FSK-18 Yngvar
#22
Bisweilen war Löwenstein ein Sammelsorium an Merkwürdigkeiten, ein riesiger Tiegel an Gaukelei und falschen Tänzen, die sich trotz eifriger und gegenteiliger Bekundungen stets darum mühten, den Blick auf das zu verklären, was unter den vordergründigen und viel zu leichten Wahrheiten der Stadt liegen mochte. Als der Sonnenlegionär zustimmte, einer Stadtwache nach Candaria zu folgen um sich den dortigen Kultisten entgegenzustellen, hätte er jedoch nicht gedacht, dass auch diese Zusammenkunft sich eigentümlicher entwickeln würde, als zunächst gedacht.

Es hatte eine Lektion werden sollen, eine in Glaubenstreue, Demut und Vertrauen – und vielleicht auch Etikette. Im Flüsterwald hatte die Rekrutin bewiesen, dass sie ihr Herz am rechten Fleck sitzen hatte, wenngleich ihr offenkundig maßgebliches, taktisches Feingefühl fehlte. Die erste Überraschung an diesem Abend war, dass sie dem Lehen der Hierokraten entstammte – eine Tatsache, die den Krieger kurz überdenken ließ, ob es weise war, mit ihr in den alten Stollen hinabzusteigen, wusste man doch diesseits der Grenzen um den verdorbenen Kern dieses Reiches und der potentiellen Gefahr, die von jedem ausging, der sich stolz zum Verräterlehen bekannte.

Der Legionär entschied jedoch, dass der Herr vielmehr dafür gepriesen werden musste, dass die Rekrutin den Weg nach Löwenstein gefunden hatte. Eine Chance, ein winziges Aufglimmen, dass dazu dienen könnte, der Kämpferin die Wahrheit näherzubringen, sie ihrer Heimat zu entfremden und sie wie einen Setzling in das Herz Löwensteins zu pflanzen. Es würde einiges an Hege und Pflege brauchen, doch, so hatte Yngvar Stein gelernt, waren stets die Bäume die prachtvollsten, die man selbst gepflanzt hatte. Die folgenden Kämpfe sollten also zeigen, ob die Kämpferin das Potential besaß, ein Baum zu werden oder sich wie ein welker Bodendecker über das Gehölz der Stadt schlingen würde.

Die ersten Kämpfe im Stollen boten ein übliches Bild. Es war ein fester, verankerter Ritus. Zu Beginn spürte man die Gegenwehr der Wahnsinnigen, die diesen Stollen bewohnten zwar, doch kroch die Einschüchterung mit jedem Gefallenen etwas stärker in die Diener der dunklen Kriegerin. Die Rekrutin kämpfte tapfer, doch wäre es vermessen gewesen zu sagen, dass sie einen maßgeblichen Anteil am Ausgang hatte – bis das ungleiche Duo in die zweite Ebene hinabstieg. Sie beide hatten bis dahin ein zumeist stilles und zweckmäßiges Zwiegespräch im Schein ihrer Waffen geführt. Nur die nötigsten Worte, wie zwei Raubtiere, die sich im Schein der Dunkelheit durch ein Schaf nach dem anderen rissen.

Der Widerstand war tiefer in der Mine jedoch unerwartet höher gewesen und die Rekrutin war die erste, die unter dem stetigen Aufeinanderprallen des Stahls erste Anzeichen von Ermüdung zeigte. In einem schmalen Engpass schließlich, begannen die Wahnsinnigen, die Kultisten, die Diener der schwarzen Mutter, auf sie einzuströmen. Ein schwarzer Fluss, der, gleich geöffneten Fluttoren, nicht zu versiegen schien. Der erste Schlag, der die Rüstung des Kriegers durchschlug markierte das vorzeitige Ende des Raubzuges. Schlag um Schlag durchdrangen die schwarzen Schergen den Panzer des Kriegers, in einer Schnelligkeit die ihm keinen Gedanken daran erlaubten, was passieren könnte, wenn er fiel. Was jedoch sicher sein würde, war, dass es hier passieren würde und er hoffte, ja sich sogar sicher war, dass die Frau aus Silendir das Weite suchen würde. Es war recht – sie würde ihrer Natur folgen und überleben. Der Krieger spürte sich taumeln, ein dumpfer Schlag gegen den Helm folgte und das fanatische Brüllen und Fluchen war plötzlich in weiter Ferne, als der Körper zusammensackte und im Staub in sich zusammenfiel. Der Körper folgte den mechanischen Gegebenheiten zu vieler Verletzungen und aus dem Seitenblick ergoss sich der schwarze Tross weiter, immer wieder, hinaus zu der Tür wo … die Rekrutin noch immer stand? Die dunklen Augen des Kriegers hefteten sich auf die unbarmherzig und unbeugsam kämpfende Kriegerin, die, obwohl es aussichtslos war, versuchte, die Schar an Kultkriegern niederzurringen. “Renn, du tapferer Laie!” war sein einziger Gedanke, unausgesprochen und kraftlos – und natürlich gehorchte die Rekrutin nicht. Schlag um Schlag begann auch ihr Leib nun, in rapider Schnelligkeit unter den Schlägen einzuklappen.

Unverständnis rang mit aufkeimendem Zorn in Geist und Seele des Kriegers. Die berechnende, kühle Art des Mannes, der jeden Schlag zuvor wohlüberlegt gesetzt hatte, begann einem Feuer Platz zu machen, dass förmlich von der unbeugsamen und tapferen Art der Kämpferin gespeist wurde, ja sogar einforderte, dass er sie nicht in dieser Höhle ihrem Schicksal überlassen durfte. Es war Scham genug, dass die Kämpfer ihn überrannt hatten und ihn vermutlich in die Tiefen der Miene verschleppen würden – doch keine ihm anvertraute Seele durfte ein solches Schicksal ereilen. Mithras beschützt. Mithras ordnet. “Bald.” war der einsilbige Kommentar, der seinen Geist wieder in die Bahnen des Hier und Jetzt lenkte. Ein Gewimmel aus schwarzgewandeten Rücken tummelte sich vor der Kämpferin, die in jedem Moment niedergehen würde.

Und wie für jeden Tag eine Nacht anbricht, erhob sich der Legionär im Gleichklang zum in sich zusammenfallenden Leib der Rekrutin. Von hinten mochte es gewirkt haben, als türme sich, Fels für Fels eine brodelnde Wand aus Zorn und Hass auf, die man in ein Konstrukt aus Wappenrock und Rüstung gewoben hatte, um einen heiligen Auftrag zu vollenden, der gerade erst begonnen hatte. Die auftürmende Gestalt von Yngvar Stein erhob seine Klinge wie ein Dirigent, der kurz vor seinem Magnus Opus stand und mit einem Paukenschlag, brüllend und schreiend seine Klinge auf den ersten Kultkrieger niederfahren ließ. Das beidhändig geführte Breitschwert sang sich, vibrierend, hackend, schneidend, in die Schulter des Kämpfers und sackte bis in den Torso hindurch, ehe die Klinge rückwärts und Schräg zum Wundkanal aus dem Leib geführt wurde. Ein Fußtritt in den Rücken beschleunigte die Rückholung der Waffe und ließ den in wenigen Momenten verendenden Leib zu Boden sacken. Dem Rest der zum Teil verletzten, zum anderen Teil vollends überraschten Schar erging es ähnlich und gleich einer schwarzen Wand, die man mit einer Spitzhacke Stück für Stück einreisst, fielen die Kämpfer unter dem unerwartet auferstandenen Krieger zum Opfer, dessen steinerne Fassade gänzlich abgefallen und einer fürchterlichen Wut gewichen war, an dessen Ende ein Haufen toter Leiber stand, über denen der Streiter wie ein Unwetter thronte, schwer atmend, geschunden und mit Blut und Schmutz befleckt.

Die Flut war vergangen – und das einzige Wesen, das noch immer wie ein nach Luft ringender Fisch auf dem Boden zappelte, sich dem Unvermögen des eigenen Körpers nicht beugen wollte, war die Rekrutin. Die Tapfere, diejenige, die nicht akzeptieren wollte, ihren Mitstreiter am Boden liegen zu lassen, die Verräterin, die am Ende doch niemanden verraten hatte. Das Raunen der Kultisten trat in eine weite Ferne, als der Legionär über die Leichen hinweg zu der um Luft ringenden Kriegerin trat. Die dem Wahn verfallenen hatten sich in die dunklen Ecken und Schatten ihres Gewölbes zurückgezogen – für den Moment. Gleich einem Schwarm Insekten, die darauf lauerten, sich auf das Aas zu stürzen, waberten sie durch die Schatten der Umgebung. Spürbar. Hörbar. Aber doch für diesen Moment nicht Teil der Welt.

Die Klinge des Kriegers wurde mit einem Schlag in den Boden gerammt und es schien beinahe so, als beschreibe das Vibrieren des Stahls eine schützende Glocke um beide, undurchdringbar für die Häscher in Schwarz. Die Kriegerin indes, öffnete ihre Augen – Unglaube darüber das der Kämpfer noch am Leben war, Verzweiflung und der Drang, das Gewölbe zu verlassen, schnell, kopflos, umfing die Kämpferin. “Noch nicht.”

Beruhigende, beschwichtigende Worte ereilten die Rekrutin, die sich in ihren Kopf so zähflüssig vorarbeiteten, wie abgestandenes Öl, am Ende jedoch den Gedankenapparrat genug schmierten, um zu begreifen, was passierte. Sie war geschwächt – zu geschwächt. Jeder weitere Kampf konnte das wirkliche Ende bedeuten – dass sie beide noch lebten war nicht weniger als eine Fügung des Herrn. ”Es ist an der Zeit. Tu es jetzt.

Eine Hand legte sich auf die Kettenwehr der Kämpferin, während der gepanzerte Krieger Worte des Gebets und der Einkehr blechern und wiederhallend in die Glocke des kleinen Schlachtfelds sprach. Die Welt schien sich mit jedem Augenblick, den sich Yngvar Stein weiter dem Reich des Herrn als Gefäß andiente, weiter zu entrücken. Die Hand auf den Leib der Kriegerin gelegt, dauerte es nicht lange bis seine Hand etwas Unkörperliches zu greifen bekam, gleich einer fernen, stofflichen, aber unsichtbaren Existenz, die in und über der Welt des Assam lag, an das sich der Krieger klammerte. Die Wunden der Kämpferin traten vor sein Auge, die Erschöpfung, das Rasseln des Atems und die Verzweiflung – beklagenswerte Zustände wie auch Trophäen, die in einem Kampf für nicht weniger als den Lichtbringer erstritten wurden. Wunden die aufgetreten waren, wo sie nicht sein sollten, Erschöpfung, wo sie nicht einhalten sollte, Verzweiflung wo Standhaftigkeit den Leib beherrschen sollte.

Das Bild formte sich mit jedem neuen Wort des Gebets zu einem festen Konstrukt, einem das der Krieger, in diesem Moment völlig der Welt entfernt, in den Leib der Kämpferin manipulierte, die da vor ihm lag. Wenngleich Sagen und Legenden davon künden, die heilende Kraft des Herren könnte selbst Tote wiedererwecken, so war der Zweck hier ein anderer: Die Wundheilung würde schneller einsetzen, aber nicht auf wundersame Art und Weise wieder zusammenfügen, was nicht zusammengehörte. Es würde Linderung eintreten, Kräfte würden schneller zurückkehren – aber ihr Leib würde dennoch nach Erholung schreien, würden sie einmal das Gewölbe verlassen haben.

Und das taten sie – unter den Schreien und dem wahnsinnigen Gackern der Krieger schlugen sich die Rekrutin und der Legionär durch das Gewölbe bis hinauf an die Luft und zurück bis zur Grenzfeste. Bis zu dem Ort, der die erste Bastion und sichere Unterkunft markieren würde. Den Ort, an dem es den Gliedern endlich gestattet war, sich zu erholen.

Die Gliedmaßen des Legionärs hatten indes schon lange aufgegeben und waren alleine durch die Willenskraft des Mannes vorangetrieben worden, hatten sich schreiend in ihrer eigenen Mechanik seinem Willen gebeugt und forderten nun, in der Festung, ihren Tribut für gnadenlose Überbeanspruchung. Obwohl es Betten in der Festung gab, hatte keiner der beiden Kämpfer mehr den Willen auch nur noch eine Stufe zu erklimmen – nein. Ein paar Felle, die beiden langen Bänke und ein Rest Suppe aus dem Schlauch des Kriegers mussten genügen, bis der Schlaf beide einholte. Ein letzter Akt der ewigen Wacht, der sich Yngvar Stein verschrieben hatte, als er mit müden, bleiernen Augenlidern abwartete, bis die Rekrutin, gefällt von den Strapazen, eingeschlafen war – nur um sich dann selbst die Schwäche des Schlafes zu gönnen, nicht ohne wenigstens mit einer Fingerspitze den Knauf seines Schwertes zu berühren, der neben der Bank lag.

Der Schlaf war in dieser Nacht ein tiefes Loch, das so dunkel und dessen Fall so tief und schnell war, dass der Krieger das Gefühl hatte, mehrere Tage durchgeschlafen zu haben, obgleich lediglich das Rumpeln vorbeifahrender Marktkarren an der Grenzwacht den neuen Tag angekündigt hatten. Mit noch immer ermatteten Gliedern erhob sich Yngvar und begann eher reflexartig als wirklich bereits wieder im Reich der Lebenden angekommen, einen Kräutertee aufzusetzen und seinen letzten Proviant zu plündern. Und so wird Kayra Greifengart, als sie wieder erwacht, einen Becher, die dampfende Kanne Tee und einen Apfel auffinden. Daneben findet sich eine kurze Notiz:”Erst in der dunkelsten Stunde offenbaren wir bisweilen unser wahres Wesen, an dem man uns bis zum Ende unserer Tage messen lassen soll. - Y. Stein.”

So Kayra die Festung an diesem Morgen erkunden wird, dürfte sie nach einigem Forschen feststellen, dass Yngvar zwar das Kaminzimmer verlassen hat, stattdessen aber nun in dem schmalen Bett der Kommandatur liegt und so tief und ruhig schläft, dass er nur mit schweren Geschützen zu wecken gewesen wäre. Einige Pergamente, Notizen und Pläne zeigen, dass er in den letzten Stunden nicht nur Tee bereitet, sondern offenbar auch Schriftstücke bearbeitet hat, die auf Arbeiten an der Grenzfestung hindeuten – bis der Körper am Ende doch einen Nachschlag gefordert haben dürfte.

Im Gegensatz zum Zeitpunkt als sie einkehrten, liegt die Wehr nun sauber aufgeschichtet neben dem Bett, der Wappenrock wurde sorgsam gefaltet obenauf gelegt, während der Leib des Kriegers unter diversen Laken und Fellen vergraben ist. Nur das tiefe, Ein- und Ausatmen, der stetige Tausch der kalten Luft, die sich an der Grenze Candarias zu Löwenstein mischt, ist hörbar, So viel wie Mithras zu geben scheint, nimmt er sich offenbar bisweilen auch wieder.

[Bild: uo-age-of-shadows-1.jpg]
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Yngvar - von Gast - 21.12.2015, 22:09
Im rechten Licht - von Gast - 02.01.2016, 13:06
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