Südwalds Wacht
#5
Mauern, soweit das Auge reicht. Gepflasterte Strassen, über die jeden Tag ungezählte Füsse wandern.
Nach all den Strapazen der zurückliegenden Jahre ist Löwenstein noch immer eine gewaltige Präsenz - direkt wie der Faustschlag eines Betrunkenen und von ähnlicher Subtilität. An allen Ecken findet man Echos der Einflüsse all der Menschen, die aus den verschiedenen Lehen hierher kamen um ihr Glück zu finden und ein Teil ihres eigenen Erbes mitbrachten.

Das kolossale Herz der Stadt ist aber mitnichten die Löwenwacht, die im Hintergrund ruht wie ein tatsächlich schlafender Löwe - dieser Tage noch mehr als früher - und auch nicht die Vogtei, wo die eifrigen Beamten sich durch einen Sumpf an Gesetzen und Regeln wühlen, der glücklich im vergangenen Jahrtausend wuchs.
Sich in einem solchen Übermaß an ausufernder Ordnung zu ergehen ist das Privileg der Zilivisation, die noch das kleinste Detail abzudecken versucht. Wo es nicht mehr um das eigene Leben geht, sondern nur noch am Stand und Besitz, hält die Spitzfindigkeit Einzug und wo Dreistigkeit auf den Versuch von Gerechtigkeit trifft, schwindet der gesunde Menschenverstand. Es ist das Feuer des Krieges, das diese Pflanze schliesslich wieder zurechtstutzt, sie von Trieben bereinigt und längst verdorrte Äste verbrennt.

Die Abschaffung des Stadtrates war ein solcher Kahlschlag, der erste harte Schnitt nach der Plage der Hexerkeuche, und dass der Aufschrei der Empörung so klein ausfiel, war ein Zeichen dafür, wie sehr die Auseinandersetzungen das Bürgertum bereits geschwächt hatten. Die Alteingesessenen hatten geblutet, bis sie unter all den frischen Einwanderern nur noch ein kleines ungehörtes Stimmchen waren.

So ist der Lauf der Dinge.
Nichts bleibt. Alles wandelt sich. Und dies, so glaube ich, ist das wahre Versprechen Mithras':

Dass die Menschen ihr Gesicht zur Sonne heben, heraus aus dem Schatten und den Banden schwelgender Erinnerungen. Ins Licht der Veränderung, die zur grössten Ordnung hinführt. Alles wächst. Alles gedeiht.
Aber es braucht die Hand des Schäfers, um die Herde zusammenzuhalten. Es braucht die scharfen Zähne des Hütehundes gegen die streunenden Wölfe.

Und dann und wann ist ein Feuer nötig.
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Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 24.02.2017, 13:58
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 25.02.2017, 14:39
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 26.02.2017, 14:34
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RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 01.03.2017, 18:04
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 22.06.2018, 13:25
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 23.06.2018, 22:54
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 24.06.2018, 22:39
RE: Südwalds Wacht - von Ygritte Ackermann - 25.06.2018, 17:51
RE: Südwalds Wacht - von Gerwulf Leuenberg - 27.06.2018, 19:29



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