FSK-18 Schlaflos
#8
Ich habe mir einen Namen verdient. Mehr als ein Jahr schlaflos. Mehr als ein Jahr ungesehen. Unbekannt, das vertraute Fremde zwischen Lämmern und Wölfen, immer hungrig, immer auf der Suche. Mein Name ist Bijoux.
Ich halte Abstand zu den anderen wie ein scheues Reh. Ich kenne sie nicht gut genug um ihnen zu vertrauen, und Nähe macht mitschuldig. Der schwarze Ritter beweist mir wie klug meine Entscheidung war, auch wenn ich Neid spüre. Er ist berühmt, ich nicht. Ich bin niemand. Lebendig und sicher, versteckt und fern jeder Gefahr, aber ein niemand. Ich kann mich nicht entscheiden ob ich lieber in Sicherheit oder berühmt und in Lebensgefahr wäre. Mein Mann befindet den schieren Gedankengang für völligen Blödsinn und sagt dass ich mir zuviele Gedanken mache. Wer nicht schläft, kann viel denken, erkläre ich ihm dann. "Dann helfe ich dir dabei, nicht mehr zu denken." Seine Worte, seine Taten. Ohne ihn wäre ich schon längst dem Wahnsinn verfallen.
Die nagenden Gedanken kommen allerdings immer wieder, lauter und eindringlicher als zuvor, spottender, scharfkantiger. Ist es wirklich meine Vernunft die mich leitet oder bin ich einfach feige? Wieviel Gefahr besteht wirklich für mich und den Leib den ich besitze? 
Wenn ich will - und wenn ich Schattenkraft dafür opfere - bin ich schnell wie ein Pferd im gestreckten Galopp, kurzzeitig sogar schneller. Ich kann durch Schatten kriechen wie ein Wurm durch einen Muskel, hinein an einer Seite, hinaus an einer anderen, durch die Welt die die Sterblichen "Spiegelwelt" nennen, und die sich so verdächtig heimisch anfühlt dass ich mich oft am Zaum nehmen muss um nicht zu verweilen. Mein Körper verliert zunehmend seine Identität, lässt sich formen und verzerren, sodass meine Opfer mir später nicht nachstellen können. Meine Wunden heilen viermal so schnell wie zuvor und der damit einhergehende Schmerz verliert zunehmend seine Zähne und seinen Schrecken. Selbst die verhassten Pelzbrüder sterben schneller als ich. Ich bin mir nicht einmal sicher ob ich wirklich sterben kann. Eines Tages werde ich vielleicht versuchen es herauszufinden, wenn die Welt mich ermüdet und mein Dasein mich langweilt, aber dieser Tag liegt in ferner Zukunft.
Was also habe ich wirklich zu fürchten?
Ich betrachte mich im Spiegel, fixiere einen Schopf von Haar der die Farbe noch nicht völlig geändert hat und verenge meine Augen bis er gehorcht. Meine Vorsicht verhindert dass ich die Hexer finde und ich weiß es. Die Vorsicht der Hexer verhindert dass sie auf meine Kontaktversuche reagieren, aber auch dieses Wissen bringt mich nicht weiter. Der Wolf und der Panther hatten mehr Erfolg als ich, selbst der schwarze Ritter fand mehr Zutritt zu den Dämonendienern als meine vorsichtigen Angebote, und ich bin stolz und arrogant genug um mich darüber beinahe selbst in Fetzen zu reißen. Wie können sie es wagen! Wie können sie es wagen, mehr Erfolg als ich zu haben?
Die Antwort ist einfach: Weil sie es wagen, im Gegensatz zu mir.
Das hübsche Gesicht im Spiegel verzieht die Miene zu einem wenig hübschen Ausdruck von Missgunst. Der Anblick gefällt mir nicht, aber ich schaffe es nicht ihn fortzuwischen. Es kommt wie es kommen muss, ich muss mein Versteck, meine Sicherheit, meine Schleicherei aufgeben, oder mich endgültig mit meinem Platz abfinden.

Ich verlasse das Haus wie stets erst Stunden nach der Dämmerung, erst nachdem ich sicher gestellt habe dass meine Nachbarn schlafen. Sich nicht wundern was die hübsche Blondine dort getrieben haben mag. Der Weg ist weit und nicht ohne Gefahren, aber die Strauchdiebe sind mir heute - wie zumeist - eher willkommen als zuwider. Kaum einer vermisst sie, und wenn ich den Großteil in die Flucht geschlagen und mich an meinem auserkorenen Opfer gelabt habe bis es tot zu Boden sinkt, ist die Beseitigung des einen Leibes eine schlichte Angelegenheit des Schleppens. Schuldgefühle wegen des Ablebens eines Sterblichen habe ich schon vor meiner Wandlung nicht empfunden, und den letzten Ekel gegenüber der dreckigen, ungewaschenen Leiber hat mein Hunger mir schnell aberzogen. Nun sind sie nicht mehr als lästiges Gewicht das mir im schlimmsten Fall Ärger bereiten könnte, im besten Fall die lokalen Wölfe füttert und sie so von den Höfen fern hält.
Ich weiß wo der schwarze Ritter sich herumtrieb bevor das Pflaster zu heiß wurde, also beginne ich dort. Sehe mich um, wittere in den Wind. Meine Sinne sind nicht so scharf wie die der Pelzbrüder, zumindest nicht die körperlichen Sinne, aber mein Blick fürs Detail wurde nur noch geschärft, so sehr geschärft dass ich mich manchmal überfordert fühle. Ich nehme mir viel Zeit dafür, zwei Stunden, tarne mich als auf Kräutersuche wenn andere Nachteulen vorbei kommen, meine Aufmerksamkeit gilt allerdings den Trampelpfaden, Wegen, Fußabdrücken, geknickten Halmen, gestampftem Schnee, unüblichen Wuchsformen von Hecken.
Dann, als ich glaube mir sicher zu sein dass ich den richtigen Ort gefunden habe, sehe ich mich hastig um und deponiere meine Last. Ich habe lange darüber nachgedacht wie ich die Hexer auf mich aufmerksam machen soll, wo ich sie am Besten treffen kann, wo ich die besten Fluchtmöglichkeiten hätte, wo die wenigsten Unbeteiligten vorbeikommen würden. Die Auswahl war zuviel für mich, also habe ich es schlicht gehalten.
Ich bin nicht dumm. Ich nagle den Aushang nicht direkt dorthin wo ich das Schlupfloch der Hexer vermute, sondern an die Kreuzung davor, an den Ort wo die meiste Gelegenheit besteht, dass ein Hexer ihn lesen könnte. Das Geschenk verberge ich allerdings unter einem Stein den ich extra in den Weg lege, den ich so mühsam ausgespäht habe. Das Dämonenhorn glitzert unnatürlich im Mondschein. Kurz nage ich mir auf der Unterlippe, wäge ab ob mein Vorrat solche Großzügigkeit wirklich erlaubt, dann schüttle ich mich. Natürlich tut es das. Ich habe noch eine Ewigkeit vor mir, ich kann neue Dämonenhörner besorgen.
Die letzten Spuren werden verwischt, dann ziehe ich noch das zerrupfte Hemd meines Abendimbisses darüber um die Pelzbrüder auf falsche Ideen zu bringen und ziehe mich zurück.
Ich bin Bijoux, und ich bin nicht mehr lange unsichtbar.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Schlaflos - von Vertigo - 24.09.2016, 03:01
RE: Schlaflos - von Vertigo - 25.09.2016, 23:28
RE: Schlaflos - von Vertigo - 13.10.2016, 14:13
RE: Schlaflos - von Vertigo - 23.10.2016, 03:43
RE: Schlaflos - von Vertigo - 18.12.2016, 19:49
RE: Schlaflos - von Vertigo - 24.01.2017, 05:51
RE: Schlaflos - von Vertigo - 09.05.2017, 17:58
RE: Schlaflos - von Bijoux - 04.01.2018, 17:15
RE: Schlaflos - von Bijoux - 02.06.2018, 02:54
RE: Schlaflos - von Bijoux - 25.03.2019, 18:09



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste