FSK-18 Yngvar
#25
Die Nacht hatte ihren Mantel noch längst nicht vom Antlitz der Welt gezogen, als die schweren Schritte des Sonnenlegionärs den Marktplatz durchmaßen. Seine Schritte fanden ihren grollenden Widerhall an den hohen Wänden der umstehenden Gebäude und die Silhouette des menschgewordenen Bronzegolems war nicht mehr als ein kriegstreibender Schatten, der an dem Lichtschein der Nachtwachen und vereinzelt durch die Nacht hastenden Bürger, vorbeizog. Die hastigen, schnell und unterwürfig leise gesprochenen Grußformeln schlichen sich nur als Randerscheinung des Hintergrundrauschens einer verräterischen Stille in den Kopf des Sonnenlegionärs, der auf die trivialen Grußworte der Menschen – einer Herde Schafe unter aus Dunkelheit geformten Wölfen – nur ein tiefstimmiges Brummen von sich gab. Erst vor den Stufen des Tempels, der schon seit Jahrhunderten das Symbol für den Sieg des allgegenwärtigen Herren Mithras war, hielt der Krieger inne und richtete seinen Blick gen Himmel. Sein Blick richtete sich dorthin, wo einzelne Wolken den Mond und die Sterne immer wieder in ihren Schleier zogen und sie dem Blick der Menschen zu verwehren suchten. Man hätte meinen können, dass den Dienern des Lichtbringers die Nacht zuwider gewesen wäre, doch waren es eben diese Augenblicke, in denen sich die unerschöpfliche Lichtlosigkeit über die Welt ergoß, in denen sie doch nie vollkommen sein konnte. Es waren Augenblicke, in denen das Licht und die Herrlichkeit Mithras' sich als die unbeugsamste Kraft aller Welten und Ebenen entpuppte und selbst in absoluter Dunkelheit dem Auge noch ein Lichtlein schenkte – das selbst dann noch da sein würde, wenn der Schleier der Wolken sich verzogen und ins Vergessen entschlafen war.

"Selbst in tiefster Nacht scheint ein Licht, oh Herr, denn die Dunkelheit ist von schwacher Natur. Sie ist eine Flut, die sich nicht selbst zu lenken vermag, ein Wesen der Unordnung, dass zwar groß aber beugsam und dem Licht stets unwissender Untertan ist." waren die abschließenden Worte, die der Krieger mehr zu sich selbst als einer bestimmten Person in den Nachthimmel raunte. Eine Bekräftigung dessen, was er sah, hörte – und tief in seinem Herzen empfand.

Yngvar hatte mit Jakobine über unüberwindbare Mauern gesprochen und bisweilen hatte der Sonnenlegionär den festen Glauben, dass es selbst den Mächten der Dunkelheit so gehen musste und dass auch sie die Verzweiflung kannten, das nicht überwinden zu können, was da unüberwindbar sein musste.

Und wenngleich es der offensichtliche Weg gewesen wäre, so fanden die Schritte des Kriegers ihr Ende nicht am Altar des Herren, sondern folgten nach dem Nachtgebet ihrem Herrn in die Katakomben der Kirche. Der mittlerweile vereinsamte Stuhl, den er sich zu Zeiten, in denen man Hinweise auf die Ermordung des Erzpriesters Greiffenwaldt gefunden hatte, dorthin geholt hatte, wirkte wie ein Thron der mit unheilsbringenden Gedanken lockte und doch die Lösung verhieß, die eine Nacht nicht bringen konnte, wenn man sie mit dem Schlaf der Gerechten auffüllte. Alleine mit sich und dem alten, geheimen Wissen der Kirche, in völliger Stille, schloss der Krieger die Augen und ließ die grabesgleiche Luft des Raumes in seine Lungen strömen. Als der gerüstete Kämpfer sich schließlich auf dem Holz niederließ, dass bereits so viele schwere Gedanken des Kriegers mitgetragen hatte, war die Entscheidung, die Pforte, hinter der nur Schatten und so wenig Licht liegen konnte, bereits in weite Ferne gerückt.

Die vergangenen Jahre hatten gezeigt, dass die Kirche einem stetigen Wandel unterworfen war, in dem ihre Diener sich in den Monden des Friedens zurückzogen um Kraft zu finden und sich für die Aufgaben zu rüsten, die da kommen mögen. Nach dem Blutkonklave und dem Tod des Bewahrers wäre am Ende auch eben dieser Umstand wieder eingetreten, wenn nicht eine kleine Gruppe von Legionären diesen ehernen Zirkel zu durchbrechen gewusst hätte. Der Verschlossenheit und Abkehr der altehrwürdigen Kirchendiener zum Trotz, hatte sich Yngvar Stein als Fackel bewiesen, die sich dem drohend über dem Tempel thronenden Schlaf und der Stille der Kirche zu widersetzen gewusst hatte. Die Novizinnen – und damit schloß er gedanklich bereits die bislang noch als Anwärterin geführte Jakobine Dunkelfeder mit ein – waren dabei zu seinen steten Pfadbereitern geworden. Er hatte, erstmals seit Monden, das Gefühl, dass die Sonnenlegion wieder in geordneten Bahnen arbeitete. Es war Fortschritt erkennbar. Jeder hatte eine Aufgabe und einen Platz, der ihm zugedacht war – selbst der Sonnenlegionär, der, eingedenk der anderen Aufgaben, denen sich seine Brüder widmeten, nun de facto die Spitze der Sonnenlegion verkörpern musste. Wollte er nicht, dass der Tempel wieder der Verwaisung anheim fiel, musste er die jungen Frauen die Mithras ebenso sehr liebten wie er mit der Strenge führen, die einem Ordensmeister würdig war – und den die Legion so sehr nötig hatte. Es war keine Zeit gewesen über Stellungen, Ränge und Aufgabenzuweisungen nachzudenken und was Yngvar anging, würde diese Zeit auch noch lange nicht kommen – spätestens jetzt, wo die Zeit des Friedens vorüber war und das Unaussprechliche seine Rückkehr angekündigt hatte.

Nein – diese Zeit durfte sich nicht wiederholen und die Sonnenlegion durchmaß das Meer dieser Wogen aus fürchterlichen Grausamkeiten derzeit mit ihm am Steuerrad. Die heilige Kirche war eine Handelskogge in schwerer See und sie führte nur eine einzige Ware mit sich: Den Willen, alles was den bleichen Truchsess in diese Welt geholt hatte, zu vernichten und zu beseitigen. Und die Sonnenlegion würde solange in Blut kassieren, bis der letzte Fetzen widernatürlichen Schleims aus der Welt getrieben war.

"Sieh, denn ich bin Dein Unterhändler. Meine Währung ist das Blut der Ungläubigen und ich sammle es gewissenhaft. Es befeuert die Fackel Deiner Herrlichkeit, oh Lichtbringer, und begründet Dein Reich auf den Säulen der Furcht, die Deine Feinde empfinden."

[Bild: 5e34d4710199d1d242571b074d5fc61a.jpg]
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Yngvar - von Gast - 21.12.2015, 22:09
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