FSK-18 Das Beste In Uns
#2
Nachtigall

Wir waren nur noch wenige Tagesmärsche von Servano entfernt, wenngleich weder ich noch mein Begleiter wussten, wie wir die Sumpfwiesen in die abgeschotteten Lehen der Hauptstadt verlassen sollten. Die Kunde, dass die Grenze zwischen Hohenmarschen und Servano noch immer geschlossen war, war beileibe nicht neu und dennoch hatten wir uns darauf verständigt, dass ein Plan sich schon offenbaren würde, wenn wir einmal dort waren. Damit folgten wir zwar nicht unserem sonstigen Muster von Vorsicht und Vorsorge, aber in dieser speziellen Situation blieb uns vermutlich keine andere Wahl.

Darüber hinaus fürchtete ich, dass die armen Idioten, denen wir die Wetteinnahmen streitig gemacht hatten, aus Verärgerung und - was vermutlich schlimmer war - verletztem Stolz, irgendetwas tun würden, was unseren längerfristigen Aufenthalt in den Sümpfen vermutlich zu gefährlich machen würde. Dieser Umstand betrübte mich zusehens, da ich förmlich spüren konnte, dass wir uns einer der vielen rastlosen Seelen aus den Sümpfen genähert hatten und ich das erste Kapitel unseres Kreuzzuges gegen den ruhelosen Horror gerne hier eröffnet hätte. Die Gerüchte, die ich vor dem Kampf in der Grube über eine alte, dem Sumpf entstiegende Leiche gehört hatte, klangen zumindest so, als könnte auch eine schartige Klinge damit fertig werden. So stapften wir noch eine Weile durch die ereignislose Nacht - immer auf dem Weg gen Grenzfeste und hingen unseren Gedanken nach, wobei ich mich hier korrigieren muss: Ehrlicherweise wäre zu bemerken, dass ich meinen Gedanken nachhing und mein Begleiter diese mit dem stetigen Summen eines alten Kinderliedes untermalte, das sich offenbar in den Niederungen seines Kopfes festgesetzt hatte. In Verbindung mit der mondlosen Nacht und dem stetigen Knirschen unserer Stiefel auf der Handelsstraße wurde die Atmosphäre vor allem auch nicht behaglicher. Als mein Begleiter darüber hinaus mit seiner tiefen, monotenen Stimme auch noch zu singen anfing, beschlich mich einmal mehr das Gefühl, er könne diese Momente des Unbehagens bei mir riechen, wie ein Tier die Angst bei der Beute riecht. Aus welchen Gründen auch immer er diese Situationen mit nahezu unheiliger Präzision erspürte, meine Nackenhaare stellten sich mit jedem weiteren, bassigen Wort auf und stellten damit sicher, dass die Nacht für mich keinen Schlaf bereithalten sollte.

"Des schwarzen König Mann',
stahl'n ihm sein' Sohn und Weib,
auf des Herrschers Geheiß,
um des Blutes Schande, zu erneuern' die Bande,
wo die Nacht den Nebel flieht.

Zieht die Leiber höher Mannen,
den Baum hinauf,
neue Soldaten brauch' der Herr,
niemals soll'n sie sterb'n."


Die letzten Worte ließen mich erschaudern und ich überlegte ob ich mich an dieses Lied in dieser Form überhaupt erinnerte. Es weckte eine irrationale Form der Vertrautheit, die sich mit der Angst paarte, das Aussprechen der Worte könnte, einer uralten Beschwörung gleich, die Schrecken eines fernen Landes in das Hier und Jetzt befördern, insbesondere da der tiefe Tonus meines Begleiters den Worten etwas lockendes, forderndes schenkte. Jedes Wort weckte unwillkürlich das Bild einer einsamen Flamme, die solange an einer Papierspitze entlang leckte, bis sich das schneeweiße Papier schwarz färbte und - sich diesem Zustand vorher gänzlich entbehrend - vollständig entflammte. Tatsächlich konnte ich diese diffuse Angst mit einer Vielzahl von Bildern vergleichen, die allesamt die gleiche Botschaft sendeten:"Tu' es nicht. Es ist besser, nicht mit diesen Dingen zu spielen."

Als ich mit in den Gesang einstieg, ich erinnere mich als wäre es gestern, empfand ich dieses Gefühl eines fernen Schwindels, genau so wenn man vor einem tiefen Abgrund steht und sich überlegt dort hinunterzuspringen, es aber am Ende doch sein lässt. In dieser Nacht hoffte ich, dass mein Begleiter mich nicht an einen solchen Abgrund führen würde, merkte ich doch erstmals wie hörig ich ihm eigentlich war. Gemeinsam sangen wir erneut und diesmal lauter, hörbarer:

"Zieht die Leiber höher Mannen,
den Baum hinauf,
neue Soldaten brauch' der Herr,
niemals soll'n sie sterb'n."


Und obwohl ich mich fragte, woher die Worte eigentlich kamen, rollte das Lied bei uns beiden textsicher durch die Nacht, während wir uns einer beschworenen Schlange gleich, durch die Pfade eines schlafenden Lehens wanden.

"Weit und urbar des Königs Land,
vom Blute seiner Diener betrunken,
liegt es schlafend still,
hör' das Herze Pochen, das Rasseln der Knochen,
wo unser Schicksal liegt.

Zieht die Leiber höher Mannen,
des Königs Feind',
soll nun ein Bruder sein,
niemals wer'n wir sterb'n."


Die Nacht war nicht nur mondlos sondern auch geräuschlos geworden, als unser schräger, hypnosegleicher Gesang abebbte und wir mitten auf dem Weg zum Stehen kamen. Mein Begleiter und ich begannen uns zu orientieren und ich konnte sehen, dass auch er vollkommen vergessen haben musste wie lange und wohin wir gegangen waren. Meine Nackenhaare machten jedoch keinerlei Anstalten sich zu beruhigen, als ich in der Ferne durch die verdrehte Flora des Sumpfes hindurch die ersten Strahlen der heraufziehenden Dämmerung sehen konnte, meine letzte Erinnerung jedoch die von einer tiefschwarzen Nacht war.

In mir keimte eine leise Panik auf, als ich fürchtete, wir könnten uns tatsächlich verlaufen haben oder - was noch schlimmer war - vielleicht sogar auf einem von diesen Schlangenpfaden wieder in Richtung der Siedlung gegangen sein. Der einzige Lichtblick, der sich mir und meinem Begleiter bot, war der ferne Geruch von Feuer und der Lichtschein, der in einiger Entfernung am Wegesrand zu sehen war. Als wir uns dem Feuer näherten, hofften wir beide dass man uns nicht für Wegelagerer hielt und eine Auskunft nach dem Weg nichts war, was unbezahlbar sein würde.

[Bild: tumblr_muqjr1Stbs1shhkyoo1_500.jpg]
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Das Beste In Uns - von Gast - 08.12.2015, 18:40
Das Beste In Uns Pt. 2 - von Gast - 10.12.2015, 12:09
Das Beste In Uns Pt.3 - von Gast - 14.12.2015, 17:40



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