Die Saat des Irrtums
#29
Ich möchte nicht auf einem weichen Bette
Mit Gott und der Welt versöhnt den Geist verhauchen:
Der schöne Bürgertod, die sanfte Schlummerstätte
Kann wenig nur für Tunichtgute taugen.

Auch möcht ich nicht den Tod des Wüstlings sterben,
Der ungern, angstzerquält von hinnen geht,
Verzweifelt, – und verflucht von armen Erben,
Krampfhaft sich klammernd an ein Reugebet.

Ich möcht als Krieger blutverspritzend sterben,
– Im Feld der Ehre nah' der letzte Hieb! –
Und sterbend noch um Ruhm und Lorbeer werben,
Umwogt vom Klange, daß ich Sieger blieb!

~ Ludwig Scharf (1864 - 1938) - "Tode"

Die Begegnung mit Wildkatze kam unerwartet und in einem Moment, der unglücklicher nicht sein konnte. Sich mit einer blutenden Wunde am schmerzhaftesten Punkt der Achsel gegen jemanden zu behaupten, der selbst beim Anblick einer solchen Brutalität nichts als vergnügten Spott auf den Lippen trug, stand nicht unter einem guten Stern. Aber was konnte er tun? Was er sich an Rage gegenüber Dor'kalon nicht leisten hatte können, das kroch nun umso stärker unter seine Haut, peitschte ihn voran, die Wut an einem hilfloseren Opfer auszulassen. Fraß sich voll an dem stechenden Schmerz, der bei jedem Atemzug durch seinen Leib kroch und boshaft lachend an seinem Herz kratzte. Und die Belohnung kam mit ihrem Fall zu Boden; lebendiger konnte man sich nur im Moment des Todes fühlen.
Die Wunden schmerzten. Von den linienförmigen Prellungen, die die zweihändige Axt an seinem gepanzerten Leib hinterlassen hatte, bis zu den Dolchwunden an seinen Armen, den Kratzern in seinem Gesicht. Selbst die Versorgung durch die Vogtin und Isabelle hatten am Schmerz nur mäßig rütteln können, und in einem finsteren Teil seines Verstands war Kyron glücklich darüber. Unwissentlich hatte Wildkatze's Widerstand, ihre blutige Reaktion auf seinen Einschüchterungsversuch, beflügelt, was zuvor schläfrig und schüchtern geruht hatte. Schmerz befreite den Verstand von unnötigen Gedanken, Sorgen, Zweifeln. Schmerz belebte, was Kyron für tot gehalten hatte. Und stärkte Dor'kalons Griff an seinem Nacken.
Dor'kalon kannte das Tier, das in Kyrons Brust schlief. Er hatte keinen Versuch gewagt, ihn von seinem Opfer fernzuhalten. Hatte im Hintergrund gewartet, bis der Sturm vorbeigezogen war. Keiner konnte in der Seele eines Mannes lesen, wie Dor'kalon. 
Er wäre ein großartiger Druide gewesen. So war er ein großartiger Manipulator.

Schon als Wildkatze wild schimpfend davon gestürmt war, hatte Kyron die missgestimmte Anspannung in Dor'kalons Gesicht gesehen. Keiner der Beiden hatte über die dunkle Vorahnung ein Wort verloren, dass Dor'kalon ohne großes Gelächter einstimmte, zumindest eine der Wunden gleich zu verarzten, war Zeichen genug. Es war nicht vorbei, nicht an diesem Abend, noch nicht.
Ein kleiner Teil in Kyrons Kopf jubelte. Vielleicht würde es Natter anlocken und ihm die Suche ersparen.
Ein anderer Teil wisperte von der Vergangenheit und wie oft er dem Tod von der Schippe springen hatte müssen. Davon, dass das Glück irgendwann auslaufen würde.
Als nicht nur Natter, sondern auch Axt erschienen waren, hatte Kyron angenommen, dass der Tag gekommen war. Die Weigerung von Beiden, Worte statt Waffen zu kreuzen, hatte die Vorahnung nur bestätigt. Und sein Versuch, sich den Beiden alleine zu stellen, war ebenso dem Pech erlegen. Oder dem Glück, denn hätten sie Kyrons Angebot wahrgenommen, sich nur mit ihm zu schlagen, hätten sie wohl gewonnen. 
Es musste das fette, friedliche, harmlose Leben gewesen sein, das die Gruppe selbst im Angesicht ihrer Niederlage noch große Worte schwingen hatte lassen, aber auch die Mordrohungen, die Kriegserklärungen, die Beschimpfungen, konnten nichts an der Situation ändern. Und der Gedanke daran, dass sie gewonnen hatten, gegen Axt und eine erfahrene Schülerin bestanden hatten, wärmte Kyrons Brust, wo der Blutmangel mit Kälte lauerte.
Kyron blickte zu Isabelle hinüber und schmunzelte matt. Ein Sieg machte noch kein Schicksal. Natter musste noch in ihre Schranken gewiesen werden. Und gemessen daran, wie das Klüngel auf Wildkatze's Maßregelung reagiert hatte, würde es nicht gut enden. Gar nicht gut. Das Schmunzeln wurde zu einem scharfkantigen, verzerrten Grinsen.
Wann hatte Kyron jemals einen Gedanken an Konsequenzen verschwendet?
[Bild: spxyfrht.png]

Pain clears the mind of thoughts
Let pain clear your mind of all thought
so that the truth may be known
(Life - Charlie Crews)
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