, getötet. Er braucht keinen Blick in die Bullen von Reich, Lehen und Stadt um zu wissen, was das Gesetz von ihm hält, denn er selbst trägt den lila Rock Tag für Tag. Steht auf der anderen Seite. 

Ein Beschützer. Ein Wächter. Ein Versager.

Die Flasche ist leer und er weiss, es ist Zeit. 

Das Schlimmste, so gesteht er sich ein, während er den Knoten des Stricks sorgsam kontrolliert, ist noch etwas anderes, ein kleines, an sich unwichtiges Detail am Rande. 

Nein. Nicht der Anhänger.

Es ist die Gelöstheit. Der erste ruhige Schlaf seit langer Zeit, auch wenn er es nicht über sich gebracht hat irgendetwas zu essen in der Zwischenzeit. Das Gefühl wieder vollkommen Herr seiner Selbst zu sein, gesegnet mit einem kühlen Verstand und einem ausgerichteten moralischen Kompass, der unbeirrt nur in eine einzige Richtung zeigt.

Es ist Zeit. 

Ein letzter Blick durch das Fenster, während er den Strick festzieht. Keine Möglichkeit die eigenen Hände zu binden, aber er weiss gut genug, dass das nicht nötig ist. Wenn der Stuhl einmal fällt, wird der Kampf erbärmlich sein und entwürdigend, sich in die Länge ziehen, bis das Unvermeidliche eingetreten ist.
Er beneidet die arme Person nicht, die als nächstes dieses, nun gleich verwaiste Haus betreten wird.

'Vermutlich Ygritte.'

Innehalten. Der bohrende Gedanke, dass er noch immer zurück kann. Dass sich eine Lösung finden wird. Niemand muss erfahren, was passiert ist. Niemand.

Der Stuhl fällt und so tut es auch der Mann.


Flammen.


Gelegentlich hat das Schicksal tatsächlich ein Händchen für Ironie und so ist es in der Tat die gebeutelte ehemalige Mitbewohnerin, die den Wachmann einige Zeit später findet. Und das wiederum zerschlägt alle abendlichen Pläne sich in einer der billigeren Tavernen durch die Sammlung von Bränden zu trinken. 
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Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 24.02.2017, 13:58
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 25.02.2017, 14:39
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 26.02.2017, 14:34
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 27.02.2017, 23:26
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 28.02.2017, 17:40
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 01.03.2017, 18:04
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 22.06.2018, 13:25
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 23.06.2018, 22:54
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 24.06.2018, 22:39
RE: Südwalds Wacht - von Ygritte Ackermann - 25.06.2018, 17:51
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 27.06.2018, 19:29



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