Ein Drachen für ein Kinderlachen...
#2
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Es mag vielleicht die achte Morgenstunde gewesen sein, als sich die Fenster in der Schneiderei öffneten um die letzten warmen Strahlen Sulis‘ in diesem Jahr herein zu lassen. Sie hatte bereits gefrühstückt, das Kätzchen versorgt und den Haushalt auf Vordermann gebracht. Ja, es war kein Gerücht. Des Schneiders Nächte waren wirklich kurz. So vorbereitet, griff sie beherzt nach der großen Schere. Dieser Auftrag machte ihr wirklich Spaß. Er fiel aus dem Rahmen des täglichen Trotts, förderte das eigene Kind zu Tage und regte endlich einmal wieder zu einer Unmenge an Ideen und Fantastereien an. Sorgfältig und peinlich genau, fuhr die Schere an den Rändern des Schnittmusters entlang, um die auf Papier gebannten Formen zu befreien. Sie schnitt eine großzügige Bahn von der dicken Leinenrolle ab und eine kleinere von der groben Jute. Sorgfältig gefaltet, legte sie sich jene über den Arm, schnappt sich den roten Farbtiegel und den Tüncheimer um sogleich aus der Ladentür um die Ecke zum Waschplatz zu huschen.

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Das war das größte Qualitätsmerkmal an dem neuen Haus in Ravinsthal. Der angrenzende Waschplatz. Nie wieder schwere Lederlagen durch das halbe Viertel schleppen und noch weniger schwere Wassereimer. Den einzigen Schaden dabei hatte ihr Nachbar Aki, der sicher hin und wieder unter der Geruchsbelastung litt, aber sich seltsamerweise noch nie darüber beschwert hatte. Dabei beschwerte er sich doch gut und gerne, der alte Griesgram.

Am Waschplatz angekommen, füllte sie den Eimer mit frischem Wasser, zerbröselte die rote Farbe hinein und rührte ihn mit den altbekannten, inzwischen in sämtlichen Farben schillernden, Stecken um, bis sich das Farbpulver gänzlich aufgelöst hatte. Dann tunkt sie nacheinander die Stoffe ein, walkte sie ordentlich durch, bis sie die Farbe gänzlich aufgesogen hatten. Danach wurden sie mit festem Griff ausgewrungen und zum trocknen auf die Leine gehangen. Diesmal würden sie wohl nicht mehr so schnell trocknen, wie im Sommer in Löwenstein, aber spätestens zum frühen Abend hin wären sie dennoch endlich in dem rechten Zustand, um sie weiter verarbeiten zu können, dafür würden die launischen Herbstwinde im Tal schon sorgen.


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RE: Ein Drachen für ein Kinderlachen... - von Carmelina Tartsonis - 14.10.2015, 08:13



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