FSK-18 Im Strudel der Zeit
#3
Ravinsthal; jüngere Vergangenheit

Ich war schon immer anders als andere Kinder in meinem Alter. Ich hörte Worte, die niemand sprach, sah Dinge, die für andere Augen unsichtbar waren. Da man mir aber immer schon eine blühende Phantasie nachgesagt hatte, machte ich mir keine großen Gedanken darüber. Immerhin spielten auch andere Kinder mit ihren imaginären Freunden oder sprachen mit ihren Haustieren.

Doch die Blutkonklave änderte alles. Niemals zuvor hatte ich so eine existentielle Angst verspürt wie in den Tagen in Löwenstein. Selbst als mich der Unbekannte, der sich später als mein Vater herausstellte, meinen geliebten Großvater zum Weinen gebracht und mich faktisch gewaltsam von der mir damals einzig bekannten Familie auf Svesur weggezerrt hatte, hatte ich nicht solche Panik gehabt. Es war gleichsam ein Gefühl der Hilflosigkeit. Was hätte ich, ein kleiner Tunichtgut von sechs Jahren, auch gegen die Bleichen anrichten können? Es war in meinen Augen - und das auch noch heute - ohnehin ein Wunder, dass wir diesem Alptraum damals lebend und einigermaßen unbeschadet entkommen sind.

Mutter konnte sich aufgrund ihrer Verletzungen eine geraume Weile weder um den Hof noch um meine Schwester und mich kümmern und Vater gab uns in die Obhut von Ghalen. Seine heitere Art und den Streifzügen durch die Natur, bei denen ich die Grundlage meines Wissen in der Kräuterkunde legen konnte, hatte ich es, zusammen mit der dagegen eher nüchternen Gelassenheit von Vater und Onkel, später gepaart mit Mutters hingebungsvoller Fürsorglichkeit wohl zu verdanken, dass ich auch nach diesen einschneidenden Erlebnissen ein halbwegs normales Leben zu führen vermochte.

Dennoch packte mich manches Mal die Angst erneut. Ließ meine Zähne klappern, den Schweiß ausbrechen und mich wie gelähmt vor mich her starren. Des Nachts war es am schlimmsten. Die Schatten schienen nach mir zu greifen, der Nachtwind flüsterte beständig, dass sie mich gleich holen kommen und jedes Knarschten im holzigen Gebälk des Hauses trieb mir die Tränen in die Augen. Ich bestand darauf, eine Kerze brennen zu lassen, die Mutter auf ihren Frisiertisch stellte, damit ich sie im Schlaf nicht umstoßen konnte. Die Bleichen hasste Licht, sie hasste Feuer. Zwar hätte die mickrige Flamme nicht wirklich etwas ausrichten können, mein kindlicher Versand klammerte sich jedoch mit aller Macht an diese Vorstellung, um sich zu beruhigen.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, in der es dann zum ersten Mal passierte.
Den Tag über war es nicht richtig hell geworden; ein Sturm kündigte sich an. Mutter hing einige Glöckchen in die nahen Bäume. Das Windspiel der Melodie sollte Taranis milde stimmen. Ich wäre ganz verrückt von diesem ständigen Geklimper geworden und den Göttern erging es wohl ähnlich. Dicke, schwarze Wolken schoben sich über den Himmel und brachten - trotz Gebet und Opfergaben - beissenden Wind und Regen mit sich.

Mutter hatte wohl gedacht, ich würden bereits schlafen, denn sonst wäre sie wohl noch mal in die Schlafkammer gestiegen, um mir leise - damit Brynja nicht erwachte, die ohnehin vollgefuttert wie ein Stein in ihrem Bettchen schnarchte - zuzuflüstern, dass sie noch eine Runde um die Koppeln machen würde um zu prüfen ob auch alles vor dem Sturm gesichert sei. So hörte ich nur ein Schlagen der Tür, ein Luftzug … und meine Kerze erlosch.

Es war, bis auf Brynjas geräuschvollen Atem und das Pfeifen des Windes draußen, unnatürlich still im Haus. Sonst konnte ich Mutter lauschen, wie sie mit Geschirr umher klapperte oder bei irgendwelchen kleineren Näharbeiten eine mir vertraute, galatische Melodie summte; hörte wie sich meine Eltern leise unterhielten, wenn Vater vom Dienst nach Hause gekommen war. Mein Verstand malte sich, ohne dass ich es gewollt hätte, die schlimmsten Dinge aus. Sicher standen die Bleichen schon vor der Tür und hatten Mutter geholt. Gleich würden sie die Leiter hinauf kommen und auch mich und meine Schwester verschlingen.

Vor Angst biß ich mir in meine Lippe und schmeckte das metallene Blut. Ich traue mich kaum mich zu bewegen, noch wagte ich es einen Fuß vor das Bett zu setzen. Wenn doch nur wenigstens die Kerze noch leuchten würde. Diese würde uns Sicherheit spenden. Mein Geist begann sich um das Wachs der Kerze zu winden, vor meinem inneren Auge flammte sie langsam auf und kämpfte sich wacker gegen die Dunkelheit und stellte sich gegen jegliche Gefahr die dort lauern mochte.

Doch warum nur eine Kerze wenn man zwei haben konnte? Warum nicht auch gleich das Kaminfeuer … Angetrieben vom puren Grauen entzündete ich sämtliche Lichtquellen denen ich mit meinem Geist habhaft werden konnte. Für wenige Momente erstrahlte der Eichenhof wie ein funkelnder Bernstein im Auge des Sturms.

Als Mutter durchnässt und alarmiert vom hellen Licht, welches zwischen den Fensterläden und Holzritzen gedrungen war, in die Stube eilte und nach uns rief: “Lionel, Brynja … alles in Ordnung?”, sowie der Umstand dass mir Blut in die Kehle hinab geronnen war und mich Husten ließ riss mich aus meiner tranceartigen Konzentration und die Flammen erstarben abrupt. Als Mutter schließlich neben unseren Betten stand, stellte ich mich schlafend. Dennoch spürte ich ihren beunruhigten Blick länger auf mir ruhen als mir lieb gewesen wäre.

Ab jener Nacht allerdings ließen die Panikattacken nach und ich schlief besser ein. Ich hatte die Gewissheit, dass ich Gefahren dank jener Gabe, die ich damals noch nicht genau benennen konnte, trotzen konnte und mir, so wie jedem guten Soldaten oder Handwerker, nur die Übung fehlte ….
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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Im Strudel der Zeit - von Cahira Mendoza - 24.08.2015, 14:35
RE: Im Strudel der Zeit - von Cahira Mendoza - 29.03.2016, 16:48
RE: Im Strudel der Zeit - von Cahira Mendoza - 08.06.2017, 14:00



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